Standort Deutschland

Die Bürokratie lässt Unternehmen zunehmend verzweifeln

Die deutschen Unternehmen bremsen bei Investitionen oder schielen auf Standorte im Ausland. Grund sind Überbürokratisierung, Überregulierung und der Facharbeitermangel. Der Regierung werfen sie vor, falsche Schwerpunkte zu setzen, zeigt eine EY-Umfrage.

Die Bürokratie lässt Unternehmen zunehmend verzweifeln

Die Bürokratie lässt Firmen zunehmend verzweifeln

EY-Umfrage unter deutschen Unternehmern und Managern sieht Standort an einem „kritischen Punkt“ – Hoher Reformbedarf – Enttäuschung über Politik

lz Frankfurt

Die deutschen Unternehmensführungen zweifeln und verzweifeln zusehends am Standort Deutschland. Ohne tiefgreifende Reformen und mehr politische Verlässlichkeit drohen noch mehr Investitionszurückhaltung und Abwanderung, wie eine Umfrage der Unternehmensberatung EY zeigt.

Unter den Inhabern und Top-Managern der 110 befragten Großunternehmen gaben 72% explizit an, unter den aktuellen Bedingungen keine weiteren Standorte in Deutschland eröffnen zu wollen. Und 45% planen gar, dafür lieber im Ausland zu investieren.

Insgesamt zeigt die Umfrage, dass sich in Deutschland ein großer Reformbedarf aufgestaut hat. Als größtes Problem wird die ausufernde Bürokratie genannt. Trotz „Entlastungsgesetzen“ scheint es aktuell diesbezüglich sogar immer schlimmer zu werden, kritisieren die Unternehmensführer. „Deutschland befindet sich an einem Scheideweg“, resümiert Jan Brorhilker, Managing Partner von EY in Deutschland. Die Unternehmen wollten Wachstum ermöglichen und somit ihre Zukunftssicherheit sicherstellen. Doch gebe es derzeit zu viele Hemmnisse. Zu viele Reformen seien in den vergangenen Jahren verschlafen worden. „Jetzt wird es höchste Zeit, die Dinge anzupacken.“

Lieferkettengesetz kritisch

Neben dem Fachkräftemangel sticht unter den Klagen vor allem die Kritik an einer überbordenden Bürokratie hervor. Lange Genehmigungsprozesse und hohe bürokratische Anforderungen werden von einer deutlichen Mehrheit als äußerst belastend empfunden. Um das Wirtschaftswachstum zu fördern, scheinen tiefgreifende Reformen im administrativen und regulatorischen Bereich notwendig zu sein. Als besonders hinderlich werden hier die Bestimmungen im Lieferkettengesetz angegeben.

Die Studie verdeutlicht zudem den Unmut vieler Unternehmen über die Zähigkeit politischer Entscheidungsfindung in Deutschland: 94% der Befragten sehen diese als wirtschaftshemmend an. Generell bringt die Befragung zum Vorschein, dass politische Prozesse und Regulierungen von vielen als Bremsklotz wahrgenommen werden – ein Appell an die Politik, effizientere und deutlich unternehmensfreundlichere Entscheidungen zu treffen.

Vertrauen in Politik erodiert

Die große Diskrepanz zwischen dem Vertrauen in das allgemeine Wachstum und dem Vertrauen in die Bundesregierung ist auffällig. Während die Mehrheit der Befragten generell optimistisch auf eine wirtschaftliche Erholung schaut, traut ein erheblicher Teil (78%) der Befragten der aktuellen Regierung nicht zu, diesen Aufschwung aktiv zu unterstützen oder gar herbeizuführen. Diese Ergebnisse verdeutlichen eine starke Skepsis gegenüber der politischen Führung.

Fast zwei Drittel der befragten Unternehmer kritisierten die derzeitige Geschwindigkeit der politischen Entscheidungsfindung und -umsetzung, betont Brorhilker. Knapp 80% der Befragten glaubten nicht, „dass die aktuelle Regierung unserer Volkswirtschaft einen Sprung nach vorne ermöglichen wird“. Die Studie bestätige den Eindruck auch aus den persönlichen Gesprächen, „die wir als Prüfer und Berater mit unseren Mandanten führen“, sagt er.

Reformstau angehen

Als großes Hindernis für die weitere positive Entwicklung des Standorts sehen die Unternehmer und Manager den großen Reformstau in zahlreichen Politikbereichen, der bislang nicht angegangen worden sei. Das gelte für das Renten- und Bildungssystem gleichermaßen, betrifft aber auch die Innovationskraft der Wirtschaft, die verstärkt werden müsse.

Bildung für das 21. Jahrhundert

Im Hinblick auf das Bildungssystem wird in der Umfrage nicht nur Kritik an den Absolventen der Schulen, sondern auch an den Absolventen der Hochschulen geäußert. Die Fähigkeiten der Bewerber entsprächen nicht mehr umfassend den geforderten Standards. Schulen als auch Universitäten bereiteten „nicht mehr ausreichend auf die Arbeitswelt“ vor. Das deutsche Bildungssystem, so Brorhilker, müsse „dringend ins 21. Jahrhundert transformiert werden“.

Hochgradig reformbedürftig ist der Umfrage zufolge das Rentensystem. 90% fordern, dass es grundlegend neu aufgestellt werden müsse. 82% gehen davon aus, dass es in seiner jetzigen Form zu wachsender Altersarmut führt, 87% rechnen damit, dass es in einigen Jahren kollabiert. Die Hälfte der Befragten spricht sich dafür aus, dem System eine starke kapitalmarktorientierte Komponente hinzuzufügen.

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