Holger Schmieding

„Die Fed stürzt die USA in eine Rezession“

Würgen die Zentralbanken mit ihrem Inflationskampf die Konjunktur ab? Im Interview ordnet Berenberg-Chefvolkswirt Holger Schmieding die aktuelle Situation ein.

„Die Fed stürzt die USA in eine Rezession“

Mark Schrörs.

Herr Schmieding, die Warnungen mehren sich, dass die Notenbanken überziehen und mit ihren teils deutlichen Zinserhöhungen und anderen Maßnahmen gegen die aktuell sehr hohe Inflation die Konjunktur abwürgen. Wie beurteilen Sie das?

Die US-Notenbank hat es seit Mitte 2020 versäumt, der allzu expansiven US-Fiskalpolitik rechtzeitig mit ei­nem Ende der Anleihekäufe und hö­heren Zinsen entgegenzutreten. Nachdem sich die US-Konjunktur deshalb 2021 überhitzt hat, begeht die Fed jetzt den gegenteiligen Fehler. Im Bestreben, ihre angeschlagene Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen, stürzt sie die USA in eine Rezession. Der EZB kann man diesen Vorwurf dagegen nicht machen. Die Euro-Inflation ist vom Putin-Schock bei Energie- und Nahrungsmittelpreisen getrieben, nicht von einer heimischen Übernachfrage, die eine Zentralbank hätte verhindern können. Die Euro-Konjunktur hängt vor allem von den Preisen für Gas und dem Risiko eines Gasmangels ab. Die Zinsschritte der EZB spielen für den Konjunkturausblick bei uns nur eine Nebenrolle.

Die Zentralbank der Zentral­banken BIZ fordert klar, den Fokus auf die Inflationsbekämpfung zu legen, weil die Weltwirtschaft an der Schwelle zu einem neuen Inflationsregime stehe. Sehen Sie diese Gefahr auch? Wie beurteilen Sie die mittel- und langfristigen Inflationsaussichten?

Die Welt kehrt zum früher üblichen Inflationsregime zurück. Die 15 Jahre der „neuen Normalität“ mit Mini-Inflation bei Zinsen nahe null sind vorbei. Höhere Lohnzuwächse bei zunehmender Knappheit an Arbeitskräften, das Ende des Abwärtsdrucks auf die Preise durch China und die Kosten der Energiewende werden den Preisauftrieb wieder dauerhaft auf Werte heben, die vor 20 Jahren als normal galten. Aber die Inflation wird sich nicht nahe der jetzigen Raten verfestigen. Die Sondereffekte aus der Energie- und Nahrungsmittelpreisexplosion werden auslaufen. Die Inflationserwartungen sind weiterhin hinreichend verankert. Abgesehen von einem einmaligen Nachholeffekt bei den Löhnen in Europa zeichnet sich keine echte Lohn-Preis-Spirale ab. Die BIZ hat nicht ganz unrecht, aber sie übertreibt.

Vor allem mit Blick auf die USA nimmt die Ansicht zu, dass die Fed die hohe Inflation gar nicht wieder unter Kontrolle bringen kann, ohne eine Rezession auszulösen. Teilen Sie diese Sicht?

Die Fed scheint den Versuch einer weichen Landung aufgegeben zu haben. Auch eine etwas maßvollere Politik mit Zinsschritten von jeweils bis zu 0,5 statt 0,75 Prozentpunkten würde ausreichen, um Konjunktur und Inflationsdruck hinreichend zu dämpfen. Die Rezessionsgefahr wäre dann geringer. Die US-Wirtschaft schwächelt bereits jetzt, es gibt erste Anzeichen, dass der Lohndruck bald abnehmen wird.

Verglichen mit anderen Zentralbanken, vor allem der Fed, agiert die Europäische Zentralbank (EZB) weiter recht zögerlich und vorsichtig. Das halten Sie eher für richtig, ja? Unterschätzt sie nicht weiter die Inflationsgefahr?

Auch die EZB hat die Inflation seit Anfang 2021 systematisch unterschätzt. Ihre Modelle kommen mit der aktuellen Lage nicht zurecht. Da die Euro-Inflation jedoch nicht hausgemacht ist, folgt daraus nicht, dass sie besonders aggressiv vorgehen sollte. Kurzfristig kann sie die Energie- und Nahrungsmittelpreisexplosion nicht beeinflussen. Sie sollte sich stattdessen am mittelfristigen Ausblick ausrichten. Da die Inflation auch nach dem Auslaufen der aktuellen Schocks dauerhaft etwas höher sein dürfte, als es in den vergangenen 15 Jahren der Fall war, sollte sie ihre Zinsen Schritt für Schritt auf ein normales Niveau von etwa 2% für den Hauptrefinanzierungssatz anheben. Es reicht, wenn sie diese 2% im Jahr 2024 erreicht.

Angesichts der Konjunkturabschwächung gibt es bereits Spekulationen, dass schon 2023 wieder Zinssenkungen anstehen könnten. Für wie wahrscheinlich halten Sie das?

Die Fed wird nach dem raschen Zinsanstieg jetzt ihren Leitzins ab Frühjahr 2023 wieder senken müssen, um den Anstieg der US-Arbeitslosigkeit einzugrenzen. Wenn die EZB da­gegen jetzt nicht allzu aggressiv vorgeht, könnte sie im ersten Halbjahr 2023 nur eine Zinspause einlegen, ohne auf die Rezession mit niedrigeren Zinsen reagieren zu müssen.

An den Finanzmärkten hat die Straffung zu teils deutlichen Verlusten geführt. Muss das die Zen­tralbanken sorgen, oder ist das eine nötige Korrektur nach vorherigen Übertreibungen?

Die Finanzmärkte haben sich an den Schwenk der Notenbanken angepasst. Das ist normal. Bisher ergeben sich daraus kaum Gefahren für die Finanzstabilität. Nur bei einer völlig übertriebenen Marktpanik, die wiederum die Konjunktur erheblich schädigen könnte, sollten die Zen­tralbanken dies berücksichtigen.

Sehen Sie die Gefahr einer Liquiditätsklemme oder gar einer neuen Finanzkrise infolge der Straffung durch die Zentralbanken?

Die Gefahr einer echten Liquiditätsklemme sehe ich bisher nicht. Liquidität ist weiterhin reichlich vorhanden. Auf beiden Seiten des Atlantiks sind Finanzinstitute besser für eine Rezession gerüstet als früher. Eine Kreditklemme zeichnet sich nicht ab.

Die Geldpolitik hat zuletzt auch die Devisenmärkte durcheinandergewirbelt. So ist der Euro etwa zum Dollar unter die Parität gestürzt. Braucht es da eine internationale Abstimmung ähnlich wie in den 1980er Jahren mit dem Plaza- oder Louvre-Akkord?

Nein, es braucht keinen neuen Louvre-Akkord, dessen Wirkung im Rückblick ohnehin oft überschätzt wird. Der Markt kann es selbst richten. Nach dem harten Tritt auf die Zinsbremse jetzt dürfte die Rezession die Fed ab Frühjahr 2023 dazu zwingen, ihren Leitzins wieder zu senken. Die vorsichtigere EZB wird wohl nicht in diese Verlegenheit kommen. Je mehr der Markt dies einpreist, desto eher wird der Dollar seinen Höhenflug beenden.

Die Fragen stellte

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