Im InterviewHolger Görg

„Die Diskussion um die Abhängigkeit des Westens von China ist übertrieben“

Der Ökonom Holger Görg warnt vor den Auswirkungen einer Fragmentierung des Welthandels. Gleichzeitig ist er jedoch optimistisch, dass es dazu nicht kommt, auch wenn die Welthandelsorganisation WTO erste Anzeichen dafür erkennt.

„Die Diskussion um die Abhängigkeit des Westens von China ist übertrieben“

„Die Abhängigkeit von China ist kleiner als dargestellt“

IfW-Ökonom Görg fordert weniger Politisierung in der Debatte – Blockbildung im Handel hätte gewaltige Auswirkungen

Der Außenhandelsexperte Holger Görg warnt vor den Auswirkungen einer Fragmentierung des Welthandels. Gleichzeitig ist er jedoch optimistisch, dass es zu einer solchen Zersplitterung nicht kommt, auch wenn die Welthandelsorganisation WTO erste Anzeichen dafür erkennt.

Herr Görg, die Ökonomen der Welthandelsorganisation WTO stellen erste Anzeichen einer Fragmentierung, also Zersplitterung des Welthandels fest. Sie auch?

Ich sehe in den Zahlen noch keine Fragmentierung, und auch die WTO spricht ja nur von ersten Anzeichen. Regionalisierung im Handel ist auch nichts Neues. Handel ist seit jeher zum großen Teil regional. Die EU-Mitgliedstaaten betreiben beispielsweise über 60% ihres Handels mit anderen EU-Mitgliedstaaten. Es besteht aber durchaus die Gefahr, dass es wegen geopolitischer Spannungen zu einer Fragmentierung des Welthandels kommt.

Was hat diese Spannungen ausgelöst? Liegt es nur an dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und den Drohungen Chinas gegenüber Taiwan, oder gibt es noch weitere Faktoren?

Die russische Invasion hat dazu geführt, dass Unternehmen ihre Lieferketten überdenken müssen. Aber auch ohne diesen Krieg und die Spannungen um Taiwan wäre es zu einer politischen Blockbildung gekommen, die auch Auswirkungen auf den Welthandel hat.

Weshalb?

Die Zeit, dass es mit den USA nur eine dominierende wirtschaftliche, politische und militärische Weltmacht gibt, ist vorbei. China erhebt inzwischen auch Ansprüche, in diesen Bereichen eine führende Rolle einzunehmen, was zu Konflikten führt. Die Diskussion um die Abhängigkeit des Westens von China ist dennoch übertrieben.


Der Interviewte: Holger Görg ist Professor für Außenwirtschaft an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Leiter des Forschungszentrums „Internationaler Handel und Investitionen“ am Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel). Er ist außerdem Direktor des Kieler Zentrums für Globalisierung. Von 2021 bis 2023 war er interimsweise Präsident des IfW Kiel. Görg hat außerdem als Berater unter anderem für die Weltbank, die Europäische Kommission, die Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung, die UN-Wirtschaftskommissionen für Europa und Afrika sowie verschiedene Regierungen gearbeitet.


Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?

Viele Waren mit einem bestimmten Handelspartner auszutauschen, wie es etwa die Europäische Union mit China macht, ist per se weder ein Problem noch eine Abhängigkeit. Die Frage ist, ob es bei den verschiedenen Warengruppen kurzfristig alternative Beschaffungswege gibt. Nur wo das nicht der Fall ist, liegt wirklich eine Abhängigkeit vor. Wenn man die Angelegenheit aus diesem Blickwinkel betrachtet, ist die Abhängigkeit von China deutlich kleiner, als es von der Politik oder den Medien häufig dargestellt wird. Die Diskussion sollte weniger politisiert werden.

Das heißt, Sie halten es nicht für sinnvoll, wenn sich Unternehmen jetzt nach alternativen Lieferanten umschauen, um etwa die Importquote aus China eventuell zu reduzieren?

Unternehmen sollten sich schon sorgfältig anschauen, wie es um ihre Lieferketten bestellt ist. Und aus Gesprächen mit Unternehmern nehme ich mit, dass sie das auch tun. Interessant ist, dass wir bisher in den Zahlen nicht sehen, dass der Handel mit China abnimmt. So sind etwa zwischen Juli und August 2023 die Gesamtexporte Deutschlands zwar um 1,2% gefallen – die deutschen Exporte nach China aber um 1,2% gestiegen.

Im Sommer gab der taiwanesische Halbleiterhersteller TSMC bekannt, dass er in Dresden gemeinsam mit anderen Unternehmen ein Werk bauen will. Wie beurteilen Sie solche Schritte im Hinblick auf die Diversifizierung von Lieferketten?

So etwas ist nicht wirklich Diversifizierung und reduziert auch nur bedingt Abhängigkeiten für die deutsche Wirtschaft. Das Werk mag zwar in Deutschland stehen, benötigt für die Produktion aber viele Importe aus Taiwan und China.

Kommen wir zurück zu einer möglichen Blockbildung im Welthandel. Der Internationale Währungsfonds IWF warnt davor, dass im Falle einer starken Fragmentierung die globale Wirtschaftsleistung um bis zu 7% schrumpfen könnte. Wie kommen solche großen Effekte zustande?

China ist nun mal ein sehr effizienter Produzent. Daher wäre eine Abkopplung des Westens von China wirtschaftlich eine schlechte Idee. Auch allgemein haben Unternehmen die Lieferketten etabliert, die am effektivsten sind. Wenn sich die Lieferketten aus politischen Gründen ändern, führt das unweigerlich zu Effizienzverlusten und damit einer teureren Produktion, was die Konjunktur belastet.

Höhere Produktionskosten dürften auch zu einer höheren Inflation führen.

Das ist richtig. Sollte es zu einer starken Fragmentierung im Welthandel kommen, heizt das die weltweite Inflation an.

Auch auf den Umweltschutz dürfte eine Fragmentierung Auswirkungen haben. Weniger Handel des Westens mit China und dafür vielleicht mehr mit geografisch näherliegenden Ländern klingt auf den ersten Blick wegen kürzerer Transportwege nach einer guten Sache für die Umwelt. Doch das täuscht. Warum?

Aus mehreren Gründen. Zum einen ist gar nicht gesagt, dass die Lieferketten kürzer werden. Sollten Handelsbeziehungen mit China in Zukunft beispielsweise durch Handel mit Indien oder den südostasiatischen Asean-Staaten ersetzt werden, ist aus dieser Hinsicht nichts gewonnen. Zum anderen führen Investitionen und Handel immer dazu, dass sich die Umweltstandards eines Partners auf den anderen Partner auswirken. So müssen sich etwa Unternehmen, die in die EU exportieren, an unsere Umweltrichtlinien und an unser Lieferkettengesetz halten. Und ein dritter Aspekt ist, dass sich effizientere Umwelttechnologie in einer globalisierten Welt schneller und stärker verbreitet.

Zu Beginn unseres Gesprächs sagten Sie, dass Sie noch keine Anzeichen für eine Fragmentierung im Welthandel erkennen. Glauben Sie, dass es dabei auch bleibt, oder kommt es noch zu einer größeren Blockbildung oder gar Deglobalisierung?

Ich habe natürlich keine Glaskugel. Aber ich bin durchaus optimistisch, dass dieses Szenario nicht eintreten wird. Die wirtschaftlichen Effizienzverluste sind so hoch, dass alle Beteiligten hoffentlich einen kühlen Kopf bewahren.

Im Interview: Holger Görg

Das Interview führte Martin Pirkl.