EU-Aufbaufonds könnte kleiner ausfallen als geplant
Von Andreas Heitker, Brüssel
18 Staaten haben bereits ihre nationalen Aufbau- und Resilienzpläne in Brüssel zur Prüfung eingereicht – darunter auch alle großen Euro-Länder. Die EU-Kommission wird diese nun nach elf Kriterien bewerten: den Anteil von Strukturreformen beispielsweise, den von klimabezogenen Investitionen und Ausgaben für den digitalen Wandel. Erst dann wird es für jedes Mitgliedsland einen verbindlichen Rechtsakt geben, dem der Rat noch zustimmen muss. Ab Juli soll dann das erste Geld fließen, wie die EU-Kommission hofft.
Der Wiederaufbaufonds, der die entscheidende Rolle bei der Erholung der europäischen Wirtschaft von der Coronakrise spielen soll, hat insgesamt ein Volumen von 750 Mrd. Euro. Davon sind 672,5 Mrd. Euro direkt für die Mitgliedstaaten vorgesehen, wovon wiederum 312,5 Mrd. Euro in Form von nicht rückzahlbaren Zuschüssen und der Rest über Kredite fließen sollen. Dies war allerdings in Preisen von 2018 gerechnet. Nach aktuellen Preisen summieren sich die Zuschüsse auf 338 Mrd. Euro (siehe Grafik).
Für das laufende Jahr rechnet die EU-Kommission bereits mit einer Mittelaufnahme von 55 bis 60 Mrd. Euro, die im Wesentlichen die 13% Vorfinanzierung der nationalen Projekte abdecken sollen. Nach einer ersten Übersicht der eingereichten Pläne verbunden mit Aussagen aus den 27 EU-Hauptstädten zeigt sich allerdings, dass der Finanzierungsbedarf mittelfristig wohl noch sinken und der Wiederaufbaufonds damit kleiner ausfallen dürfte als geplant. Denn im Gegensatz zu den Zuschüssen wollen viele Länder die angebotenen zinsgünstigen Kredite nicht oder nur teilweise annehmen: Belgien, die baltischen Staaten, Ungarn oder auch die Slowakei wollen gar keine Kredite aus dem EU-Topf. Auch die Bundesregierung dürfte finanziell besser damit fahren, ihre Finger von den EU-Krediten zu lassen. Spanien, Portugal oder auch Polen bleiben wohl deutlich hinter dem Maximalbetrag zurück.
Ganz sicher kann man dies zurzeit noch nicht sagen, da die Regierungen auch 2022 noch neue Projekte zur Finanzierung einreichen können. Die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) schätzt in einer aktuellen Analyse allerdings, dass es auf eine Darlehensinanspruchnahme von rund 256 Mrd. Euro hinausläuft. Das Maximalvolumen läge nach aktuellen Preisen bei 382 Mrd. Euro. Das heißt: Für 126 Mrd. Euro aus dem Wiederaufbautopf könnte es keine Verwendung geben – mit entsprechenden Folgen für das Funding der Kommission. Auch einer zwischenzeitlich immer wieder aufflammenden Debatte, ob der Wiederaufbaufonds vielleicht aufgestockt werden müsse, wäre damit der Boden entzogen.
Aber bringt das einmalige Corona-Hilfsprogramm der EU auch wirklich den erhofften Modernisierungsschub für die europäische Wirtschaft? Grundlegende strukturelle Schwächen sieht die EU-Kommission in den bislang vorliegenden nationalen Finanzierungsplänen nicht mehr. Die Brüsseler Behörde hatte mit den einzelnen Regierungen allerdings ihre jeweiligen Entwürfe auch schon vor der offiziellen Einreichung intensiv diskutiert und zumindest die größten Schwächen vorab ausradieren können. Wie Kommissionsvize Valdis Dombrovskis kürzlich im EU-Parlament einräumte, waren dabei vor allem die fehlenden Strukturreformen immer wieder Gesprächsthema.
„Gute Balance“ gesucht
Eine „gute Balance zwischen Reformen und Investitionen“ wie sie jetzt die Kommission sieht, können viele EU-Abgeordnete aus allen politischen Lagern bisher allerdings noch nicht erkennen. „Fast alle bisher eingereichten Pläne haben leider eines gemein: Sie sprühen nicht gerade vor Reformeifer“, moniert etwa der CSU-Finanzexperte Markus Ferber. Solange die Ausgabenprogramme aber nicht von einer Reformagenda begleitet würden, würden sich strukturelle Wachstumsprobleme kaum beseitigen lassen.
Das EU-Parlament, das den Wiederaufbaufonds wohl mit den ambitioniertesten Zielen begleitet hat, hat jetzt allerdings kein Mitspracherecht mehr. Und so bleiben nur Appelle an die Kommission. Man müsse alles daransetzen, „faule Äpfel, also schlechte Projekte, in den nationalen Plänen aufzuspüren“, betont der Volt-Abgeordnete Damian Boeselager. Auch das Parlament suche nun nach umweltschädlichen oder wettbewerbsfeindlichen Programmen und nach ungenügenden Reformen.