Fachkräftemangel

Die 42-Stunden-Woche greift zu kurz

Den deutschen Unternehmen gehen die Arbeitskräfte aus. Vorschlag des BDI: Die Wochenarbeitszeit soll auf 42 Stunden verlängert werden. Die Lösung ist komplizierter.

Die 42-Stunden-Woche greift zu kurz

Von Anna Steiner, Frankfurt

Der Arbeitsmarkt brummt – eigentlich. Bislang konnten weder die Gaskrise noch die Stagnation der Wirtschaft ihm etwas anhaben. Die Bundesagentur für Arbeit erkennt eine Entkopplung von Konjunktur und Arbeitsmarkt. Gleichzeitig droht der Fachkräftemangel sich aber zu einem Arbeitskräftemangel auszuwachsen und belastet immer mehr Unternehmen. Die Lösung scheint nahezuliegen: Wenn Arbeitskräfte fehlen, müssen die verbleibenden eben mehr arbeiten, um die anfallende Arbeit dennoch zu bewältigen. So sieht es etwa der Chef des Industrieverbands BDI, Siegfried Russwurm. Sein Vorschlag einer Verlängerung der Wochenarbeitszeit auf 42 Stunden stößt allerdings auf harsche Kritik.

„Gemessen am Ausmaß der aktuell starken, überlappenden Krisen ist die Arbeitsmarktentwicklung wirklich gut“, freute sich Daniel Terzenbach, Vorstand der Bundesagentur für Arbeit (BA), Anfang des Monats über die positive Arbeitsmarktstatistik. Nur dass die Geflüchteten aus der Ukraine inzwischen in der Statistik auftauchen, schmälert den Eindruck etwas. „Wir haben schon seit mehreren Jahren eine komplette Entkoppelung von Konjunktur und Arbeitsmarkt“, sagt Terzenbach. Das hänge auch mit der „deutlichen Verknappung von Arbeitskräften“ zusammen. Unternehmen versuchten, wenn sie einen guten Mitarbeiter gefunden hätten, diesen zu halten.

Der Fachkräftemangel ist auf einem Allzeithoch: Im Juli waren laut Ifo-Institut 49,7% der Unternehmen beeinträchtigt. Der bisherige Rekord aus dem April (43,6%) wurde deutlich übertroffen. „Immer mehr Unternehmen müssen ihre Geschäfte einschränken, weil sie einfach nicht genug Personal finden“, sagt Ifo-Arbeitsmarktexperte Stefan Sauer. „Mittel- und langfristig dürfte dieses Problem noch schwerwiegender werden.“

Der Grund: Bis Mitte des Jahrzehnts wird ein Großteil der sogenannten Babyboomer-Generation in Rente gehen und Lücken auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen. Schon jetzt bleiben viele Stellen unbesetzt. Die Stellenerhebung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) meldet für das zweite Quartal einen neuen Rekord: 1,93 Millionen unbesetzte Stellen zählten die Forscher.

Wenig Gegenliebe

Für Siegfried Russwurm wäre eine Verlängerung der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit auf 42 Stunden die einfachste Lösung – „natürlich bei vollem Lohnausgleich“, wie sich der Präsident des Industrieverbands BDI sogleich mühte zu betonen. „Eine 42-Stunden-Woche wäre sicherlich leichter umzusetzen als eine allgemeine Einführung der Rente mit 70“, sagte Russwurm schon im Juli. Dass eine SPD-geführte Ampel-Koalition die Lebensarbeitszeit anhebt, erscheint in der Tat wenig wahrscheinlich. Russwurms Idee – die im Übrigen Rückendeckung vom ehemaligen SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel erhielt – dürfte aber auf wenig Gegenliebe bei den Beschäftigten stoßen.

Zum einen sinkt die wöchentliche Arbeitszeit seit vielen Jahren nahezu kontinuierlich (siehe Grafik). Zum anderen wird der „Work-Life-Balance“, also dem Verhältnis aus Arbeitszeit und Freizeit, zunehmend Bedeutung zugemessen. Dahinter steckt mehr als ein Modewort: Seit Jahren nehmen psychische Krankheiten am Arbeitsplatz zu – häufig eine Folge vieler Überstunden. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung ergab, dass nur Erwerbstätige, die weniger als 40 Stunden arbeiten, ihr Leben als ausgewogen empfinden.

Angesichts unzähliger Stellenangebote auch im ungelernten Bereich – etwa für Teilzeitkräfte an der Supermarktkasse oder Angestellte in der Gastronomie auf Stundenbasis – hat sich der Fachkräftemangel längst zu einem Arbeitskräftemangel ausgewachsen. Experten wie Veronika Grimm, Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (siehe Interview auf dieser Seite), fordern seit Langem Maßnahmen zur Erhöhung der Vollzeitquote. 

Politische Lösung

Deutschland ist noch immer eines der Länder mit der höchsten Teilzeitquote in der OECD – und das nicht unbedingt freiwillig. Studien zeigen immer wieder, dass junge Mütter und Väter gerne mehr arbeiten würden, doch es fehlt ihnen die Möglichkeit. Durch den Ausbau der Kinderbetreuung ließe sich hier ein enormes Potenzial heben. Zudem arbeiten in Deutschland rund sieben Millionen Menschen auf Minijob-Basis. Viele von ihnen würden ebenso gerne mehr arbeiten, erhalten aber keinen besseren Vertrag von ihren Arbeitgebern. Und schließlich – das wird etwa der Ex-Vorsitzende der BA Detlef Scheele nie müde zu wiederholen – braucht die deutsche Wirtschaft Zuwanderer. 400000 pro Jahr sollen den Unterschied machen. Dafür aber muss die Politik erst Rahmenbedingungen schaffen.