Impfstoffstreit mit London spitzt sich zu
hip London
Der Impfstoffstreit zwischen London und Brüssel hat mit der Einbestellung von Nicole Mannion, der stellvertretenden EU-Vertreterin in Großbritannien, ins britische Außenministerium einen neuen Höhepunkt erreicht. Zuvor hatte EU-Ratspräsident Charles Michel behauptet, die Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich hätten den Export von auf ihrem Territorium produzierten Sars-CoV-2-Impfstoffen und dafür erforderlichen Komponenten untersagt. Wie eine Sprecherin des Außenministeriums sagte, ging es bei dem Treffen um „unzutreffende Behauptungen in der aktuellen Kommunikation der EU“. Downing Street forderte eine Entschuldigung und verlangte von Michel, die umstrittenen Äußerungen zurückzuziehen. „Wir haben den Export keiner einzigen Covid-19-Impfdosis blockiert“, sagte der britische Premierminister Boris Johnson. „Wir lehnen Impfstoff-Nationalismus in jeder Form ab.“ Außenminister Dominic Raab schrieb den ehemaligen belgischen Regierungschef direkt an, um ihn zu einer Klarstellung zu bewegen. Die Vorwürfe seien „völlig falsch“. Michel war dazu nicht bereit, sondern erklärte stattdessen, es gebe „verschiedene Wege, Verbote oder Restriktionen zu verhängen“.
Ausfuhrkontrolle der EU
In der vergangenen Woche hatte Italien die Ausfuhr von 250 000 Dosen des Sars-CoV-2-Impfstoffs nach Australien verhindert, die in einer Fabrik des britisch-schwedischen Pharmakonzerns AstraZeneca in Italien produziert worden waren. Die EU-Kommission stellte sich hinter dieses Vorgehen. Die Entscheidung richte sich nicht gegen Australien, sondern solle sicherstellen, dass das Unternehmen den Mitgliedsstaaten der EU die vertraglich zugesagten Impfdosen liefere. „Tatsache ist, dass die EU ein großer Exporteur von Impfdosen ist“, zitierte France24 Eric Mamer, einen Sprecher der Kommission. Seit Ende Januar ist ein Mechanismus zur Kontrolle der Exporte in Kraft getreten. Der französische Gesundheitsminister Olivier Véran sagte, er „verstehe“ das Vorgehen der italienischen Regierung und deutete an, Frankreich „könnte dasselbe tun“. Auch die deutsche Regierung stärkte Rom den Rücken. Eine Menge Impfstoff gehe aus der EU in Drittstaaten, während aus Großbritannien und den USA so gut wie nichts ausgeführt werde, bemängelte Regierungssprecher Steffen Seibert.
In ihrem Streit mit AstraZeneca nahm die EU-Kommission Artikel 16 des Nordirland-Protokolls der Austrittsvereinbarung – den Notstandsparagrafen also – in Anspruch, um vertraglich vereinbarte Lieferungen nach Großbritannien durch innerirische Grenzkontrollen zu unterbinden. Obwohl Brüssel schnell zurückruderte, zeigte sich daran die Kopflosigkeit, mit der dort angesichts des Scheiterns der gemeinsamen Impfstoff-Beschaffungsstrategie agiert wurde. Zudem äußerten europäische Politiker und Behörden immer wieder Zweifel an der Wirksamkeit des AstraZeneca-Produkts. Anders als die EU-Kommission hatte die britische Regierung AstraZeneca Liefergarantien für den „Oxford-Impfstoff“ abverlangt. In Großbritannien erhielten mittlerweile 22,8 Millionen Menschen ihre erste Impfdosis.