Im Interview:Mark Zandi

„Die Fed hätte nicht das Risiko eingehen müssen, so lange an den hohen Zinsen festzuhalten“

Die Fed hat zu lange an ihrer restriktiven Geldpolitik festgehalten, meint der Nationalökonom Mark Zandi. Er glaubt, dass eine Serie von Lockerungen zu einem neuen Gleichgewichtszins von etwa 3,5% führen wird.  

„Die Fed hätte nicht das Risiko eingehen müssen, so lange an den hohen Zinsen festzuhalten“

Im Interview: Mark Zandi

„Die Fed hätte nicht so lange an den hohen Zinsen festhalten sollen“

Der Nationalökonom erwartet eine weiche Landung der US-Wirtschaft und Zinssenkungen „um einige Hundert Basispunkte“ bis Ende 2025. Trumps Einfuhrzölle sollten Europa Sorgen bereiten.

Die US-Notenbank hat zu lange an ihrer restriktiven Geldpolitik festgehalten, meint der Nationalökonom Mark Zandi. Er rechnet dennoch mit einer „weichen Landung“. Auch glaubt Zandi, dass nach einer Serie von Lockerungen bis spätestens Ende 2025 ein neuer Gleichgewichtszins von etwa 3,5% erreicht sein wird.  

Das Interview führte Peter De Thier.

Herr Zandi, die Fed wird im September aller Voraussicht nach die erste Zinssenkung seit 2020 beschließen. Wie wird es dann weitergehen?

Dass die Fed in der FOMC-Sitzung im September den Tagesgeldsatz senken wird, ist seit geraumer Zeit klar. Gerade angesichts der Tatsache, dass sie das duale Ziel, nämlich Vollbeschäftigung und niedrige, stabile Inflation, erreicht hat. Folglich dreht es sich jetzt um die Frage, wie weit und wie schnell die Notenbank mit ihren Lockerungen gehen wird. Ich gehe davon aus, dass sie normalisieren werden – gemeint ist damit die Erreichung des Gleichgewichtszinses – in circa zwölf Monaten, spätestens aber bis Ende 2025. 

Wie weit werden Notenbankchef Jerome Powell und Co. gehen?

Ich gehe von Senkungen um ein paar Hundert Prozentpunkte aus. Dies bedeutet, dass die Zielzone für den Leitzins sich dann eher um 3,5% bewegen wird. Festzuhalten bleibt jedenfalls, dass der Gleichgewichtszins höher sein wird als vor der Corona-Pandemie. Vor der Pandemie hatte dieser bei ungefähr 2,5% gelegen.

Womit begründen Sie das?

Die US-Wirtschaft reagiert heute weniger empfindlich auf Zinsänderungen. Sowohl Haushalte als auch Unternehmen ist es gelungen, längerfristige Kredite zu den niedrigen Zinssätzen, die vor der Pandemie Bestand hatten, zu vereinbaren. Das ist übrigens einer der wesentlichen Gründe dafür, warum die US-Wirtschaft resistenter und robuster geblieben ist als die Volkswirtschaften in Europa und anderen Teilen der Welt.  


Der Interviewte: Mark Zandi, Chefvolkswirt bei Moody's Analytics, zählt zu den prominentesten Nationalökonomen der USA. Er studierte an der Wharton School der University of Pennsylvania. 1990 gründete Zandi die Website Economy.com, die später Teil der Moody's Corporation wurde. 2009 beriet er die Regierung von Präsident Barack Obama über die wirtschaftlichen Folgen des American Recovery and Reinvestment Act, das half, die USA aus der Rezession zu führen. Zandi hat zahlreiche Bücher geschrieben, unter anderem über Lehren aus der Subprime-Krise.


Hat die Fed zwei Entwicklungen verschlafen, indem Powell die Inflation während der Pandemie lange Zeit „temporär“ nannte, und dann, indem er zu lange an der restriktiven Zinspolitik festhielt?

Die Fed hat Ende 2021 und Anfang 2022 auf jeden Fall zu langsam mit den Straffungen begonnen. Ich will nicht allzu kritisch sein, denn es gab ja während der Pandemie jede Menge Unsicherheit über die weitere Entwicklung, und wenn Ungewissheit herrscht, neigen Notenbanken eher dazu, zu viel zu tun. Rückblickend war das aber ein Fehler, der 2022 die Inflationsspirale weiter beschleunigt hat. 

Und jetzt, mit dem langen Festhalten an den hohen Zinsen?

Klar, auch das ist ein Fehler gewesen. Ich denke nicht, dass es existenzieller Fehler war. Dennoch hätte die Fed dieses Risiko nicht eingehen müssen. Schließlich hat sie ihr duales Mandat schon geraumer Zeit erfüllt. Schließlich haben wir Vollbeschäftigung, die bei einer Arbeitslosenquote zwischen 3,5 und 4% liegt, bereits erreicht und liegen jetzt schon wieder höher. Und angesichts der niedrigen, stabilen Inflationsrate war es unnötig, mit einem Leitzins von 5,25 bis 5,5% Risiken einzugehen. 

Sehen Sie auch Risiken für den Finanzsektor?

Absolut. Schließlich ist die Zinskurve nach wie vor invertiert. Das setzt die Banken und andere Finanzinstitutionen unter immensen Druck. Die Folgen sahen wir vergangenes Jahr in Form von Pleiten der Silicon Valley Bank und anderer Institutionen. Es handelte sich seitens der Fed also um Fehler auf mehreren Ebenen. Glücklicherweise hat es den Anschein, als hätte sie damit aber nicht allzu viel Schaden angerichtet.

Die Demokraten halten gerade ihren Parteitag in Chicago ab. Wird es Kamala Harris vor dem Hintergrund des hohen Preisniveaus gelingen, Wähler von ihrem wirtschaftspolitischen Programm zu überzeugen? 

Ich würde es so ausdrücken: Der starke Anstieg der Inflation in den Jahren 2021 und 2022 hat für Vizepräsidentin Harris das (politische) Leben deutlich schwerer gemacht. Die hohen Preise bilden den stärksten Gegenwind mit Blick auf ihre Siegeschancen im November. Und Sie treffen den Nagel auf den Kopf: Zwar ist die Inflation heute niedrig, aber das Preisniveau ist hoch geblieben. Es liegt in der Natur der Politik, dass Wähler einen Sündenbock suchen, in diesem Fall die Biden-Harris-Regierung.

Ist das denn gerechtfertigt?

Nein. Die hohe Inflation, unter der wir 2021/22 litten, war ein Ergebnis der Pandemie, der Lieferkettenstörungen und der Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Auch hat der russische Angriffskrieg in der Ukraine, der im Februar 2022 begann, die Inflation dann weiter befeuert. Über höhere Öl- und Erdgaspreise sowie die Verteuerung bei landwirtschaftlichen Produkten. Den kumulativen Effekt und die Nachbeben dieser Preissteigerungen spüren wir noch heute. Das waren die Gründe für die hohe Inflation, nicht die Politik von Biden und Harris.

Wie sieht denn das gesamtwirtschaftliche Bild aus? Rechnen Sie auch nach dem schwachen Arbeitsmarktbericht für Juli mit einer weichen Landung?

Wir sind definitiv auf Kurs für eine weiche Landung. Das setzt allerdings voraus, dass die Fed an ihren Plänen festhält und weitere Zinssenkungen beschließt, wovon ich aber ausgehe. Es hängt mal wieder alles von den Konsumenten ab, die sich wacker gehalten haben. Fast jeder hat einen Job, die Löhne steigen stärker als die Inflation. Auch haben die meisten Hauseigentümer niedrige Zinsen auf 30 Jahre, also sind ihre Monatsraten nicht gestiegen. Eigenheimpreise steigen ebenso wie die Aktienkurse.

Davon profitieren aber nicht alle Amerikaner. Schließlich besitzt nur jeder Zweite Aktien und zwei Drittel der Haushalte ein Eigenheim, wie sieht es mit denen aus?

Natürlich ist das anders. Zwar mögen sie auch einen Job haben und sich über höhere Reallöhne freuen. Auch haben sie sich während der letzten Jahre aggressiv verschuldet. Die sitzen nicht in demselben Boot. Gleichwohl gehöre ich zu jenen, die fest daran glauben, dass sämtliche Einkommensklassen zum Wachstum und dem Erfolg der Wirtschaft beisteuern.

Harris hat kürzlich Eckpunkte ihres Wirtschaftsprogramms vorgestellt. Von welchen konkreten Punkten muss sie Wähler in den kommenden zweieinhalb Monaten überzeugen?

Sie muss sich vorrangig auf das konzentrieren, was die Wähler stört, nämlich die hohe Inflation. Und zwar in jeder Hinsicht. Von Wohnkosten über Lebensmittel bis hin zu Versicherungsprämien und den Kosten der Gesundheitsvorsorge. Ihre Pläne unterscheiden sich nicht wesentlich von Bidens. Entscheidend wird jetzt sein, wie sie das in den kommenden Monaten für die Wähler verpackt. Auch, dass sämtliche Ausgabenprogramme, die sie vorschlägt, gegenfinanziert sind.

Wie sieht es mit der Handelspolitik aus, wo Kamala Harris und Donald Trump beide protektionistische Ansätze gezeigt haben? Wen müssen die Europäer mehr fürchten?

Die von Trump vorgeschlagenen Einfuhrzölle sollten allen Handelspartnern Sorgen bereiten. Er könnte sämtliche Importe mit Abgaben von 10% überziehen. Das träfe Waren im Wert von 3,5 Bill. Dollar. Ich glaube hingegen nicht, dass Harris annähernd so weit gehen würde. Ähnlich wie Biden würde sie an Zöllen für strategisch wichtige Güter, etwa aus China, festhalten. Diese entsprechen nur einem Bruchteil von Trumps Abgaben, also Einfuhren im Wert von 18 Mrd. Dollar.

Das Interview führte Peter De Thier.