EBRD senkt Wachstumsprognosen auf breiter Front
hip London
Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) hat ihre Wachstumsprognosen für das kommende Jahr teils dramatisch gesenkt. Darin spiegeln sich neben niedrigeren Gaslieferungen aus Russland auch die wirtschaftliche Verlangsamung in Westeuropa und der zunehmende weltweite Inflationsdruck wider. Hatte sich das Institut im Frühjahr noch recht optimistisch für die Ukraine gezeigt, so rechnet es nun für das kommende Jahr nur noch mit einem Wachstum von 8 % statt 25 %. Für das laufende Jahr geht es weiter von einer wirtschaftlichen Schrumpfung um 30 % aus. Im Mai sei man noch davon ausgegangen, dass 2023 bereits umfangreiche Wiederaufbauarbeiten beginnen würden, hieß es zur Begründung. Seit der russischen Invasion am 24. Februar arbeite die ukrainische Wirtschaft unter Kriegsbedingungen. Obwohl sich die Kämpfe in den vergangenen Monaten in einem Gebiet konzentrierten, das in normalen Zeiten nur rund ein Fünftel des Bruttoinlandsprodukts liefere, sei die Zerstörung von Humankapital, Infrastruktur und Produktionskapazitäten enorm. Rund 15 % der Vorkriegsbevölkerung hätten das Land verlassen, weitere 15 % seien intern auf der Flucht. Trotz Kapitalverkehrskontrollen seien die Devisenreserven um ein Fünftel geschrumpft. Die Inflation stieg im August auf 23,8 %.
Türkei wächst überraschend
Für das benachbarte Moldau revidierte die EBRD ihre Wachstumsprognose um 3,5% nach unten. Sie rechnet nun nur noch mit wirtschaftlicher Stagnation in dem Land. In der Türkei entwickelte sich die Wirtschaft im laufenden Jahr besser als von der Bank erwartet. Sie setzt nun 4,5% Wachstum an. Im Mai hatte sie noch lediglich 2,0 % auf der Rechnung. Der höhere Wert gehe unter anderem auf steigende Exporte nach Russland zurück. Für 2023 prognostizieren die Volkswirte des Instituts unverändert einen Zuwachs von 3,5 %. Die kurzfristige Verschuldung des Landes im Volumen von 180 Mrd. Dollar bleibe allerdings ein Grund zur Sorge und eine Bedrohung der makroökonomischen Stabilität, vor allem weil das Land über wenige Puffer verfüge, um mit einer möglichen Krise umzugehen.
Über die von ihr bearbeiteten Regionen hinweg reduzierte die einst als Osteuropabank bekannte multilaterale Förderbank ihre Schätzung für die Expansion des Bruttoinlandsprodukts um 1,7 Prozentpunkte auf 3,0 %. Die Inflation habe im Juli im Schnitt bei 16,5 % gelegen. Dieses Niveau sei zuletzt 1998 erreicht worden. Die Realeinkommen gingen im Schnitt zurück. In Südosteuropa fielen die Einkommensverluste größer aus. Während die Weizenpreise wieder auf Vorkriegsniveau zurückgekehrt seien, blieben die Ölpreise im historischen Vergleich hoch. Die Regierungen ergriffen eine ganze Reihe von Maßnahmen, um die Auswirkungen auf die privaten Haushalte abzumildern. Mehr als zwei Drittel der Länder subventionierten Brennstoffe. Das sei zwar populär und leicht zu bewerkstelligen, aber mit erheblichen Kosten für den Staat verbunden. Gezielte Unterstützungsmaßnahmen, die größere Kapazitäten in der Verwaltung voraussetzen, kamen weniger häufig zum Einsatz. Lediglich 4 der 36 Länder belegten die Energiebranche mit Sondersteuern (Windfall Tax). Alle von ihnen sind EU-Mitglieder: Griechenland, Rumänien, die Slowakei und Ungarn.