Digitalisierung

IT muss deutsche Kernkompetenz sein

Wie kann es uns gelingen, den Wohlstand in Deutschland zukunftsfest zu machen? Vor dem Hintergrund des fortschreitenden Klimawandels, des technologischen Wandels und sich verändernder internationaler Märkte, gibt es für ein hoch entwickeltes Land...

IT muss deutsche Kernkompetenz sein

Wie kann es uns gelingen, den Wohlstand in Deutschland zukunftsfest zu machen? Vor dem Hintergrund des fortschreitenden Klimawandels, des technologischen Wandels und sich verändernder internationaler Märkte, gibt es für ein hoch entwickeltes Land ohne eigene Rohstoffvorkommen nur eine Antwort: Deutschland muss auf zentralen wirtschaftlichen Feldern seinen technologischen Vorsprung sichern oder gegebenenfalls einen solchen aufbauen. Nur so kann die deutsche Wirtschaft durch Innovationen und technologische Neuerungen international wettbewerbsfähige Produkte und Dienstleistungen anbieten. Das ist uns in der Vergangenheit gut gelungen. Deutschland hat sich ein ausdifferenziertes technologisches Profil erarbeitet. Dies gilt beispielsweise für die Automobil- oder Produktionstechnologien, bei denen Deutschland seit Jahrzehnten international sehr erfolgreich ist. Aber auch bei Umwelt-/Klimatechnologien oder Medizintechnologien ist die Ausgangslage in Deutschland vielversprechend. Diese Stärken gilt es weiterzuentwickeln. Daneben müssen wir aber die Chancen, die neue Technologien bieten, nutzen. Sie ungenutzt verstreichen zu lassen, ist mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit sogar riskant.

Immenser Nachholbedarf

Informationstechnologien (IT) sind ein Bereich mit rasanten Neuerungen und dringendem Aufholbedarf für die deutsche Wirtschaft. Sie bilden die Grundlage für die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft und stellen zukünftig noch stärker als bereits heute einen wesentlichen Treiber der Wertschöpfung dar. Allerdings ist die Entwicklung von Informationstechnologien gerade keine deutsche Stärke. Das lässt sich an Statistiken zu Patenten, wissenschaftlichen Publikationen und Markenanmeldungen deutlich ablesen. Unter den deutschen Kompetenzen rangieren Informationstechnologien bestenfalls im Mittelfeld. Das ist gerade bei den Informationstechnologien besonders nachteilig, denn nicht nur die IT-Branchen selbst können wichtige Wertschöpfungsbeiträge leisten. Vielmehr sind Informationstechnologien sogenannte „General-Purpose-Technologien“, die auch in anderen Technologiefeldern und Wirtschaftszweigen bereits heute eine wichtige Rolle spielen. Dies gilt gerade auch für die Technologiefelder, die aktuell deutsche Stärken darstellen. Um nur wenige Beispiele zu nennen: An den Patenten zum autonomen Fahren machen IT-Patente 43% aus; an jenen zur E-Mobilität 30%. Dass die Durchdringung anderer Technologiefelder mit Informationstechnologien weiter zunimmt, gilt als ausgemacht. Eine Abhängigkeit von ausländischen Produzenten bei so zentralen Technologien wird daher zu Recht als besonders problematisch erachtet. Denn fehlende Kompetenzen in den Informationstechnologien bedrohen somit direkt auch traditionelle deutsche Wettbewerbsvorteile.

Eine aktuelle, von KfW Research beim Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung (ISI), Karlsruhe, in Auftrag gegebene Studie legt nahe, dass der deutsche Rückstand bei der Entwicklung von Informationstechnologien gegenüber führenden Nationen bereits so stark angewachsen ist, dass ein Aufschließen in mittlerer Frist aussichtslos erscheint. Nur ein Beispiel: Die USA melden im Technologiefeld künstliche Intelligenz rund siebenmal mehr Patente pro Jahr an als Deutschland und China mittlerweile beinahe viermal so viele.

Umso wichtiger erscheint es daher, dass Deutschland zumindest in der Anwendung solcher Technologien die internationale Wettbewerbsfähigkeit erreicht. Selbst das stellt eine große Herausforderung dar! Denn Deutschland ist auch bei der Anwendung dieser Technologien mittlerweile nur noch Mittelfeld. Im europäischen Vergleich landet Deutschland bei der Verbreitung von Digitaltechnik in der Wirtschaft lediglich auf Rang 18. Die Investitionen deutscher Mittelständler in ihre Digitalisierung liegen seit Jahren niedrig und weisen keine Dynamik auf.

Auch wenn die aktuell vorherrschende Corona-Pandemie mit einem Digitalisierungsschub verbunden war: Die ergriffenen Maßnahmen – wie Ausweitung von Homeoffice-Kapazitäten oder der Umstellung auf Internetvertrieb – zielen meistens auf eine kurzfristige Wirksamkeit ab, etwa um den Geschäftsbetrieb und den Absatz auch unter den Bedingungen der Pandemie zu gewährleisten. Langfristige, strategisch angelegte Vorhaben sind zumeist – nicht zuletzt aufgrund der finanziellen Belastung durch die Krise – hintangestellt worden. Auch zukünftig wird die Digitalisierung daher kein Selbstläufer. Dazu trägt auch bei, dass die Krise den Zielkonflikt zwischen einer höheren Krisenfestigkeit und Zukunftsinvestitionen verschärft hat. Denn viele Unternehmen werden mit einer angespannten Liquiditätslage und einer verschlechterten Eigenkapitalausstattung aus der Krise hervorgehen.

Zahlreiche Ansatzpunkte

Dennoch: Die Transformation zu einem digitalen Wirtschaften und Leben muss gelingen. Kompetenzen bezüglich der Anwendung von Informationstechnologien in Deutschland müssen aufgebaut und breit in den Unternehmen zur Anwendung ge­bracht werden. Anhaltende Schwächen stellen eine substanzielle Bedrohung des erreichten Wohlstands in Deutschland auf breiter Front dar. Dazu müssen Unternehmen und Wirtschaftspolitik verstärkte Anstrengungen vornehmen. Die Wirtschaftspolitik muss der Digitalisierung die oberste Priorität einräumen und mit einem breiten Maßnahmenbündel angehen: Die Ansatzpunkte reichen von verstärkten, zielgerichteten finanziellen Anreizen, über die Verbesserung von digitalen Kompetenzen der Beschäftigten durch Aus- und Weiterbildung bis hin zu öffentlichen Projekten, wie dem Ausbau der zugrundeliegenden Infrastruktur oder Anschubprojekten der öffentlichen Hand, um noch im Entstehen begriffene Märkte für deutsche und europäische Unternehmen bestreitbar zu machen.