Liz Truss leitet energiepolitische Kehrtwende ein
Von Andreas Hippin, London
Die britische Premierministerin Liz Truss hat mit ihrem Maßnahmenpaket, das die Auswirkungen der Energiekrise abmildern soll, eine Kehrtwende in der Energiepolitik eingeleitet. Zu den erwarteten Kosten der angekündigten Entlastungen machte sie im Unterhaus keine näheren Angaben, doch handelt es sich dabei um ein Wohlfahrtsprogramm, das es mit den Coronahilfen während der Pandemie aufnehmen kann.
In der City werden diese zwischen 150 Mrd. und 200 Mrd. Pfund verortet. Ab dem 1. Oktober werden die Energiekosten der privaten Haushalte für zwei Jahre eingefroren. Ein durchschnittlicher Haushalt soll nicht mehr als 2 500 Pfund pro Jahr bezahlen müssen. Das sind etwa 1000 Pfund weniger, als die derzeitigen Energiepreise nahelegen würden. Unternehmen, gemeinnützige Organisationen, Schulen, Krankenhäuser und andere öffentliche Einrichtungen sollen in vergleichbarem Maße unterstützt werden, allerdings zunächst nur für sechs Monate. Besonders gefährdete Branchen wie etwa die Gastronomie werden auch darüber hinaus geschützt.
„Der Preis des Nichthandelns wäre wesentlich höher gewesen als die Kosten dieser Intervention“, sagte Schatzkanzler Kwasi Kwarteng. Die Bank of England wird Versorgern, denen die von den Terminbörsen geforderten hohen Sicherheitsleistungen Liquiditätsprobleme bereiten könnten, bis zu 40 Mrd. Pfund in Form von Darlehen zur Verfügung stellen, deren Form sich an den Corona-Hilfskrediten der Vergangenheit orientieren soll. Wenn es um die künftige Versorgungssicherheit geht, werden die von den Vorgängerregierungen geschmähten fossilen Brennstoffe wieder eine größere Rolle spielen. Bereits kommende Woche könnte eine neuen Lizenzvergaberunde für die Öl- und Gassuche in der Nordsee beginnen, bei der mehr als 100 Lizenzen vergeben werden.
Bahn frei für Fracking
Das seit 2019 bestehende Fracking-Moratorium wurde mit unmittelbarer Wirkung aufgehoben. Nun können Bohrgenehmigungen beantragt werden. „Außerordentliche Herausforderungen erfordern außerordentliche Maßnahmen um sicherzustellen, dass das Vereinigte Königreich nie wieder in eine solche Situation kommt“, sagte Truss. „Jahrzehnte kurzfristigen Denkens“ hätten dazu geführt, dass man sich zu wenige Gedanken über die Versorgungssicherheit gemacht habe. Eine grundlegende Reform des Energiemarkts soll dafür sorgen, dass sich die Strompreise künftig nicht mehr am Grenzpreis des teuersten Kraftwerks orientieren. Die Regierung will Medienberichten zufolge, dass Anbieter von Strom aus erneuerbaren Energien und Atomkraftwerken, denen das aktuelle Regime exorbitante Zufallsgewinne verschafft, über 10 bis 15 Jahre laufende Lieferverträge zu Festpreisen deutlich unter dem aktuellen Niveau abschließen. Dem Energieberater Cornwall Insight zufolge sind die Preise vermutlich um mehr als 40 Mrd. Pfund überhöht, weil das kaum noch zur Stromerzeugung genutzte Gas auf dem Markt den Ton angibt.
Chris O’Shea, der CEO der British-Gas-Mutter Centrica, lobte Ausmaß und Geschwindigkeit des Regierungshandelns. „Wir wissen, dass die Menschen sehr besorgt über den Anstieg ihrer Energierechnungen in diesem Winter sind“, sagte O’Shea. Jonathan Geldart, Generaldirektor des Institute of Directors, begrüßte die „pragmatische Intervention“ der Regierung. „Millionen von Menschen werden aufatmen, weil sie vom Abgrund der Brennstoffarmut zurückgerissen wurden“, gab Rosie Rogers, die bei Greenpeace UK für die Themen Öl und Gas verantwortlich zeichnet, zu. „Aber bei den fossilen Energieriesen werden die Champagnerkorken knallen.“