Klimaschutz

Finanzspekulation im Emissionshandel birgt Risiken für Klimaschutz

Der Handel mit Emissionsrechten ist ein zentrales Instrument der Klimapolitik. Die steigenden CO2-Preise locken neue Akteure in den Emissionshandel. Das birgt Risiken für den Klimaschutz, schreibt Michael Pahle, Abteilungsleiter im Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.

Finanzspekulation im Emissionshandel birgt Risiken für Klimaschutz

Der europäische Emissionshandel (EU-ETS) ist das zentrale Instrument der Europäischen Union (EU) zur Erreichung ihrer durch den Green Deal noch ambitionierteren Klimaziele – und immer mehr eine gute Finanzanlage. Der Preis für Zertifikate im EU-ETS hat sich im Lauf des letzten Jahres nahezu verdreifacht. Legt man den zwischenzeitlichen Höchstpreis von 90 Euro pro Tonne Anfang Dezember 2021 zugrunde, entspricht das einem Wertzuwachs von 900% in gerade einmal vier Jahren. Rückblickend waren Zertifikate also eine äußert ertragreiche Geldanlage. Wenig verwunderlich ist daher, dass mit dem Preis auch die Zahl der Finanzmarktakteure im EU-ETS angestiegen ist. Sie hat sich um rund das Zehnfache erhöht, allen voran Fonds und Investitionsbanken.

Nicht zuletzt diese umfangreichen Markteintritte ließen bei verschiedenen EU-Mitgliedstaaten den Verdacht aufkommen, dass die Preise im EU-ETS durch Spekulation anstatt Fundamentaldaten getrieben werden.  Am deutlichsten wurde der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, der öffentlich konstatierte, dass der EU-ETS anfällig für Spekulationsmechanismen sei und dazu benutzt werde, den Preis für Emissionen künstlich in die Höhe zu treiben. Weiterhin forderte er, der unkontrollierten Spekulation Einhalt zu gebieten, weil sich sonst Planung und wirksame Umsetzung der Klimaziele als unmöglich erweisen würden. So mancher verstand das weniger als Initiative zum Schutz des EU-ETS, sondern als Angriff auf den Emissionshandel – was unterstreicht, wie politisiert die Debatte ist.

In Reaktion darauf beauftragte die EU-Kommission die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA), das Marktgeschehen im EU-ETS zu überprüfen. Der erste Bericht wurde im November 2021 veröffentlicht. Weil er nur vorläufig ist, umfasst er noch keine abschließenden Bewertungen bzw. Empfehlungen. Aus den Daten und Analysen wird jedoch klar, dass der Einfluss der neuen Finanzmarktakteure auf den Markt noch ein relativ überschaubares Phänomen ist: Im dritten Quartal 2021 betrug ihr Anteil am Handel in den für etwaige Spekulation relevanten Terminmärkten lediglich 8%. Der Großteil des Marktvolumens entfiel auf das Hedging von regulierten Unternehmen bzw. finanzielle Intermediäre wie Banken, die als Gegenpartei in diesen Absicherungsgeschäften auftreten. Besteht also kein Grund zur Sorge?

In einer aktuellen wissenschaftlichen Studie kommen Simon Quemin und ich in einem wesentlichen Aspekt zu einem anderen Schluss. Schaut man sich die Handelsvolumen allein im Rückblick auf die letzten Jahre an, sprechen die Daten klar für sich: Ebenso wie die ESMA stellen wir fest, dass die Terminmärkte bisher vorwiegend zum Hedging genutzt worden sind. Wir kommen allerdings zu einer anderen Einschätzung im Hinblick darauf, wie sich das Verhalten und die Rolle der Finanzmarktakteure in Zukunft entwickeln könnten. Kurz gesagt könnten sie eine Gefahr für das Funktionieren des Emissionshandels darstellen und angesichts seines Stellenwerts auch für die EU-Klimapolitik insgesamt. Zur Einordnung ist zu sagen, dass es nicht das Mandat der ESMA ist, auch die möglichen zukünftigen Entwicklungen im EU-ETS betrachten.

Unsere Einschätzung beruht im Wesentlichen auf der Extrapolation aktueller Trends von Nachfrage und Angebot an Zertifikaten.  Konkret schauen wir uns an, welche Handelsstrategien die neuen Finanzmarktakteure verfolgen. Hier zeigt sich, dass Emissionszertifikate nicht nur als neue Vermögensklasse in klassischen Anlagestrategien zum Einsatz kommen, sondern zunehmend auch für die Absicherung gegen Risiken der klimapolitischen Transformation, auf anderen Rohstoffmärkten oder sogar der Inflation. Darüber hinaus entstehen neue börsengehandelte Fonds für Kleinanleger, die z.B. gezielt unter umweltbewussten Anlegern damit werben, dass ein Kauf von Zertifikaten zu einem höheren (Preis-)Druck auf regulierte Unternehmen führt. Von den ethischen Fragen zu diesem Trend einmal abgesehen, würde eine Skalierung dieser Handelsstrategie dazu führen, dass die Volatilität im Markt steigt und die Preise nicht mehr durch die Fundamentaldaten des Klimaschutzes – sondern immer stärker durch die Fundamentaldaten anderer Märkte und (un)ethischer Motive getrieben werden. Hinzu kommt, dass im Emissionshandel „per Design“ die Zahl der Zertifikate im Lauf der Jahre sinken muss. Die anstehende Reform des EU-ETS zur Umsetzung des Green Deals wird diese Verknappung deutlich verstärken. Das macht das Anlegen in Zertifikate zu einer „one-way bet“. Auch mögliche Marktmanipulation durch strategisches Horten von Zertifikaten z.B. durch große Investmentfonds wird damit perspektivisch zu einer Gefahr für den Emissionshandel werden.

Will sich die Politik auf diese Risiken vorbereiten, sollte sie drei Dinge tun. Erstens sollte sie die Datenverfügbarkeit und -qualität im Emissionshandel erhöhen, um die neuen Formen des Handels genauer erfassen zu können. Wir kennen zwar die neuen Anlagestrategien, über die entsprechenden Marktvolumen und ihre Auswirkungen auf den Preis lässt sich mit den verfügbaren Daten aber nichts sagen. Zweitens sollte die Politik neue Analysemethoden einsetzen und bessere Klassifizierungen entwickeln, um exzessive Spekulation früher und besser erkennen zu können. Dafür machen wir in unserer Studie erste Vorschläge. Drittens sollte eine eigene Marktaufsichtsbehörde geschaffen werden, die Klima- und Finanzmarktgesichtspunkte integriert betrachtet und Empfehlungen für die Politikentwicklung geben kann. Insbesondere mögliche Spekulation auf regulatorische Änderungen im Rahmen des „Fit for 55“-Pakets ist dabei zu beachten. 

Bessere Überwachung nötig

Diese Maßnahmen früh in Angriff zu nehmen ist essenziell, da bloßes Abwarten tiefgreifende Folgen für die regulierten Wirtschaftszweige und für die Verbraucher haben kann. Wenn hingegen jetzt eine bessere Überwachung und integrierte Regulierung eingeführt wird, kann dies das EU-ETS vor exzessiven Finanzspekulationen in der Zukunft schützen und so den Weg für eine strengere und robustere CO2-Bepreisung ebnen – auch in anderen Emissionshandelssystemen wie in China, Südkorea und insbesondere Kalifornien, wo sich ähnliche Trends abzeichnen.