Deutschland überschreitet Limit beim Staatsdefizit
Deutschland überschreitet Defizitlimit
Stabilitätsrat wird Ausgabepfade nach den neuen EU-Fiskalregeln erst im Herbst diskutieren – Beirat mahnt zu Disziplin
wf Berlin
Deutschland wird auf absehbare Zeit die Vorgaben für das fiskalische Defizit verfehlen, dürfte aber die neuen Regeln für den reformierten Stabilitäts- und Wachstumspakt einhalten. Der Stabilitätsrat zur Kontrolle der Haushalte von Bund und Ländern rechnet für 2024 mit einem strukturellen Defizit des Gesamtstaats von 1,25% des Bruttoinlandsprodukts (BIP).
2025 werde das Defizit auf 0,75% des BIP zurückgehen, aber danach wieder steigen. Das sagte die Vorsitzende des Stabilitätsrats, die rheinland-pfälzische Finanzministerin Doris Ahnen (SPD), vor der Presse in Berlin. Zum Ende des Projektionszeitraums 2028 werde das strukturelle Defizit bei 1% liegen. Der unabhängige Beirat des Stabilitätsrats − ein Gremium aus Wissenschaftlern − mahnte „erheblichen haushaltspolitischen Handlungsbedarf an, um die projizierten Defizite tatsächlich zu erreichen“.
Das strukturelle Defizit von höchstens 0,5% des mittelfristigen Haushaltsziels (MTO) aus dem präventiven Arm des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts wird mit der Projektion des Stabilitätsrats in den nächsten Jahren verfehlt. Es ist im deutschen Haushaltsgrundsätzegesetz verankert. Mit der Reform des europäischen Stabilitätspakts wird das mittelfristige Haushaltsziel jedoch nicht mehr überwacht. Stattdessen werden künftig für die einzelnen Mitgliedstaaten länderspezifische Nettoausgabenpfade festgelegt. Diese Pfade gelten in der Regel für vier Jahre, im Einzelfall auch länger.
Neue Fiskalregeln
Die Reform war Ende April in Kraft getreten. Der Prozess für die Festlegung der Ziele beginnt im Juni in Brüssel. Die Zahlen sollen am 21. Juni übermittelt werden. Daher könnten derzeit noch keine hinreichend präzisen Aussagen zu den europäischen Zielgrößen für Deutschland getroffen werden, konstatierte der Stabilitätsrat. Bund und Länder werden darum erst Mitte Oktober die Ausgabenziele beraten, wenn auch das Stabilitätsprogramm nach Brüssel geliefert werden muss. Wegen der Reform verschiebt sich der Abgabetermin für das Stabilitätsprogramm von April auf den Herbst.
Ahnen begrüßt die neuen europäischen Fiskalregeln. Die Notwendigkeit von Zukunftsinvestitionen werde im Regelwerk stärker berücksichtigt, machte sie deutlich. Die Länder stünden vor großen Herausforderungen bei den Ausgaben für Bildung, innere Sicherheit, Klimawandel und Wirtschaftsförderung. Sie hoffe, der Bund werde sich bei Investitionen gerade in den Kommunen beteiligen.
Nordrhein-Westfalens Finanzminister Marcus Optendrenk (CDU) warnte davor, künftige Generationen mit tiefergreifender Verschuldung für aktuelle Herausforderungen zu belasten. „Regierungen müssen lernen, mit Steuereinnahmen auszukommen und Prioritäten zu setzen“, sagte Optendrenk. Die Schuldenbremse zwinge Regierungen, sich über den staatlichen Aufgabenumfang in einer Sozialen Marktwirtschaft und den effizienten Umgang mit Steuergeldern Gedanken zu machen. Auch Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) stand auf der Bremse. „Niemand wird durch Schulden oder Wunschdenken Wachstum erzeugen können“, sagte Lindner. Eine moderat restriktive Finanzpolitik wirke als Inflationsbremse und ermögliche es auch erst, nachhaltigen Investitionsspielraum zu schaffen.
Beirat ruft zum Handeln auf
Der unabhängige Beirat des Stabilitätsrats sieht die strukturellen Defizite im Einklang mit den bisherigen Regeln. 2024 sinke das Defizit ausreichend stark ab. 2025 gelte ein neues Regelwerk. Es erscheine möglich, wenn auch nicht sicher, dass die in der Projektion enthaltenen Defizite und der Ausgabenpfad kompatibel mit den neuen Vorgaben seien. Es müsse aber einiges getan werden, damit die projizierten Defizite tatsächlich erreicht werden, so der Beirat. Vor allem müsse der Bund die Regelgrenzen der Schuldenbremse einhalten und dürfe neben dem Bundeswehrfonds und dem Klima- und Transformationsfonds im laufenden Jahr keine größeren Defizite in Sondervermögen machen, mahnen die Wissenschaftler.