„Ich bin sehr beunruhigt über Meloni“
Gerhard Bläske.
Frau Professor Reichlin, wie wichtig sind die Parlamentswahlen am Sonntag?
Sie sind sehr wichtig. Die Rechtsparteien werden mit komfortabler Mehrheit siegen. Das ist neu. Und sie werden von einer radikalen Rechtspartei dominiert. Das ist auch neu. Sie haben die Chance, länger an der Regierung zu bleiben. Die Wahlen könnten das Ende von Silvio Berlusconi und Matteo Salvini bedeuten. Giorgia Meloni wird gewinnen. Was das letztlich bedeutet, ist offen.
Welche Bedeutung haben die Wahlen für Europa?
Sie sind extrem bedeutsam für Europa. Melonis Vorstellung von Europa ist eine Konföderation souveräner Staaten. Sie wird die Führerin einer wachsenden Zahl von Ländern sein, die nationalen Regeln Vorrang geben wollen. Das ist kein italienisches, das ist ein europäisches Problem. Und das ist sehr beunruhigend.
Wie steht Italien wirtschaftlich da?
Dank einer sehr guten Tourismussaison ist die Situation nicht so schlecht. Aber der Herbst wird schlecht, ähnlich wie in Ländern wie Deutschland. Die Energiekrise wird die Situation stark verändern, und darüber bin ich sehr besorgt. Denn die Krise trifft das Herz der Industrie, das sehr energieabhängig ist. Dies ist wie ein negativer Schock, der Angebot und Nachfrage beeinträchtigt und dauerhafte Auswirkungen auf die Wirtschaft haben könnte. Es sieht nicht danach aus, dass Europa in der Lage ist, eine gemeinsame Antwort für eine einheitliche Politik wie etwa eine Preisobergrenze zu finden.
Was sind die größten Herausforderungen für Italien?
Italien hat viele Probleme. Priorität muss jetzt ein Paket zur Unterstützung der Wirtschaft haben. Italiens Haushaltssituation erlaubt es der Regierung nicht, ein solches Programm durch höhere Verschuldung zu finanzieren.
Meloni verlangt Änderung im europäischen Wiederaufbauprogramm.
Das ist eine schlechte Idee. Änderungen im Programm sind nicht prioritär. Vielleicht sind wegen der hohen Inflation ein paar Anpassungen nötig. Ich bin aber sehr besorgt über die Attacken gegen den Green Deal. Klimapolitik muss im Zentrum stehen. Wir brauchen massive Investitionen in erneuerbare Energien, um unsere Energieversorgung zu sichern. Ich bin sehr beunruhigt über Melonis Position in dieser Frage, denn das würde das Ende des Green Deal bedeuten. Leider gewinnen diese Ideen immer mehr an Unterstützung – nicht nur in Italien.
In Italien gibt es Forderungen nach einem neuen Hilfsprogramm.
Fiskalische Konsolidierung ist in dieser Lage nicht möglich. Je früher wir das anerkennen, desto besser. Wir brauchen etwas Ähnliches wie das europäische Wiederaufbauprogramm mit außerordentlichen Maßnahmen, obwohl ich weiß, dass die Deutschen solche Vorschläge nicht gern hören. Wir brauchen jetzt dringend Notfallmaßnahmen für Europa. Sie müssen von der EU finanziert werden und an klare gemeinsame Ziele gebunden sein. Wir müssen den Green Deal schützen.
Das Interview führte