Inflation

Erdogan dringt auf Zinssenkung

Widersprüchliche Äußerungen zur Zinspolitik in der Türkei verunsichern einmal mehr Anleger und Analysten. Auch das Vertrauen der Verbraucher scheint erschöpft.

Erdogan dringt auf Zinssenkung

rec Frankfurt

Erst eine kaum verhohlene Aufforderung des Staatschefs an die Währungshüter, dann eine verbale Beruhigungspille des obersten Notenbankers Richtung Finanzmärkte: Widersprüchliche Wortmeldungen von höchster Ebene zur Zinspolitik in der Türkei haben Devisenhändler und Analysten aufs Neue verunsichert. Sie schickten die Lira zur Wochenmitte auf ein neuerliches Allzeittief. Anlass waren Äußerungen von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, der in einem Fernsehinterview indirekt zu baldigen Zinssenkungen aufrief. Stunden später versuchte Notenbankchef Sahap Kavcioglu entsprechende Spekulationen wieder einzufangen.

Wiederholt hat der erklärte „Zinsfeind“ Erdogan mit Wechseln an der Spitze der Notenbank seine Vorstellungen zum geldpolitischen Kurs durchgedrückt. Nach gerade einmal vier Monaten im Amt musste im März Naci Agbal seinen Posten räumen. Sein Nachfolger Kavcioglu gilt als Gefolgsmann Erdogans. Seitdem hat Erdogan weitere Mitglieder des Entscheidungsgremiums der Notenbank ausgetauscht. Die wiederkehrenden Interventionen haben nach Auffassung von Analysten schwer an der Reputation der Zentralbank gekratzt.

Unter Marktteilnehmern verfestigt sich daher der Eindruck, dass eine Wende zu niedrigeren Leitzinsen zusehends unausweichlich wird. Und das trotz eines anhaltenden Preisschubs: Seit Monaten zieht die Verbraucherpreisinflation in der Türkei auf ohnehin hohem Niveau weiter an. Im Mai erreichte die Teuerungsrate laut den am Donnerstag veröffentlichten Angaben auf Jahressicht 16,6%, nach 17,1% im April (siehe Grafik). Das ist nach verbreiteter Auffassung von Ökonomen kein Umfeld, das eine Lockerung der Geldpolitik rechtfertigt – eher halten sie weitere Zinserhöhungen für geboten. Zumal die Zentralbank angesichts des anhaltenden Preisdrucks ihre Inflationserwartungen bis Jahresende nach oben revidiert hat.

Starkes Auftaktquartal

Nach einem unerwartet starken Auftaktquartal, in dem das Bruttoinlandsprodukt im Vergleich zum pandemiegeplagten Vorjahreszeitraum um 7,0% zulegte, haben sich die wirtschaftlichen Vorzeichen aktuell eingetrübt. Der Einkaufsmanagerindex für die Industrie ist zuletzt auf den tiefsten Stand seit der ersten Coronawelle vor einem Jahr gefallen. Der zwischenzeitliche Drei-Wochen-Lockdown hat auch bei den Konsumenten Spuren hinterlassen: Das Verbrauchervertrauen ist laut der Statistikbehörde Turkstat auf den niedrigsten Stand seit zwei Jahren abgesackt. Gesamtwirtschaftlich deutet das auf schwierige Frühsommermonate hin, wurde das unerwartet kräftige Plus im ersten Quartal doch nicht zuletzt vom privaten Konsum getragen. Schlechte Nachrichten vom Arbeitsmarkt kosten Erdogan Popularität. Zudem ist keinesfalls gesichert, dass der für das Land so wichtige Tourismus in diesem Sommer wieder aufblüht – trotz einer Sonderimpfkampagne für Beschäftigte in dem Wirtschaftszweig, der ein Achtel zur Wirtschaftsleistung beisteuert. So führt die deutsche Bundesregierung die Türkei nach wie vor als Hochinzidenzgebiet – samt entsprechender Quarantänevorschriften bei der Rückkehr.

Staatspräsident Erdogan wird all das nicht entgangen sein. Am Dienstagabend sagte er laut der Nachrichtenagentur Bloomberg im öffentlich-rechtlichen Fernsehsender TRT: „Es ist ein Gebot der Stunde, die Zinsen zu senken.“ Als Zeitpunkt brachte er Juli oder August in Spiel. Kurz darauf sagte Notenbankchef Kavcioglu auf einer Konferenz mit Investoren laut Bloomberg: „Erwartungen an eine frühzeitige Lockerung der Politik, die nicht auf einer angemessenen Begründung beruhen, müssen verschwinden.“

Wie vor einem Jahr zielt Erdogan offenbar wieder verstärkt darauf ab, Investitionen und Konsum mittels reger Kreditvergabe auf Trab zu halten. Beobachter werden nicht müde, die Gefahren einer Kreditschwemme zu betonen, gerade weil türkische Unternehmen relativ stark in Fremdwährungen verschuldet sind. Eine schwache Lira erschwert ihnen den Schuldendienst.