Serie zur Bundestagswahl (10)Matthias Jung im Interview

„Der Durchschnittswähler will, dass ökonomisch für ihn gesorgt wird“

Wahlforscher Matthias Jung hält die Wirtschaftsfragen im Wahlkampf für stark vernachlässigt. Dabei ist die wirtschaftliche Lage für die Wähler bei dieser Bundestagswahl von großer Bedeutung. Die etablierten Parteien kämpfen um die Mitte, lassen aber einen Teil der Wähler heimatlos.

„Der Durchschnittswähler will, dass ökonomisch für ihn gesorgt wird“

SERIE ZUR BUNDESTAGSWAHL (10): MATTHIAS JUNG IM INTERVIEW

„Ökonomische Fragen sind völlig unterrepräsentiert“

Forschungsgruppe Wahlen sieht Wirtschaftsproblem auf Platz eins – Thema im Wahlkampf vernachlässigt – Wahlentscheidungen fallen diesmal spät

Wahlforscher Matthias Jung hält die Wirtschaftsfragen im Wahlkampf für stark vernachlässigt. Dabei ist die wirtschaftliche Lage für die Wähler bei dieser Bundestagswahl von großer Bedeutung. Sie sorgen sich um ihre Zukunft. Die etablierten Parteien kämpfen um die Mitte, lassen aber einen Teil der Wähler heimatlos.

Herr Jung, Deutschland steckt im dritten Jahr in Folge in einer Rezession. Das Thema Wirtschaft scheint im Wahlkampf nach hinten gerückt zu sein nach Anschlägen von Migranten. Oder scheint das nur so?

Im Wahlkampf scheint mir das Thema Wirtschaft in der Tat stark vernachlässigt zu sein. In den Umfragen stehen die Wirtschaftsprobleme sehr weit vorn – in den vergangenen Wochen und Monaten sogar oft auf Platz eins der wichtigsten Probleme in Deutschland. Gerade bei einer Bundestagswahl steht die ökonomische und soziale Sicherheit im Fokus des Großteils der Befragten. Andere, dramatische Ereignisse können nur kurzfristig wirksam werden.

Was treibt die Menschen um?

Die Menschen fürchten nicht unbedingt um ihren Arbeitsplatz. Auch die Wirtschaftslage ist gemessen an den vergangenen 20 bis 30 Jahren immer noch komfortabel. Aber: Die Menschen machen sich um ihre Zukunft Sorgen.

War es ein taktischer Fehler, das Flüchtlingsthema in den Fokus zu rücken?

Es hilft immer der AfD, wenn das Migrationsthema medial stark hochkommt. Es sollte aber das Ziel der etablierten demokratischen Parteien sein, die Tat und ihre Folgen einzuordnen. Wer sich mit aller Kraft auf diese Thematik stürzt, bei der kurzfristig wenig verbessert werden kann, macht das Geschäft der AfD. Die Partei wird als Original wahrgenommen.

Der Wortbruch hat im Wahlkampf zuletzt eine große Rolle gespielt. Beeinflusst dies die Wählerstimmung?

Im Politbarometer hat sich gezeigt, dass die Unionsanhänger zu ganz überwiegendem Teil den Beteuerungen ihres Parteivorsitzenden Friedrich Merz glauben, dass es keine Zusammenarbeit zwischen AfD und CDU geben wird. Nur wenn die Erwartungen in der eigenen Anhängerschaft beschädigt würden, wäre es ein Problem. Wenn die Anhänger der SPD, der Grünen und der Linken dem Wortbruchargument Glauben schenken, ist es für ihre Selbstvergewisserung gut, aber es schädigt nicht unbedingt die Union.

Sollten wir uns beim Blick auf die führende Union in den Umfragen noch auf Überraschungen am Wahltag einstellen?

Es gibt eine kritische Front – die 5%-Grenze bei der FDP. Diese Wählerschicht ragt weit in das Anhängerlager der Union herein. Wenn die kleinen Parteien – das BSW und die Linke – in den Bundestag kommen, könnte es für Union und SPD womöglich nicht mehr für eine große Koalition reichen: Dann könnte kurzfristig taktisches Wahlverhalten zugunsten der FDP entstehen, weil sie etwa für eine Deutschlandkoalition gebraucht würde.

Das lässt sich noch nicht vorhersehen?

Kaum jemand konnte bisher per Brief wählen. Entschieden wird diesmal stärker im Wahllokal. Dort beißt am Schluss ein Teil der Unzufriedenen noch einmal die Zähne zusammen und wählt wie bisher. Damit haben die besonders gerupften Parteien noch eine Chance, sich zu verbessern. Auch der SPD könnte das noch den einen oder anderen Punkt bringen. Dort gibt es auch eine größere Schnittmenge zur Union und auch zu den Grünen.

Was heißt dies für die Union?

Die bürgerliche Mitte fühlt sich bei der liberaleren CDU von Angela Merkel besser aufgehoben als bei der konservativeren Merz-CDU. Wer mit dessen Position Schwierigkeiten hat, die gesellschaftspolitisch und sozialpolitisch sehr stark rückwärtsorientiert ist, fühlt sich ein Stück weit heimatlos und ratlos.

„Traditionell gilt das Klischee: Die Sozialisten geben das Geld aus und die Bürgerlichen sorgen für Wirtschaftswachstum.“

Wirtschaftskompetenz hat in Umfragen allein die CDU/CSU. Sie lässt alle anderen weit hinter sich, auch die FDP. Wie kommt das?

Traditionell gilt das Klischee: Die Sozialisten geben das Geld aus und die Bürgerlichen sorgen für Wirtschaftswachstum. Dies setzt sich fest, wenn es leidlich bedient wird. Die bisherige Regierung wird als links wahrgenommen und wir haben ein Wirtschaftsproblem.

Waren wir zu nachlässig?

Wir haben uns viel erlaubt. Das starke Wirtschaftswachstum hat uns über viele Jahre nicht mehr gezwungen einzusparen, sondern wir haben aus dem Plus zusätzliche Bedürfnisse gespeist. Das war sehr bequem.

Warum hat die Wirtschaftspartei FDP in den Augen der Wähler keine Wirtschaftskompetenz?

Die FDP vertritt oft die Sache der Wirtschaft. Aber quantitativ sind die Wirtschaftsvertreter an der Gesamtheit der Wählerschaft eine quantité négligeable. Der Mittelstand umfasst – selbst wenn man die Selbstständigen mitzählt – maximal jeden zehnten Wahlberechtigten. Sie stehen auch nicht alle monolithisch hinter der FDP.

Was empfinden Wähler dann als Wirtschaftskompetenz?

Der Durchschnittswähler will, dass ökonomisch für ihn gesorgt wird. Bei der Union besteht zurzeit die Gefahr, zu stark in Richtung Wirtschaftsverbände wie BDA oder BDI zu schielen und zu wenig auf die wirtschaftlichen Nöte der breiten Bevölkerung.

„Die ökonomische Malaise ist nicht nur eine wirtschaftspolitische Angelegenheit, sondern auch eng verzahnt mit sozialer Sicherheit, die der Staat liefern soll.“

Was erwarten die Menschen in der Krise?

Die ökonomische Malaise ist nicht nur eine wirtschaftspolitische Angelegenheit, sondern auch eng verzahnt mit sozialer Sicherheit, die der Staat liefern soll. CDU-Politiker wie Helmut Kohl und auch Angela Merkel haben dies immer miteinander verquickt.

Es gibt ein wenig einen Blut-, Schweiß- und Tränen-Wahlkampf der Union mit Blick auf notwendige Mehrarbeit. Ist es sinnvoll, den Menschen die Wahrheit zu sagen?

Von einem Blut-, Schweiß- und Tränen-Wahlkampf sind wir noch sehr weit entfernt. Es wird nicht ansatzweise realisiert, dass wir mehr arbeiten müssen. Das betrifft auch die längere Lebensarbeitszeit. Wir werden kaum die Altersgrenze von 67 schaffen. Wir haben eine kollektive Vogel-Strauß-Politik bei der Sicherung der Renten im demografischen Wandel.

Müsste die Wahrheit deutlicher ausgesprochen werden?

Das Vertrauen in die Aussagen von Politikern ist spätestens 2002 dauerhaft beschädigt worden. Im Bundestagswahlkampf hatten Gerhard Schröder und Edmund Stoiber bis Sonntag 18 Uhr versprochen, dass alle Probleme in den sozialen Sicherungssystemen einfach lösbar sind. Um 18:01 Uhr haben beide den Wählerinnen und Wählern gesagt, was auf sie zukommt.

Haben die Wähler vorher mehr vertraut? 

Helmut Kohl konnte 1994 einen Wahlkampf erfolgreich in einer Wirtschaftsrezession nur damit führen, dass er einfach einen Aufschwung verkündet hat. Damals gab es noch Gefolgschaft gegenüber Politikern und ihren Ankündigungen.

Sie nennen die Wirtschaft eine quantité négligeable. Der Mittelstand steht auf den Barrikaden wegen der überbordenden Bürokratie. Die Insolvenzzahlen sind gestiegen. Überträgt sich so etwas nicht auf die Mitarbeiter?

Ja, natürlich. Es wird auch gehört. Aber der Mitarbeiter eines mittelständischen Unternehmens wird nicht deshalb FDP wählen. Er hat eigene Interessen. Wie hoch ist mein Entgelt? Welche Partei kämpft in Zeiten von Inflation für die Anbindung an tarifliche Lohnerhöhungen? Das ist gerade in den vergangen zwei Jahren sehr wichtig gewesen.

In der deutschen Unternehmenslandschaft gibt es zunehmend mehr Start-up-Unternehmer mit einer anderen Denkweise als Traditionsunternehmen. Auch Wahlprogramme greifen dies auf. Verändert das etwas? 

Die Parteien greifen es auf, um ein Stück weit Modernität zu demonstrieren. Das ist ähnlich wie der Wahlkampf über Social Media. Es macht etwa für die CDU keinen großen Sinn, dafür viele Kapazitäten zu binden. Sie erreicht ihre Klientel dort nicht. Aber sie demonstriert, dass sie modern ist. Ähnlich ist es mit Startups.

Das heißt?

Die Multi-Nerd-Mentalität ist weniger homogen als etwa die Gruppe der Apotheker, die traditionell von der FDP gut erreicht wird. Diese Wahlberechtigten spielen deshalb quantitativ keine so große Rolle. Die kulturelle Orientierung ist sehr liberal. Die Menschen sind vielfach jung und modern, sie tummeln sich aber nicht primär in der klassischen Politik.

„Quantitativ immer bedeutender wird die Gruppe der über 60-jährigen Nicht-Erwerbstätigen.“

Welche Wählergruppen sind zentral?

Quantitativ immer bedeutender wird die Gruppe der über 60-jährigen Nicht-Erwerbstätigen. Sie determinieren durch den demografischen Wandel immer stärker den Wahlkörper. Und sie erscheinen strammer an der Wahlurne als so manche von den Jüngeren.

Gibt es keine Mehrheit für eine ordoliberale und wachstumssteigernde Wirtschaftspolitik?

Eine wachstumssteigernde Wirtschaftspolitik muss nicht unbedingt ordoliberal sein. Aber es hat sich einiges verändert in Richtung Wachstumsorientierung. Dies ist selbst bis hin zu den Grünen spürbar, deren Programmatik vor ein paar Jahrzehnten noch dezidiert wachstumsfeindlich war. Sozialpolitik ist auch leichter mit mehr Einnahmen möglich.

Ist die Abkehr von der Schuldenbremse ein Weg?

Mit der Schuldenbremse wurde unter der Hand ein Mechanismus gefunden, um die Sozialausgaben deckeln zu können. Es wird nicht nach Konsum und Investitionen differenziert. Das ist starr, nicht marktorientiert und keine vernünftige Haushaltspolitik eines Staates.

Punktet Olaf Scholz, wenn er die Reform der Schuldenbremse in Aussicht stellt, um keine Renten für Investitionen kürzen zu müssen?

Olaf Scholz hat das Vertrauen der Wähler verloren, dass seine Aussagen etwas mit seinem Handeln zu tun haben. Sein Image ist verbrannt. Er dringt bei den Wählern selbst dann nicht durch, wenn er etwas Richtiges sagt. Analog ist es bei Friedrich Merz mit dem Sympathie-Malus. Er erreicht viele Leuten gar nicht, weil diese vorher ihre Sperre auf der Sympathiedimension aktiviert haben.

Aber ist das Rentenargument kein Trigger?

Es ist polemische Zuspitzung. Die Sicherung der Renten ist elementar für die Stabilität eines jeden Staates. Menschen, die jahrelang redlich gearbeitet haben, haben ein berechtigtes Anliegen auf Versorgung. Zudem entfalten die Rentner große Nachfragekraft. Eine Volkswirtschaft kann es sich nicht leisten, dass diese Gruppe darbt. Im Sozialbereich und bei anderen Zuschüssen wären Milliarden kürzbar, ohne dass der rechtschaffene Arbeiter im Lebensabend beschnitten werden muss.

Die Sicherheit im Alter treibt doch die Menschen um und ist ein wichtiger Punkt für die SPD.

Es hätte ein wichtiger Punkt sein müssen, aber man kann jetzt nicht 14 Tage vor der Wahlentscheidung plötzlich eine ganz andere Performance an den Tag legen. Es macht keinen Sinn, wenn ein mehrheitlich als gescheitert wahrgenommener Kanzler vor schwarz-rot-gold wehenden Fahnen wie im Kohl-Wahlkampf 1994 versichert, dass die Renten sicher sind.

Hat sich Olaf Scholz falsch positioniert?

Der Wahlkampf zielte darauf ab, die SPD zur stärksten Partei zu machen. Er hat sich deshalb mittig und wachsweich positioniert. Das ist aber schon seit längerer Zeit unrealistisch. Olaf Scholz ist Chef der schlechtestbewerteten Bundesregierung seit wir Umfragen machen.

Was wäre realistisch gewesen?

Die SPD hätte anstreben können, die Stimmen im linken politischen Lager zu maximieren. Dazu hätten ihr 22 % oder 20 % reichen müssen und sie wäre nicht Kanzlerpartei geworden. Dafür hätte sie einen Wahlkampf zu dezidiert linken Positionen machen müssen.

Die linken Positionen finden sich doch im SPD-Programm.

Sie hätten dazu stärker in den Vordergrund gestellt werden müssen: Der Kanzler vor einem roten statt vor einem schwarz-rot-goldenen Hintergrund sagen müssen, „Die Reichen müssen höher besteuert werden“. Die Mehrheit der Bevölkerung ist für einen höheren Spitzensteuersatz immer zu haben.

Wer macht es besser?  

Die Linke hat es verstanden und bringt systematisch zugespitzte, linke sozialpolitische Forderungen. Dies macht sonst niemand im Parteienspektrum so dezidiert. Damit kann sie neben ihrer primären Anhängerschaft im linken Lager mobilisieren. Deshalb kommt die Linke jetzt wieder aus dem Knick.

Der Kanzler verspricht, mit ihm bleibt Deutschlands Mitte stark. Ist das falsch?

Er hat durch seinen politischen Misserfolg seinen Kredit verspielt. Deshalb kommt er erst nach Friedrich Merz und Robert Habeck als Mitte-Option in Frage. Und die wirkliche Mitte oder die ganz leicht neben der Mitte befindliche Mitte wird von Merz nicht erreicht, wird von Scholz nicht erreicht und kann am ehesten von Habeck und den Grünen am Schluss mitgenommen werden.

Um welche Mitte geht es genau?

Habeck und die Grünen sprechen von der linken Mitte. Die ist aber ein bisschen weiter links als die gesellschaftlich liberale Mitte. Bürgerliche Menschen im Erwerbsleben, die nichts gegen Ausländer haben, geordnete Verhältnisse wollen, aber auch nicht alle Kriminalität dieser Welt auf Asylbewerber schieben, wissen nicht so recht, wen sie wählen sollen. Die Union bietet ihnen nicht die volle programmatische Breite der Volkspartei CDU an.

Deckt die CSU den sozialpolitischen Flügel in der Union ab?

Es ist eine lange Tradition, dass Arbeitnehmerinteressen von der CSU viel stärker berücksichtigt worden sind. Das erlaubt die große Breite der Zustimmung in Bayern. Der industrienahe Franz-Josef Strauß hat in Bayern nie so hohes Ansehen gehabt, wie viele andere Ministerpräsidenten dort.

„Ökonomische Fragen sind völlig unterrepräsentiert.“

Die unsichere Finanzierung von Wahlverspechen scheint im Wahlkampf bisher kaum eine Rolle zu spielen?

Stimmt. Ökonomische Fragen sind völlig unterrepräsentiert. Das war nicht intendiert im Drehbuch der Union. Beim Parteitag Anfang Februar sollte der Angriff auf der Wirtschaftsdimension erfolgen. Das wäre strategisch richtig gewesen angesichts der Kompetenzvorsprünge und der kritisch wahrgenommenen Wirtschaftslage. Aber der Kanzlerkandidat hat die Regie mit der übertriebenen Asylproblematik gestört.

Hat es geschadet?

Nein, aber zwei Wochen Aufmerksamkeit beansprucht, in denen die Union in anderen Themenbereichen Pluspunkte hätten sammeln können gegen eine darniederliegende Regierung.

Die Kapitaldeckung in der Altersvorsorge ist bei der Ampel liegengeblieben. Bewegt das die Menschen?

Das ist völlig irrelevant. Es versteht niemand. Die Konservativen haben mit Bismarck das System erfunden, mit staatlich garantierten Solidarleistungen das Auskommen der Rentner zu sichern. Es würde einen finanziellen Kulturwandel erfordern, damit Private einen größeren Anteil des Alterseinkommens durch Kapitalerträge finanzieren. Ich bezweifle auch, dass ausreichend Menschen gerade in der heutigen Zeit zu dieser Sparleistung bereit sind. Sie dürften eher diffus darauf hoffen, dass der Staat sie am Schluss doch sozialpolitisch retten wird.

Werden damit die Jungen gegen die Alten ausgespielt?

Die Jungen werden sich nicht organisieren, um den Alten was weg zu nehmen. Das ist viel zu kompliziert, um es über Jahrzehnte zu rechnen. Für den Fall der Einführung einer Aktienrente erwartet heute keiner, dass er dort jemals etwas wiedersieht, wenn er mit 25 anfängt, anzusparen.

Welche Konflikte sind heute gravierend?

Wir haben wesentlich weniger gesellschaftliche Konfliktfronten als vor 30 bis 40 Jahren. Der große Konflikt zwischen Kapital und Arbeit ist stark zurückgegangen. Streik ist eine Art rituelles Hobby geworden. Auch vom habituellen und kulturellen Verständnis ist der Konflikt zwischen Alt und Jung heute viel geringer. Vielleicht bekommen wir noch einen wichtigeren kulturellen Konflikt bei der Digitalisierung. Das ist noch nicht so festzumachen. Aber es gibt Menschen mit einer Aversion gegenüber der Modernität des Digitalen. Anderen geht es viel zu langsam.

Wie sieht es am Tag nach der Wahl aus? Belastet der Ausschluss von Koalitionen die Verhandlungsmöglichkeiten, etwa der von den Grünen durch Söder?

Söder hat eine der Achillesfersen der Union erkannt. Die demokratischen mitte-rechts Wähler, die die Grünen hassen und die Sozis nicht mögen, bekommen am Ende doch Rot oder Grün in der Regierung, wenn sie CSU oder CDU wählen. Söder versucht, die Wähler nicht zur FDP oder gar zu der AfD zu treiben. Eine gewisse Angst, die durchaus berechtigt ist.

Wer könnte profitieren?

Die FDP könnte sich das zunutze machen und damit am ehesten Unionswähler abspenstig machen, wenn sie sagt: Wählt ihr Merz, bekommt ihr Robert Habeck als Wirtschaftsminister oder Hubertus Heil als Sozialminister, aber ihr wolltet doch eigentlich den Politikwechsel.

Was wird kommen?

Es wird nicht Rot-Grün allein, Schwarz-Blau wird es auch nicht geben und Schwarz-Gelb auch nicht. Es wird etwas zustande kommen, was keiner so richtig will – wie das bei Kompromissen ist.

Sind die Fronten verfahrener als früher?

Die Aufregung erscheint heute stärker – auch deshalb, weil wir nicht mehr die klassischen politischen Lager haben. Jeder muss viel mehr nur für sich selbst kämpfen. Deshalb sieht es so aus, als ob alle anschließend weniger zusammen können. Aber sie werden sich zusammenschließen müssen. Sonst bekommen wir entweder die Unregierbarkeit, eine Wahlwiederholung oder noch bessere Werte für die AfD.

Wie schnell bekommen wir eine neue Regierung?

Es wird länger dauern, das ist gar keine Frage, aber sie werden sich irgendwie zusammenraufen müssen. Die Bevölkerung ist in dieser Hinsicht gar nicht so skeptisch.

Das Interview führte Angela Wefers


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Das Interview führte Angela Wefers.

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