Gasnotlage schürt Rezessionssorgen
Von Alexandra Baude, Frankfurt
Weniger Wachstum, mehr Inflation: Auf diese Formel lassen sich die direkten und indirekten ökonomischen Folgen des Ukraine-Kriegs für die Euro-Wirtschaft bringen. Die Europäische Zentralbank (EZB), die in dieser Woche die avisierte Zinswende auf den Weg bringen wird, priorisiert seit einigen Wochen explizit den Kampf gegen die viel zu hohe Inflation. Sorgen vor einer Wirtschaftsabkühlung oder gar Rezession stehen momentan erkennbar zurück.
Dabei steigt die Rezessionsgefahr angesichts der sich immer weiter zuspitzenden Gaskrise. Denn es ist unklar, ob nach Ende der planmäßigen Wartungsarbeiten an der Pipeline Nord Stream 1 am 21. Juli wieder Gas fließt – und in welcher Menge. Sollte Russland den Gashahn tatsächlich komplett zudrehen, drohe in der zweiten Jahreshälfte 2022 eine Rezession, warnte EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni bei der Vorstellung der Sommer-Konjunkturprognose der EU-Kommission. Angesichts der jüngsten Entwicklungen sei dies mehr als ein hypothetisches Szenario: „Ein Sturm ist möglich, aber so weit sind wir noch nicht“, so Gentiloni.
In dieser Woche will die Brüsseler Behörde daher einen Notfallplan vorlegen – unter anderem mit dem Aufruf zu einem sofortigen umfassenden Gas-Sparprogramm. Darin will sie auch festhalten, dass Privathaushalte zuletzt Abstriche machen müssen. Denn Alternativen zur russischen Energie sind so schnell nicht in Sicht: Der Ausbau erneuerbarer Energien stockt etwa hierzulande – nicht zuletzt wegen des Fachkräftemangels –, und die Infrastruktur zum Import von Flüssigerdgas (LNG) konzentriert sich auf die Küstenstaaten. Die Binnenländer müssen per Straße oder Schiene versorgt oder das LNG muss wieder gasifiziert und dann über Pipelines transportiert werden. Zudem trägt LNG als fossiler Brennstoff zum Klimawandel bei.
Weitere Nahrung für die Rezessionssorgen kommt von den infolge des Ukraine-Kriegs rasant steigenden Energie- und Lebensmittelpreisen. Auch wenn sich bei einigen (Industrie-)Rohstoffen nach den jüngsten Höchstständen eine leichte Entspannung ergeben hat: Bei den Energierohstoffen Rohöl, Kohle und Gas legten die Preise im Juni erneut zu. Die höheren Energiekosten schlagen Firmen peu à peu auf Dienstleistungen und Güter um, wodurch der Preisdruck insgesamt steigt.
Die hohe Inflation schmälert die Kaufkraft der Haushalte. Deren Ausgaben sind sonst solider Wachstumsbringer. Die Verbraucherstimmung ist aber derzeit so trübe wie seit Beginn der Corona-Pandemie nicht mehr. Der private Konsum wird sich daher wohl trotz der nach wie vor robusten Lage am Arbeitsmarkt und der vom Statistikamt Eurostat registrierten Sparquote von 15% des verfügbaren Bruttoeinkommens im ersten Quartal nicht so stark erholen wie erhofft. Zum Vergleich: Im zweiten Quartal 2020, zur Hochzeit der Coronakrise, sparten die Eurobürger rekordhohe 25,2%. Im ersten Quartal ist der private Konsum um 0,7% zum Vorquartal gesunken, im Schlussquartal 2021 um 0,3%. Da die Inflation allenfalls langsam sinken wird, dürften die Verbraucher Ende des Sommers den Geldbeutel fester zuhalten. Das wird ins Kontor der Dienstleister schlagen.
Zwar erwarten auch die Unternehmen laut regelmäßigen Stimmungsumfragen wie jenen unter Einkaufsmanagern eine Ausweitung der Wirtschaftsaktivität. Ihr Blick in die Zukunft fällt allerdings zunehmend weniger rosig aus. Dies wird sich wiederum negativ auf die Investitionen auswirken. Die Industrie, die für 26% der gesamten Wertschöpfung im Euroraum steht – Dienstleister machen fast drei Viertel aus –, wird also gleichfalls in diesem Jahr nicht mehr so recht in Schwung kommen.
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