Karlsruher Reparaturbetrieb
Karlsruher Reparaturbetrieb
Das Bundesverfassungsgericht schützt Demokratie und Staatsbetrieb vor übergriffigen Reformen der Ampel-Regierung.
Von Stephan Lorz, Frankfurt
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat der Demokratie und unserer Marktwirtschaft wieder einmal einen großen Dienst erwiesen: Es hat der Versuchung widerstanden, der Vereinfachung und Verkleinerung des Parlaments so große Bedeutung beizumessen, dass dafür sogar die Repräsentation einzelner Wahlkreise (Direktmandate) geopfert wird. Die Wahlrechtsreform der Ampel-Koalition wurde zwar durchgewunken, aber mit einer wichtigen Korrektur: Die 5-Prozent-Hürde ist unter dem neuen Wahlrechtsregime verfassungswidrig, es sei denn, die gestrichene Grundmandatsklausel wird wieder eingeführt. Diese hebt die 5-Prozent-Hürde auf und sichert den Einzug von Parteien und ihren Abgeordneten in den Bundestag nach ihrem Zweitstimmenergebnis, sofern mindestens drei Direktmandate errungen werden.
Schließlich geht es darum, den Wählerwillen vor Ort zu akzeptieren und nicht ganz ins Leere laufen zu lassen, wenn Abgeordnete mit relativer oder gar absoluter Mehrheit gewählt werden, aber keinen Parlamentssitz erhalten. Das würde Parteien und Abgeordnete, die regional besonders viel Vertrauen unter den Wählern genießen, massiv benachteiligen, mahnen die Richter. Um die Karlsruher gnädig zu stimmen, müsste der Gesetzgeber schon die Sperrklausel absenken, was aber Nachteile mit sich bringen würde, wie ein noch stärker zersplittertes Parlament.
Allerdings hat sich das Gericht auch klar zur Deckelung der Abgeordnetenzahl bekannt. Ein Mehr an Verhältniswahl wurde akzeptiert, was mit sich bringt, dass die Zahl der Sitze im Parlament künftig allein vom Zweitstimmenergebnis abhängt. Wahlkreisgewinner mit den schlechtesten Ergebnissen könnten leer ausgehen. Die Parteien dürften nun verstärkt die „Zweitstimme“ in den Fokus rücken; Leihstimmenkampagnen für andere Parteien zugunsten von möglichen Koalitionen sollten der Vergangenheit angehören.
Letztendlich stärkt das Urteil das Vertrauen in die Demokratie wegen der weitgehenden Absicherung des Wählerwillens. Propaganda extremer Parteien und einzelner (Umwelt-)Gruppen gegen „die politische Klasse“ und der repräsentativen Demokratie hatten zuletzt an Autorität, Würde und Anerkennung dieser Regierungsform gekratzt. Viele Bundesbürger, aber auch zahlreiche Unternehmen und Verbände haben sich angesichts dessen klar zu Demokratie und Rechtsstaat bekannt. Denn auch die Wirtschaft weiß, dass Demokratie und Marktwirtschaft nur zusammen gut funktionieren – ein oft unterschlagener Faktor in der politischen Debatte.
Denn Demokratie sichert Freiheit und Freizügigkeit für wirtschaftliches Handeln, garantiert den Schutz des Eigentums und der Rechtsstaatlichkeit, erlaubt und fördert Vielfalt, übt Toleranz und begrenzt die Macht Einzelner – alles Ingredienzien, ohne die Kreativität, Ideen und Experimentierfreude nicht möglich wären, die eine erfolgreiche Ökonomie gegenüber einer Kommandowirtschaft auszeichnen.
Mehr politischer Realitätssinn
Insofern erstaunt, dass die Ampel-Koalition zuletzt so stark auf das Verhältniswahlrecht gesetzt hat. Zwar hätten die Parteizentralen damit natürlich die Entwicklung stärker im Griff, aber die Gefahr wäre groß, dass Ideologie vor Praxisbezug rangiert, wie sich zuletzt beim Heizungsgesetz wieder einmal gezeigt hatte. Zudem würden Apparatschiks die Agenda stärker bestimmen. Das wäre auch nicht im Sinne der Unternehmen, die sich eher mehr Akzeptanz von Vielfalt, mehr Freizügigkeit und weniger Paternalismus wünschen. Eine Haltung, die wohl eher Abgeordneten vor Ort einleuchtet, weil sie die realen Auswirkungen vor Augen haben, als Funktionären im fernen Berlin.