„Eine ausgewachsene Inflation lässt sich nur mit einer Rezession bekämpfen“
Mark Schrörs.
Herr Kater, die Fed hat für die Zukunft geringere Zinserhöhungen signalisiert. Ist das jetzt der Beginn einer Kehrtwende – und damit auch ein Signal für einen bevorstehenden Kurswechsel in der globalen Geldpolitik?
Nein, so waren die Anmerkungen der Fed auch nicht gemeint. Sie weist nur darauf hin, dass sie in diesem Zinserhöhungszyklus zu Beginn sehr stark auf die Tube gedrückt hat. Die Fed muss hier wieder Glaubwürdigkeit aufbauen, nachdem sie die Inflation anfänglich falsch eingeschätzt hatte. Wenn die Fed jetzt kommuniziert, es könnte etwas langsamer weitergehen mit den Zinserhöhungen, dann bedeutet das zunächst vor allem, dass die Zinsen weiter steigen werden. Wann es genug ist, das weiß auch die Fed heute noch nicht.
Zuletzt ist die Kritik an der vielerorts beispiellosen geldpolitischen Straffung gewachsen, weil die Gefahr einer globalen Rezession steigt. Übertreiben die Zentralbanken oder haben sie angesichts der hohen Inflation keine Wahl?
Eine ausgewachsene Inflation wie die gegenwärtige lässt sich überhaupt nur mithilfe einer Rezession bekämpfen, denn nur bei einer solchen schlechten Wirtschaftslage sind die Wirtschaftsteilnehmer bereit, von weiteren Preiserhöhungen Abstand zu nehmen und auch ihre langfristigen Inflationserwartungen wieder nach unten zu korrigieren. Die Auffassung, für die Inflationsbekämpfung auch eine Rezession zu akzeptieren, beruht darauf, dass die langfristigen Schäden eines ausufernden Inflationsprozesses größer sind als die vorübergehenden Schmerzen einer zeitlich begrenzten Rezession. Die gegenwärtige Frage lautet eher, wie tief eine solche Rezession ausfallen muss, um diese Effekte zu erreichen. Hier fehlt der US-Notenbank wie allen anderen Notenbanken leider ein exaktes Maßband, da jeder Inflationsprozess anders ist.
Die große Sorge der Zentralbanken gilt insbesondere einer Loslösung („Entankerung“) der Inflationserwartungen vom verbreiteten 2-Prozent-Inflationsziel – womit sich die hohe Inflation verfestigen könnte. Inwieweit diese Entankerung droht oder sogar bereits eingetreten ist, ist umstritten. Wie schätzen Sie das ein?
Noch genießen die Notenbanken eine enorme Glaubwürdigkeit an den Märkten, hoffentlich werden die Marktteilnehmer hier nicht enttäuscht. Man sieht das daran, dass die langfristigen Renditen an den Kapitalmärkten teilweise unterhalb der kurzfristigen liegen. Das wäre anders, wenn die Akteure den Notenbanken eine Inflationseindämmung nicht mehr zutrauen würden. Dieses enorme Vertrauen haben sich die Zentralbanken in den vergangenen 30 Jahren aufgebaut. Aber wie immer geht ein Vertrauensverlust schneller als der Aufbau. Daher sind derzeit Signale der Notenbanken eminent wichtig, dass man festhält am Stabilitätsziel von etwa 2 % Inflation und dazu auch bereit ist, kurzfristig negative Konjunkturfolgen in Kauf zu nehmen.
Wegen der starken Konjunkturabkühlung und den hohen Energiekosten beschließen immer mehr Staaten fiskalische Hilfen, teils in beträchtlicher Höhe. Ist das richtig oder sorgt das nur für noch mehr Inflation und konterkariert so die Leitzinswende?
Energiesubventionen wirken auf Dauer preistreibend, selbst wenn der deutsche Gaspreisdeckel so konzipiert ist, dass weithin Anreize zum Energiesparen bestehen bleiben. Daher ist es wichtig, dass alle diese Programme temporär angelegt sind. Sie können allenfalls einer Spitzenbelastung wie in diesem Winter begegnen, eignen sich aber keinesfalls für den Dauerbetrieb. Insgesamt sind die fiskalischen Impulse von aufs Jahr gerechnet knapp 2 % in Relation zum BIP in dieser Situation noch nicht inflationär. Sie reduzieren die eher Befürchtungen vor einer allzu tiefen Rezession in Deutschland, auch mit Blick auf die deutlich entspanntere Konjunkturlage in anderen Euro-Staaten.
Mit den weltweit steigenden Zinsen wächst auch die Sorge vor Spannungen im internationalen Finanz- und Währungssystem. Einige warnen gar vor einer neuen Weltfinanzkrise. Für wie groß halten Sie diese Gefahr?
Bislang sind die teilweise sehr starken Marktbewegungen an den Finanzmärkten gut weggeatmet worden. Das Bankensystem ist definitiv stabiler als vor der Finanzkrise vor mehr als zehn Jahren. Auch hier ist die Geldpolitik darauf angewiesen, die Auswirkungen der steigenden Zinsen auf die Finanzmärkte laufend eng zu beobachten. Sollten sich tatsächlich Stresssignale in einzelnen Segmenten zeigen, bleibt den Zentralbanken immer noch ein breites Instrumentarium zur Stabilisierung. In gewissen Grenzen würde dies sogar noch nicht einmal die geldpolitische Straffung konterkarieren.
Wie stark muss die Fed ihren Leitzins nun noch anheben, um die Inflation wieder unter Kontrolle zu bringen, und ist das noch ohne eine tiefe Rezession in den USA möglich?
Nach den Ergebnissen der ökonomischen Modelle von EZB und Fed sollte der jetzt geplante Zinskurs die Wirtschaft ausreichend einbremsen, um die Inflation wieder in den Griff zu bekommen. Leider gelten diese Modelle für die vergangenen Jahre, und der Verdacht liegt nahe, dass sich die ökonomische Mechanik seitdem einmal mehr verschoben hat. Die Geldpolitik ist daher auf einen Prozess von Versuch und Irrtum angewiesen, bis sich das neue Zusammenspiel der makroökonomischen Variablen besser bestimmen lässt.
Auch die EZB erhöht ihre Leitzinsen wie nie und wird dafür auch von führenden EU-Regierungschefs kritisiert – auch weil die Inflation im Euroraum vor allem durch externe Faktoren wie die Energiepreise getrieben sei. Was sollte die EZB jetzt tun und sehen Sie die Gefahr einer erneuten Euro-Staatsschuldenkrise?
Im Gegensatz zu den Sorgen der privaten Haushalte und vieler Unternehmen stehen für die EZB die Energiepreise nicht im Mittelpunkt ihrer Überlegungen. Die EZB kann einzelne Preise wie etwa für Erdgas mit ihren Instrumenten auch gar nicht erreichen. Es geht um den Inflationsprozess in der Breite, der abseits der Energiepreise auch schon bei etwa fünf Prozent liegt. Wer diese Kerninflation nicht ernst nimmt, riskiert die Glaubwürdigkeit des Euros in den kommenden Jahren. Dieses Vertrauen in die Währung jetzt wegen kurzfristiger konjunktureller Bedenken aufs Spiel zu setzen, wäre unverantwortlich. Eine Euro-Krise sehe ich in den kommenden Jahren aufgrund der Hilfsprogramme für die schwächeren Länder nicht. Langfristig bleibt aber der europäische Zusammenhalt eine große Herausforderung.
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