ÖkonomenumfrageFritzi Köhler-Geib

„Der Schlüssel zur wirtschaftlichen Erholung liegt bei den privaten Haushalten“

Die Chefökonomin der KfW sieht Vorzeichen für eine Trendwende bei der konjunkturellen Entwicklung der Eurozone. Doch es gebe Risiken, erläutert Fritzi Köhler-Geib im Interview der Börsen-Zeitung.

„Der Schlüssel zur wirtschaftlichen Erholung liegt bei den privaten Haushalten“

Frau Köhler-Geib, was ist aus Ihrer Sicht die überraschendste Nachricht, die von der geldpolitischen Sitzung der EZB ausging?

Überraschungen sind für mich dieses Mal ausgeblieben. Der Zinsentscheid und ebenso die Ausführungen von Christine Lagarde waren so erwartet worden, auch deshalb, weil schon im Vorfeld der Sitzung die große Übereinstimmung der Ratsmitglieder deutlich war.

Für wann rechnen Sie mit einer ersten Zinssenkung der EZB?

Die EZB dürfte die Leitzinsen noch einige Monate auf dem aktuellen Niveau belassen. Die Ratsmitglieder haben die Bedeutung der weiteren Arbeitsmarktentwicklung für ihre Entscheidung betont. Wichtige Daten für dieses Jahr werden dazu erst Anfang des Sommers vorliegen. Mit dem Informationsstand heute und Arbeitsmarktdaten, die dann den Erwartungen entsprechen, gehe ich davon aus, dass die EZB ab dem Sommer mit Zinssenkungen beginnt.

Wie hoch ist aus Ihrer Sicht die Gefahr, dass die EZB zu spät die Zinsen senkt?

Aufgrund der Unsicherheit über die Geschwindigkeit und Stärke der geldpolitischen Transmission gibt es ein gewisses Risiko, dass die Konjunktur und der Preisauftrieb stärker durch den Zinsanstieg gedämpft werden als erwartet und notwendig. Ich schätze dies jedoch als begrenzt ein. Die EZB beobachtet die aktuellen Konjunkturdaten darüber hinaus sehr genau und hat die Möglichkeit, auf überraschend negative Entwicklungen zu reagieren. Dabei steht sie stets vor der Herausforderung, die Risiken einer zu straffen gegenüber den Risiken einer zu lockeren Geldpolitik abzuwägen. Verfestigt sich die Inflation, steigen die ökonomischen Kosten der Bekämpfung. Deshalb ist es nachvollziehbar, wenn die EZB vor dem Hintergrund ihres Mandats, die Preisstabilität zu wahren, der Begrenzung dieses Risikos einen hohen Wert beimisst. 


Die Interviewte: Fritzi Köhler-Geib ist Chefvolkswirtin der KfW. Zuvor arbeitete sie für den Internationalen Währungsfonds (IWF) und als Chefvolkswirtin für Zentralamerika bei der Weltbank.


Wie wird sich die Euro-Inflation 2024 entwickeln?

Die Inflation hat sich bereits im Laufe des vergangenen Jahres stark abgeschwächt. Die konjunkturelle Schwäche und der anhaltende Rückgang der Energiepreise wirken weiter dämpfend auf den Verbraucherpreisanstieg. Wir erwarten für 2024 im Euroraum eine durchschnittliche Inflationsrate, die im Schnitt noch über dem Ziel von 2% liegt. Dabei dürfte die Zielmarke etwa ab der zweiten Jahreshälfte 2024 wieder erreicht werden.

Was ist derzeit das größte Aufwärtsrisiko für die Inflation?

Neue angebotsseitige Schocks bleiben aufgrund der geopolitischen Lage ein relevantes Risiko für die Preisentwicklung. Dazu gehören neue abrupte Preissteigerungen an den Energiemärkten etwa durch eine mögliche Eskalation im Nahen Osten ebenso wie eine anhaltende Beeinträchtigung der Schiffswege im Roten Meer mit Auswirkungen auf Lieferketten.

Kann die Eurozone eine Rezession in diesem Jahr vermeiden?

Die Chancen dafür sind recht gut. Das Wachstum in der Eurozone hat zwar seit Mitte 2023 an Dynamik verloren und wird auch zum Jahreswechsel noch schwach ausfallen. Die Vorzeichen für eine Trendwende sind jedoch aufgrund der sinkenden Inflation und des robusten Arbeitsmarkts gegeben. Der Schlüssel zur wirtschaftlichen Erholung liegt damit bei den privaten Haushalten. Wenn diese mit real steigenden Einkommen wieder mehr konsumieren, dürfte die Eurozonenwirtschaft einen positiven Impuls erhalten. Daher erwarten wir, dass die Eurozone 2024 um 0,8% wächst.

Wie schätzen Sie die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands ein?

Das reale deutsche BIP dürfte 2024 um rund ein halbes Prozent wachsen – ein Silberstreif am Konjunkturhorizont nach dem leichten Rückgang im letzten Jahr. Die Erholung der privaten Kaufkraft wird wie auch in der Eurozone den Konsum im Jahresverlauf 2024 stärken. Dahinter stehen eine nahezu stabile Beschäftigung, anziehende Nominallöhne und eine deutlich rückläufige Teuerung. Der Zinsanstieg und die eingetrübten Geschäftserwartungen lasten zwar auf den Unternehmensinvestitionen, trotzdem werden sie 2024 wohl moderat zulegen. Gerade bei Energiewende, Klimaneutralität und Digitalisierung existieren drängende Investitionsbedarfe, die nun verstärkt angegangen werden können, da die Investitionsgüterhersteller nach dem Wegfall von Wertschöpfungskettenstörungen inzwischen wieder ausreichend lieferfähig sind.

Das Interview führte Martin Pirkl



Mehr zum Thema:

Einen analytischen Bericht zum Zinsentscheid der EZB können Sie hier nachlesen. Einen Kommentar zur jüngsten Kommunikation der Notenbank finden Sie hier.

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