Geldpolitik in herausfordernden Zeiten
Geldpolitik in herausfordernden Zeiten
Klimawandel, Disruption durch KI und Alterung der Gesellschaft fordern die EZB.
Von Martin Pirkl, Frankfurt
Die wirtschaftlichen Schäden durch den Klimawandel drohen weitaus größer zu werden als bislang angenommen. Zu diesem Schluss kommt das Network for Greening the Financial System (NGFS), ein Netzwerk von Zentralbanken und Finanzaufsichtsbehörden aus aller Welt, in einer im November vorgestellten Untersuchung. Den neuen Berechnungen der Wissenschaftler zufolge würde das globale Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei einer Beibehaltung der aktuellen Klimapolitik bis 2050 nicht wie bislang angenommen um rund 6% niedriger ausfallen im Vergleich zu einem hypothetischen Szenario ohne Klimawandel, sondern um beinahe 15%.
Schuld an der Revision ist nicht eine Verschlechterung der globalen Klimapolitik. Die deutlich düstere Prognose des NGFS ist durch eine Verbesserung des Modells entstanden. Bislang wurde nur die Veränderung der Durchschnittstemperatur berücksichtigt. Nun fließen auch andere Variablen wie etwa das Ausmaß der Temperaturschwankungen, die gesamte Niederschlagsmenge pro Jahr oder die Anzahl der Tage mit extremen Regenfällen mit ein.
Grüne Transformation dringlich
Durch die Modellanpassungen hat sich nicht nur die Prognose für das Szenario einer gleichbleibenden Klimapolitik verschlechtert. Auch wenn es der Staatengemeinschaft tatsächlich gelingen sollte, bis 2050 netto keine Emissionen mehr auszustoßen (Net Zero), wären die wirtschaftlichen Schäden des Klimawandels weit höher als bislang angenommen. Hinzu kommt: Die Realität könnte immer noch negativer sein, als es das Modell derzeit abbildet. Sozioökonomischen Auswirkungen des Klimawandels, wie etwa Migration, oder bestimmte Kipppunkte fürs Klima sind noch gar nicht berücksichtigt. „Die tatsächlichen Auswirkungen des Klimawandels auf die Wirtschaft könnten somit womöglich schwerwiegender ausfallen, als die Szenarien derzeit prognostizieren“, teilt das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung mit, das mit dem NGFS kooperiert.
Die angepassten NGFS-Prognosen verdeutlichen zum einen die Dringlichkeit der grünen Transformation der Wirtschaft. Denn es bleibt auch mit dem neuen Modell dabei: Die wirtschaftlichen Kosten des Umbaus der Wirtschaft sind deutlich geringer als die Kosten, die durch Nichtstun entstehen. Zum anderen zeigen die neuen Prognosen aber auch, dass in der Klimaforschung noch viel Arbeit zu tun ist.
Nicht trivial
Ökonomen bescheinigen der EZB und den nationalen Notenbanken des Eurosystems, die zum NGFS gehören, jedoch große Fortschritte auf dem Gebiet in den vergangenen Jahren. Für Notenbanken ist es zentral, die Folgen des Klimawandels auf das Wirtschaftswachstum und vor allem die Inflation abschätzen zu können. Das ist keine triviale Aufgabe. Nicht nur, weil Unsicherheit über die Klimapolitik der kommenden Jahre herrscht. Während Ernteausfälle zu höheren Preisen führen, senkt eine niedrigere Wirtschaftsleistung die Inflation. „Die grüne Transformation wird wiederum zunächst inflationsverstärkend wirken“, sagt IW-Ökonom Markus Demary. Zudem muss die EZB für ihre Geldpolitik berücksichtigen, welche Effekte temporär sind, und welche über einen längeren Zeitraum anhalten. Auf temporäre Effekte sollte die EZB nicht mit Zinsanpassungen reagieren.
Und es gibt weitere Auswirkungen des Klimawandels. „Der Klimawandel könnte zu einer höheren Volatilität bei der Inflation führen“, sagt ZEW-Ökonom Friedrich Heinemann. Bei der Messung der Inflationserwartungen erwartet Demary ebenfalls Herausforderungen. „Inflationserwartungen in Zeiten der Transformation zu messen ist schwierig, da sich der offizielle Warenkorb zur Berechnung der Inflation nur nach und nach anpasst.“ So dauert es, bis neue Technologien, die für die grüne Transformation nachgefragt werden, auch im statistischen Warenkorb aufgenommen werden.
Kritik an grüner Geldpolitik
Ökonomen sind sich einig, dass die EZB für die Geldpolitik die wirtschaftlichen Effekte des Klimawandels verstehen muss. Aber sie sind sich auch weitgehend einig, dass ein grünes Mandat für die Notenbank keine gute Idee wäre. „Für die Förderung des Klimaschutzes ist die Europäische Investitionsbank (EIB) zuständig, nicht die EZB“, sagt Demary. „Die Politik sollte lieber die EIB stärken, als der EZB ein grünes Mandat zu geben.“
„Die Kommunikation der EZB der vergangenen Jahre war ein Fehler“, meint Heinemann. „Lagarde hat eine Zeitlang mehr über das Klima gesprochen als über die Preisstabilität. Dadurch ist bei manchen der Eindruck entstanden, dass die EZB ihr Mandat vernachlässigt.“
Strukturell höhere Inflation
Neben dem Klimawandel wird auch der Megatrend KI relevante Auswirkungen auf die Inflation haben. „Der zunehmende Einsatz von KI dürfte wegen der Produktivitätssteigerungen inflationsdämpfend sein“, meint Demary. Nichtsdestotrotz geht er wie eine Reihe von Ökonomen davon aus, dass die Inflation unter dem Strich strukturell höher sein dürfte als vor der Pandemie. In der Folge dürfte der nominale Leitzins höher bleiben. „Das sieht man schon jetzt. Trotz Rezessionssorgen ist der langfristige Kapitalmarktzins weiterhin recht hoch“, sagt Heinemann.
Der zunehmende demografische Wandel ist einer der Gründe für die mutmaßlich strukturell höhere Inflation. Der Mangel an Arbeitskräften dürfte zu höheren Löhnen und eventuell sogar zu Angebotsengpässen bei einigen Waren und Dienstleistungen führen. Die KI wiederum kann diese Effekte zumindest dämpfen, in dem sie in bestimmten Bereichen Arbeitskräfte ersetzt. „KI kann die Personalnöte in Deutschland abmildern“, sagt Heinemann.
KI und Inflation
Ob die KI auch zu besseren Inflationsprognosen führen wird, ist laut Heinemann und Demary noch offen. „KI-basierte Modelle, die einen großen Datensatz einbeziehen, sind nicht unbedingt besser bei ihrer Prognosegenauigkeit“, sagt Demary. Viel Potenzial sehen die beiden bei der Messung von Inflationserwartungen. So kann KI beispielsweise Social-Media-Beiträge auswerten und so ein Stimmungsbild in der Bevölkerung zu deren Preiserwartungen messen.