Lorenzo Bini Smaghi

„Europa muss Probleme gemeinsam angehen“

Mit dem Regierungswechsel in Rom wächst die Befürchtung, dass Italien wieder zum Sorgenkind wird. Top-Banker und Ex-Notenbanker Lorenzo Bini Smaghi über die Lage und Zukunft seines Heimatlandes.

„Europa muss Probleme gemeinsam angehen“

Mark Schrörs.

Herr Bini Smaghi, das Rechtsbündnis um Giorgia Meloni hat den erwartet klaren Wahlsieg eingefahren. Was bedeutet der Rechtsruck für das Land?

In den vergangenen fünf Jahren gab es in Italien drei verschiedene Koalitionsregierungen, jede mit einer an­deren Kombination von Parteien, von Rechts und Links. Melonis Partei war die einzige, die in dieser Zeit im­mer in der Opposition blieb und daraus Kapital schlagen konnte. An­dererseits sind sich die drei Parteien der Mitte-rechts-Koalition nicht un­bedingt in allen Fragen einig. Aber das starke Ergebnis von Meloni wird den Schwerpunkt nach rechts verlagern. Gewiss werden bestimmte Themen wie Einwanderung, Bürgerrechte und Steuern unter einem anderen Blickwinkel als in der jüngsten Vergangenheit behandelt werden.

Wird der Regierungswechsel auch zu einem deutlichen wirtschaftspolitischen Kurswechsel führen – mit steigender Staatsverschuldung und weniger Reformen?

Das ist der am schwierigsten zu prognostizierende Punkt. Während des Wahlkampfs war Meloni im Gegensatz zu den anderen Parteien sehr vorsichtig mit der Forderung nach großen Haushaltserhöhungen. Sie ist sich bewusst, dass Italien weniger Spielraum als andere Länder hat, um die aktuellen Schwierigkeiten zu be­wältigen, und nicht riskieren kann, die Märkte zu verunsichern. Die Wahl des Finanzministers wird in dieser Hinsicht entscheidend sein. Ich erwarte, dass ein wesentlicher Unterschied zu Mario Draghis Regierung die Rolle des Staates in der Wirtschaft betreffen könnte, insbesondere die Präsenz in einigen Schlüsselsektoren wie Verkehr, Telekommunikation und Banken. Über diese Fragen werden einige harte Diskussionen mit der Europäischen Kommission geführt werden müssen.

Wegen der Energiekrise gibt es in Italien Forderungen nach neuen Staatshilfen. Ist das nö­tig und angesichts der hohen Staatsverschuldung überhaupt möglich?

Meloni hat erklärt, dass der nationale Konjunktur- und Resilienzplan neu diskutiert werden müsse, auch wenn nicht klar ist, in welchen Bereichen. Es wird für Italien sicherlich schwierig sein, mehr Mittel zu erhalten. An­dererseits könnte die Inflation eine Überarbeitung einiger der vereinbarten Projekte und eine Neuordnung der Prioritäten erfordern. Ich hoffe, dass die von der Regierung Draghi beschlossenen Strukturreformen nicht in Frage gestellt werden.

Meloni und ihre Partei Fratelli d’Italia gelten als sehr europakritisch. Auf was muss sich Europa jetzt einstellen? Droht wieder weniger Einigkeit und mehr Nationalismus?

Es heißt oft, dass andere Länder, wie Deutschland und Frankreich, ihre nationalen Interessen in Europa effektiver verteidigt hätten, während Italien sich eher herablassend verhalten habe. Außerdem haben einige Ereignisse und Erklärungen in der Vergangenheit in Italien den Eindruck erweckt, dass die europäischen Institutionen und andere Länder Italiens Politik unangemessen einschränken oder beeinflussen wollen. Das sind grundlegende Missverständnisse, die auf beiden Seiten ausgeräumt werden müssen. Wahrscheinlich ist man sich in Rom immer noch nicht im Klaren darüber, wie Diskussionen auf EU-Ebene ablaufen, zu denen auch die Bildung von Koalitionen und enge bilaterale Be­ziehungen zu den Partnerländern gehören.

Meloni sagt von sich, sie hege eine „gewisse Abneigung“ gegen Deutschland. Droht zwischen Rom und Berlin eine Eiszeit?

Offen gesagt spiegelt das eine in Italien weit verbreitete Ansicht wider, wonach Europa weitgehend von Deutschland beherrscht wird, das die EU zur Durchsetzung eigener Interessen nutzt. Das ist der Grund, warum jede Abneigung oder jedes Misstrauen gegenüber der EU zu ei­ner Ab­neigung und einem Misstrauen gegenüber Deutschland führt. Eine solche Haltung ist verständlich, wenn eine Partei in der Opposition ist, aber sie ist nicht haltbar und kontraproduktiv, wenn sie an der Regierung ist. Es wird viele Diskussionen und Klärungen von beiden Seiten erfordern, aber am Ende werden die Verbindungen zwischen den beiden Ländern stark bleiben. Scholz wäre klug beraten, wenn er Meloni zu ihrer ersten Auslandsreise nach Berlin einladen würde.

An den Finanzmärkten gilt Italien jetzt wieder als politischer Wackelkandidat. Wie groß ist die Gefahr, dass nun kurz- und mittelfristig die Staatsanleiherenditen wieder deutlich anziehen? Droht gar eine neue Euro-Krise?

Ich sehe nichts Ähnliches wie in der Euro-Krise 2011 und 2012. Italien hat jetzt einen Leistungsbilanzüberschuss und seine Banken sind solider. Italiens Problem ist das geringe Wachstum, das in erster Linie Strukturreformen erfordert. Andererseits befinden wir uns inmitten eines Krieges und einer weltweiten Rezession. Europa muss diese Probleme ge­meinsam angehen, anstatt dass jedes Land in eine andere Richtung marschiert. Eine übermäßige Kreditaufnahme wäre ebenso falsch wie eine übereilte Rückkehr zur schwarzen Null. Die Märkte müssen die Gewissheit haben, dass die EU-Länder ihre politischen Maßnahmen zur Bewältigung der Krise innerhalb eines kohärenten Rahmens durchführen können, der nicht unbedingt gemeinsame Instrumente erfordert, aber die Integrität des Systems schützt.

Falls die Renditen deutlich steigen, sollte die EZB Italien dann mit Staatsanleihekäufen unterstützen – selbst wenn es fundamentale Gründe für den Anstieg wie schwächeres Wachstum, eine restriktivere Geldpolitik und ein erhöhtes politisches Risiko gibt?

Die EZB hat eine neue Strategie verabschiedet, die neue Instrumente umfasst, um Divergenzen bei der Übertragung der Geldpolitik anzugehen. Diese Instrumente stärken die Fähigkeit der EZB, ihr primäres Mandat, nämlich die Preisstabilität, zu erfüllen. Die Erfahrung zeigt nämlich, dass die EZB am wirksamsten sein kann, wenn ihre Maßnahmen einheitlich wirken. Dies wird in Deutschland nicht immer in vollem Umfang verstanden, da immer wieder die Befürchtung geäußert wird, die EZB könne Geld verlieren oder Regierungen finanzieren. Tatsächlich haben in den vergangenen 25 Jahren weder die EZB noch die Bundesbank Geld verloren. Im Jahr 2011 musste die EZB ihre Zinserhöhung wegen der Spannungen innerhalb der Eurozone zurücknehmen. Diesmal hingegen wurden die Zinsen angehoben und werden weiter steigen, ohne dass es zu größeren Spannungen im System kommt. Dafür sollte die EZB gelobt werden.

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