Expertengruppe fordert Klimaschutz als deutsche Staatsräson
ast Frankfurt
Eine ungewöhnliche Allianz aus Ökonomen, Klimaforschern und Vertretern der Wirtschaft fordert von der künftigen Bundesregierung radikale Änderungen in der Klimapolitik. In Berlin stellte das Bündnis am Donnerstag einen neuen Aktionsplan in Buchform vor, der den Parteien – ganz gleich, wer am Ende regiert – den Weg in Richtung Klimaneutralität bis 2030 weisen soll. Unter dem Titel „Deutschlands neue Agenda“ stellen die Autoren mehrere zentrale Forderungen auf: Der schnellere Ausbau der erneuerbaren Energien sei grundlegend für das Erreichen der Klimaziele, zudem brauche das Land eine Wasserstoff-Infrastruktur, einen flächendeckenden CO2-Preis und es müsse vor allen Dingen in der Digitalisierung Fortschritte geben.
„In Deutschland entsteht etwas Neues und wir kommen zusammen, um die Klimaneutralität bis 2045 zu erreichen“, sagte der Chef des Umweltbundesamtes (UBA), Dirk Messner. „Es ist eine einmalige Situation, wie wir hier beisammensitzen“, sekundierte Stefan Schaible, Global Managing Partner bei Roland Berger, der bei der Präsentation die Seite der Wirtschaft vertrat. Er fügte hinzu: „Die Klimaneutralität kann keine deutsche und auch keine europäische Veranstaltung sein. Es muss eine internationale Veranstaltung sein, in der Deutschland eine tragende Rolle spielen kann.“
Der Klimaschutz müsse endlich Chefsache werden, forderte Messner. Dass sich wie bisher in erster Linie das Bundesumweltministerium mit dem Thema beschäftige, reiche nicht mehr aus. Alle Gesellschafts- und Wirtschaftsbereiche seien betroffen, daher gehöre das Thema ins Kanzleramt. Unabhängig von den personellen Zuständigkeiten betonen die Autoren, dass man keine Zeit mehr habe für Selektivität. „Wir müssen jetzt in allen Sektoren vorankommen“, so Messner. „Wir dürfen uns nicht mehr im Klein-Klein-Gestrüpp verheddern. Das würde zu großen Transaktionskosten führen und wir haben keine Zeit mehr.“
Tiefgreifende Modernisierung
Der Schulterschluss vieler Akteure, die bereits an der Verschriftlichung der nun vorgestellten Roadmap beteiligt waren, mache Hoffnung, sagte Mitautorin Veronika Grimm, Ökonomin und Mitglied der Sachverständigenrates, der die Bundesregierung in gesamtwirtschaftlichen Fragen berät. „So werden viele Perspektiven auf Politik und Wirtschaft eingeschlossen, die aus unterschiedlichen Blickwinkeln und mit unterschiedlichen Anliegen auf die Frage blicken, wie die Klimaneutralität erreicht werden kann“, so Grimm.
Als zweite grundsätzliche Bedingung für das Erreichen der Klimaziele sieht das Bündnis die Modernisierung des Staates. Vieles könne digitalisiert werden und so könnten etwa Genehmigungs- und Planungsverfahren beschleunigt werden. Denn die gelten nicht zuletzt beim Ausbau der erneuerbaren Energien – ohne die es nach Ansicht der Autoren gar nicht weitergehen kann – als größte Bremser. Auch beim Aufbau einer Infrastruktur für grünen Wasserstoff, die die Experten fordern, geht es nicht zügig voran. Diese aber werde dringend gebraucht, um etwa energieintensive Sparten wie die Stahlindustrie oder die Autofertigung klimaneutral zu gestalten.
Neben dem Konsens von Wirtschaft, Politik und Wissenschaft sei aber nicht zu vernachlässigen, dass auch die Gesellschaft an Bord bleibe. Daher müsse der CO2-Preis ausgebaut und mit einer sozialen Dimension verknüpft werden, fordert UBA-Chef Messner. Das heißt, ein Teil der Einnahmen müsse zurückgegeben werden, um die Haushalte bei den Energiekosten zu entlasten.
Wenn die neue Koalition den Forderungen folge, sei der Weg zur Klimaneutralität nicht nur zu schaffen, sondern biete auch neue Wertschöpfungspotenziale für die Wirtschaft, betonte Grimm. Bereits in den vergangenen Jahren habe man ein enormes Innovationspotenzial in der deutschen Wirtschaft heben können, was grüne Technologien und eine grundsätzliche Modernisierung angehe, ergänzte Schaible.