Schwache Kreditdynamik

EZB-Chefökonom Lane hält restriktives Zinsniveau für erreicht

Für EZB-Chefvolkswirt Philip Lane sind die restriktiven Auswirkungen der Zinswende auf die Wirtschaft bereits deutlich. Auch EZB-Ratsmitglied Peter Kazimir geht nicht von einer weiteren Zinserhöhung aus.

EZB-Chefökonom Lane hält restriktives Zinsniveau für erreicht

EZB-Chefökonom hält restriktives Zinsniveau für erreicht

Lane: Kreditvergabe im Euroraum überraschend schwach – Falke Kazimir geht von keiner weiteren Zinserhöhung aus

mpi Frankfurt

EZB-Chefvolkswirt Philip Lane betrachtet das aktuelle Zinsniveau der Europäischen Zentralbank (EZB) mit Blick auf die Kreditvergabe der Banken als restriktiv. „Wären die Zinsen unterhalb des restriktiven Niveaus, müsste eine positive Kreditdynamik zu sehen sein“, sagte Lane am Donnerstag auf einer EZB-Konferenz. „Wir haben das nicht.“ Wie aus dem jüngsten Bank Lending Survey der EZB hervorgeht, ist die Kreditnachfrage im Euroraum im zweiten Quartal auf den tiefsten Stand seit mindestens zwanzig Jahren gesunken.

Im Kampf gegen die hohe Inflation hat die EZB in einem in ihrer Geschichte beispiellosen Straffungskurs die Leitzinsen seit Juli 2022 zehn Mal in Folge um insgesamt 450 Basispunkte erhöht. Die Inflation ist in der Folge von ihrem Höhepunkt bei 10,6% auf 4,3% im September gesunken. Bis zum Jahresende erwartet Lane bei der Teuerung eine drei vor dem Komma.

Keine Zinssenkung in Sicht

„Die Frage ist, wie lange müssen wir dieses restriktive Zinsniveau halten, um das letzte Prozent zu erreichen“, führte Lane weiter aus. Die EZB strebt mittelfristig eine Inflationsrate von 2,0% an. Als entscheidend bei der weiteren Ausrichtung der Geldpolitik betrachtet der EZB-Chefökonom, wie sich die Löhne auf dem Arbeitsmarkt entwickeln. Diese gelten als maßgeblich für die weitere Inflationsentwicklung und könnten der Teuerung nochmal Auftrieb geben.

Bereits am Dienstag hatte Lane betont, dass die EZB vermutlich erst im Oktober 2024 abschätzen könne, wie sich die Löhne im nächsten Jahr entwickeln werden. Außerdem hatte EZB-Präsidentin Christine Lagarde am Mittwoch zum Auftakt der Notenbankkonferenz bekräftigt, dass die Kreditkosten im Kampf gegen die Inflation noch einige Zeit erhöht bleiben müssten. Diese Aussagen deuten darauf hin, dass es bis zur ersten Zinssenkung, auf die an den Finanzmärkten gehofft wird, noch länger dauern dürfte.

Falke Kazimir hält Zinsgipfel für erreicht

Am Donnerstag meldete sich auch der slowakische Notenbankpräsident Peter Kazimir zu Wort. Angesichts des starken Rückgangs der Inflation im September geht das EZB-Ratsmitglied davon aus, dass das Zinsplateau bereits erreicht ist. „Ich bin fest davon überzeugt, auch auf Basis dieser Zahlen, dass die Zinsanhebung auf der letzten Sitzung die letzte war“, sagte Kazimir. Er gilt als Falke, also als Vertreter einer eher restriktiven Geldpolitik.

Der Slowake betonte jedoch, dass diese Zinsprognose nicht sicher sei. Die EZB dürfe erst dann das Thema Zinserhöhungen in diesem Zinszyklus abhaken, wenn klar sei, dass sie das Inflationsziel mittelfristig erreiche. „Und unter diesem Gesichtspunkt können uns nur reale Daten und Zahlen überzeugen, die uns auf den Sitzungen im Dezember und dann im März präsentiert werden“, sagte er. Auf diesen Sitzungen werden die EZB-Ökonomen neue Konjunktur- und Inflationsprognosen vorlegen. Da Geldpolitik verzögert wirkt, sind die gesamten Effekte der bisherigen Zinserhöhungen in den aktuellen Wirtschaftsdaten noch nicht sichtbar.

Strukturwandel ändert Geldpolitik

Sowohl Lane als auch die stellvertretende schwedische Notenbankchefin Anna Breman und der Vizegouverneur der Bank of England, Ben Broadbent, stellten auf der EZB-Konferenz am Donnerstag fest, dass der Strukturwandel der Wirtschaft die geldpolitische Transmission verändert habe. „Der Arbeitsmarkt verhält sich außergewöhnlich“, sagte Broadbent. Die Arbeitslosigkeit steige infolge der Zinswende nicht so an, wie es in der Vergangenheit der Fall war.

Er führt dies ebenso wie Breman auf den demografischen Wandel zurück. Der Fachkräftemangel als Folge der Überalterung der westlichen Gesellschaften führt dazu, dass Unternehmen in Krisen lieber an ihren Mitarbeitern festhalten, als diese zu entlassen. Sie befürchteten, ansonsten im Aufschwung nicht mehr genügend Personal zu haben.

Insgesamt geht Broadbent davon aus, dass aufgrund des Fachkräftemangels und der grünen Transformation der Wirtschaft der neutrale Zins – das Niveau, das die Konjunktur weder bremst noch ankurbelt – höher ist als früher.

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