Die EZB nähert sich einer ersten Zinssenkung an
Die EZB nähert sich erster Zinssenkung
Notenbank verlängert Zinspause und debattiert nicht über Lockerung der Geldpolitik – Lohndaten und Gewinnmargen der Unternehmen jedoch ermutigend
Die Europäische Zentralbank (EZB) verlängert ihre Zinspause ein weiteres Mal und vermeidet klare Hinweise darauf, wann eine erste Zinssenkung anstehen könnte. Ökonomen bewerten die Pressekonferenz der EZB dennoch mehrheitlich als Signal, dass sich die Notenbank der Zinswende annähert.
mpi Frankfurt
Mit Spannung haben Anleger und Ökonomen darauf gewartet, wie vehement die Europäische Zentralbank (EZB) beim Zinsentscheid am Donnerstag den Markterwartungen an eine erste Zinssenkung bis April widerspricht. EZB-Präsidentin Christine Lagarde betonte zwar, dass der EZB-Rat auch auf seiner Januar-Sitzung nicht über Zinssenkungen diskutiert habe, da es davor noch zu früh sei. Sie vermied aber – auch auf Nachfrage von Journalisten –, klare Hinweise darauf zu geben, wann die erste Zinssenkung anstehen könnte.
Die jüngsten Konjunktur- und Inflationsdaten seit der Dezember-Sitzung bewertete Lagarde als überwiegend positiv. Die Euro-Wirtschaft sei zwar weiterhin schwach und dürfte nach Einschätzung der Notenbank im letzten Quartal 2023 stagniert haben. Doch würden Frühindikatoren wie Einkaufsmanagerindizes darauf hindeuten, dass sich die wirtschaftliche Entwicklung demnächst wieder belebe und eine längere Rezession im Euroraum nicht bevorstehe.
EZB zufrieden mit jüngsten Konjunktur- und Inflationsdaten
Den Anstieg der Inflationsrate im Dezember bewerte Lagarde als vereinbar mit der derzeitigen Inflationsprognose der EZB. „Die aktuellen Daten bestätigen weitgehend seine bisherige Einschätzung der mittelfristigen Inflationsaussichten“, heißt es auch im Kommuniqué des EZB-Rats.
Lagarde wiederholte am Donnerstag, dass die EZB bei der Geldpolitik datenbasiert und nicht datumsbasiert entscheide. „Wir müssen im Prozess der Eindämmung der Inflation weiter vorangekommen sein, um sicher zu sein, dass die Inflation auf dem Zielniveau liegen wird – und das nachhaltig“, sagte die EZB-Präsidentin.
„Taubenhafte“ Signale
Eine wichtige Rolle bei der Frage, wie weit die EZB schon vorangekommen ist, spielen die Lohndaten. Das haben die Ratsmitglieder immer wieder herausgestellt. Insofern bewerten Ökonomen die Aussage von Lagarde, dass es Anzeichen einer Entspannung beim Lohnwachstum gebe, als „taubenhaftes“ Signal. Zudem sagte Lagarde, dass die Gewinnmargen der Unternehmen, die zeitweise die Inflation nach oben getrieben haben, inzwischen unter Druck geraten sind. Die EZB hat „einen Trippelschritt in Richtung Zinssenkung gemacht“, ordnete Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, die Kommunikation der EZB ein. „Die noch demonstrierte Vorsicht der EZB in Sachen Zinssenkung ist angemessen“, führte Krämer jedoch aus. Die Löhne stiegen weiter viel schneller, als es mit dem Inflationsziel der EZB von 2% vereinbar ist.
Lagarde wies am Donnerstag erneut auf die Bedeutung der Lohndaten für das erste Quartal hin, da bei vielen Arbeitnehmern in der Eurozone Gehaltsverhandlungen anstehen. Da die Daten der EZB erst bis zur Juni-Sitzung vorliegen, kann diese Aussage als eine indirekte Absage an eine Zinssenkung bis April verstanden werden. Die EZB lasse „die Tür offen für eine erste Senkung bereits im April, wie die Märkte es einpreisen“, meint Berenberg-Volkswirt Salomon Fiedler dennoch. Er kommt zu dieser Einschätzung, da Lagarde eine klare Absage an einen solchen Schritt vermieden hat.
Mehrere Aufwärtsrisiken für die Inflation
Fiedler selbst erwartet eine erste Zinssenkung der EZB im Juni. Diese Einschätzung teilt eine Mehrheit der Volkswirte. Zudem widerspricht diese Prognose nicht den Äußerungen einiger Ratsmitglieder aus den vergangenen Wochen, dass eine Zinssenkung im Sommer anstehen dürfte, wenn die Lohndaten keine bösen Überraschungen enthalten oder sich andere Aufwärtsrisiken für die Teuerung materialisieren.
Neben der Lohnentwicklung und den Folgen der höheren Gehälter für die Preise ist vor allem die Lage im Welthandel derzeit ein Aufwärtsrisiko für die Teuerung. Angriffe der Huthi-Rebellen auf Frachtschiffe im Roten Meer führen aktuell zu Lieferkettenstörungen und höheren Logistikkosten. Sollte dies länger anhalten, würde dies die Inflation wieder verstärken. Auch die zunehmende politische Blockbildung im Welthandel hat das Potenzial, den Preisdruck wieder zu erhöhen.
Inflationsprognosen variieren
Jörg Angelé, Senior Economist des Assetmanagers Bantleon, geht jedoch davon aus, dass die Notenbank ihre Inflationsprognose im März nach unten und nicht nach oben korrigiert. Derzeit erwartet die EZB für 2024 eine Inflationsrate von 2,7%. „Besonders hervorzuheben ist unserer Meinung nach ein Satz der EZB-Präsidentin. Sie sagte, die Inflationsrate würde deutlich schneller sinken, wenn sich die Preise für Gas und Rohöl entsprechend der jüngst stark gesunkenen Markterwartungen entwickelten“, sagte Angelé. „Wir gehen schon seit einiger Zeit davon aus, dass genau das der Fall sein wird.“
Die Inflationsprognosen von Ökonomen variieren. Einige wie Angelé gehen davon aus, dass sich die Inflationsrate bereits 2024 dem Notenbankziel deutlich annähert oder dieses sogar erreicht. Andere wie Commerzbank-Chefökonom Krämer erwarten hingegen, dass sich die Teuerung in diesem Jahr wegen Lohnerhöhungen eher bei 3 als 2% einpendelt.
Mitarbeiter kritisieren Lagarde
Vor dem Zinsentscheid machte eine dem Medium „Politico“ zugespielte Gewerkschaftsumfrage unter EZB-Mitarbeitern Schlagzeilen. Darin äußerten die Mitarbeiter Kritik an EZB-Präsidentin Lagarde. Eine knappe Mehrheit stellte ihrer Arbeit ein „schlechtes“ oder „sehr schlechtes“ Zeugnis aus.
Die Kritik an ihrer Person spielte Lagarde auf der Pressekonferenz nach dem Zinsentscheid herunter. Die EZB führe regelmäßig Umfragen durch, laut denen mehr als 80% der Mitarbeiter gerne bei der EZB arbeiten würden. „Was mich antreibt, sind diese Antworten“, sagte die EZB-Präsidentin. „Ich bin extrem stolz auf das Personal der EZB und ich bin sehr stolz darauf und fühle mich geehrt, die Institution zu führen.“