EZB kappt Extragewinne der Banken
ms/rec Frankfurt
Die Europäische Zentralbank (EZB) kappt die risikofreien Extragewinne der Banken infolge der rapiden Zinswende. Zu diesem Zweck ändert sie mit einem Vorlauf von vier Wochen die Konditionen für spezielle Refinanzierungsgeschäfte der Banken aus der Coronakrise. Außerdem stellt sie die Verzinsung der Mindestreserven um.
Mit diesen Beschlüssen reagiert der EZB-Rat auf ein Phänomen, das für immer mehr Kritik sorgt. Im Zuge der Coronakrise hat die EZB den Banken auf Jahre hinaus große Summen Liquidität zu sehr vorteilhaften Konditionen zur Verfügung gestellt. Durch die ungeahnt schnelle Zinswende streichen die Banken nun satte Zinsgewinne ein, indem sie das Geld wieder bei den Notenbanken parken. Je höher die Leitzinsen steigen, desto höher die risikolosen Zinsgewinne der teilnehmenden Banken.
Mit der jetzigen Zinserhöhung um 75 Basispunkte wird das Problem mit den speziellen Refinanzierungsgeschäften – im Fachjargon TLTRO – umso drängender. Denn großteils werden die via TLTRO seit 2020 ausgereichten Zentralbankkredite erst Mitte 2023, teils sogar 2024 fällig. Deshalb will die EZB die Banken nun dazu bewegen, diese zumindest teilweise vorzeitig zurückzahlen.
Dafür hat der EZB-Rat folgende Lösung beschlossen: Zum einen koppelt er die Zinsen für die Refinanzierungsgeschäfte an die „maßgeblichen EZB-Leitzinsen“. Gemeint ist der Durchschnittswert der drei Leitzinssätze. Die Regelung gilt ab 23. November. Für die Banken wird es ab diesem Stichtag also teurer, Geld aus den TLTRO-Operationen bis zur Fälligkeit zu halten. Im Gegenzug bietet die EZB drei zusätzliche Termine an, zu denen Banken TLTRO-Mittel vorzeitig zurückzahlen können.
Ferner gilt: Die vorgeschriebenen Mindestreserven der Banken bei den Notenbanken werden zum Einlagensatz verzinst – und damit etwas geringer als gewohnt. Bislang ist der um einen halben Prozentpunkt höhere Hauptrefinanzierungssatz maßgeblich. Begründung: So sei die Vergütung besser mit den Geldmarktsätzen in Einklang zu bringen. Die neue Regelung greift aber erst ab 21. Dezember. Bis dahin dürfte der Einlagensatz, der nun bei 1,5% liegt, wie die übrigen Leitzinsen voraussichtlich ein weiteres Mal steigen.
Im Vorfeld der Ratssitzung hatten Analysten weitere Optionen eruiert, darunter eine Art Staffelzins für Einlagen bei den Notenbanken. Einige machten rechtliche Bedenken geltend, wenn die EZB nachträglich die Geschäftsbedingungen im Umgang mit den Banken ändert. Eine entsprechende Nachfrage ließ Lagarde in der Pressekonferenz abperlen: Mögliche Rechtsrisiken seien Teil der Risikoabwägung gewesen. Dies sei die effizienteste Lösung, um sicherzustellen, dass die Geldpolitik gut wirkt. Die Banken bekämen eine Übergangsphase, um sich umzustellen.
Von dort kommt postwendend breite Kritik. „Mit einem schnellen Bilanzabbau hätte die EZB ihr Ziel besser und mit weniger Nebenwirkungen erreichen können“, sagt Marija Kolak, Chefin des Verbands der Volks- und Raiffeisenbanken (BVR). Andere wie Sparkassenpräsident Helmut Schleweis kritisieren, die Häuser hätten sich auf die vertraglich festgelegten Konditionen verlassen. Dagegen hält die Bürgerbewegung Finanzwende „den Stopp der Bankensubventionen“ für überfällig.
EZB-Bilanz im Fokus
Eine vorzeitige Rückzahlung der TLTRO-Kredite wäre auch ein erster Schritt, die auf rund 9 Bill. Euro aufgeblähte EZB-Bilanz zu reduzieren. Mit der fortschreitenden Zinsnormalisierung erscheint es immer weniger zu rechtfertigen, dass der geldpolitische Stimulus über die Bilanz ungemindert fortgesetzt wird. Noch mehr im Fokus stehen die Anleihebestände in Höhe von rund 5 Bill. Euro. Aktuell reinvestiert das Eurosystem Gelder aus fällig werdenden Papieren und hält so die Notenbankbilanz konstant. In einem ersten Schritt könnten nun die Reinvestitionen beim Staatsanleihekaufprogramm APP beschnitten werden. Lagarde verwies dazu auf die nächste Zinssitzung am 15. Dezember. Dann werde die EZB „Grundprinzipien“ verkünden.
Was die Leitzinsen betrifft, stellte der EZB-Rat weitere Erhöhungen in Aussicht. Lagarde ließ sich aber nicht in die Karten schauen. Das werde nun von Sitzung zu Sitzung entschieden. Drei Faktoren seien ausschlaggebend: der Ausblick für die Inflation, die bisherigen Schritte und die zeitliche Verzögerung geldpolitischer Maßnahmen. Sie betonte stärker als zuvor das Rezessionsrisiko. Viele Experten werteten das als Signal, dass weitere Zinserhöhungen geringer ausfallen und womöglich bereits im Frühjahr 2023 die Anhebungen beendet werden könnten.