Lockerung der Schuldenbremse kann Investitionsstau nur langsam auflösen
Gastbeitrag / Fiskalpolitik
Lockerung der Schuldenbremse hilft nur bedingt
Eine marginal höhere Verschuldung erhöht zwar den Ausgabenspielraum, das reicht aber nicht aus, um den Investitionsstau zügig aufzulösen
Von Felix Hüfner, Chefvolkswirt Deutschland der UBS
Die Diskussion um eine Lockerung der deutschen Schuldenbremse nimmt Fahrt auf, nicht zuletzt mit Blick auf die Bundestagswahl im nächsten Jahr. Angesichts der schwachen Konjunktur und der strukturellen Probleme der deutschen Wirtschaft sprechen sich mittlerweile die wichtigsten wirtschaftspolitischen Institutionen wie der Sachverständigenrat und die Bundesbank für eine Reform der strikten Fiskalregel aus. Und auch in der Politik scheint über die Parteigrenzen hinweg die Bereitschaft für eine solche Reform zuzunehmen, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß.
Größere Ausgabenspielräume
Verschiedene Optionen für mehr staatliche Ausgabenspielräume werden diskutiert: ein neues Sondervermögen (etwa für Verteidigung), eine Änderung der Schuldenbremse im Grundgesetz (die beispielsweise in Abhängigkeit vom Schuldenstand höhere Defizite erlaubt) oder das Ziehen der Notfallklausel. Die politischen und legalen Hürden für diese Optionen sind dabei unterschiedlich hoch und reichen bis zu einer möglichen Verfassungsänderung.
Das Ziel einer Reform der Schuldenbremse ist, mit mehr staatlichen Ausgaben dem Investitionsstau zu begegnen, der sich nach Schätzungen des BDI auf 400 Mrd. Euro auf Sicht von zehn Jahren beläuft. Der Berliner Think Tank Dezernat Zukunft rechnet sogar mit einem doppelt so großen Volumen. Dabei geht es um Investitionen vor allem in den Bereichen Verteidigung, Transportinfrastruktur und Dekarbonisierung. Eine offene Frage einer solchen Reform ist dabei, inwieweit sichergestellt werden kann, dass höhere staatliche Ausgaben tatsächlich in solche Investitionen fließen.
Eine entscheidende Frage in der Debatte wird allerdings noch wenig diskutiert: Wie hoch wäre denn der zusätzliche fiskalische Spielraum, der sich aus einer Lockerung der Schuldenbremse maximal ergeben könnte?
EU Fiskalregeln begrenzen Schulden
Ein zentraler Punkt, der hierbei manchmal übersehen wird, ist, dass Deutschland auch nach einer Lockerung seiner Schuldenbremse weiterhin den EU-Fiskalregeln in Form des reformierten Stabilitäts- und Wachstumspaktes unterliegt. Diese sind weniger strikt als die deutsche Schuldenbremse, aber ebenso bindend. In der Praxis heißt das für Deutschland, dass das jährliche Budgetdefizit laut EU-Fiskalregeln 3% des Bruttoinlandsproduktes nicht überschreiten darf. Zudem ist jedes EU-Mitgliedsland verpflichtet, seine Schuldenquote im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt innerhalb von vier (oder sieben) Jahren auf einen sinkenden Pfad zu bringen. Auch dies beschränkt den zusätzlichen Ausgabenspielraum. In anderen Worten: eine Reform der Schuldenbremse ermöglicht nicht unbegrenzte Schuldenaufnahme.
Vor diesem Hintergrund – und unter der Annahme, dass Deutschland die EU-Fiskalregeln nicht vorsätzlich brechen wird – ist der zusätzliche fiskalische Spielraum, der sich aus einer Reform der Schuldenbremse ergibt, begrenzt. Unseren Schätzungen zufolge könnte er etwa 0.7% des Bruttoinlandsproduktes betragen, und zwar unabhängig davon, welche Reformoption gewählt wird.
Das würde in der Praxis beispielsweise bedeuten, dass das deutsche Budgetdefizit im Jahr 2026 immerhin bei 2,5% des Bruttoinlandsproduktes liegen könnte, statt der von der EU-Kommission prognostizierten 1,8%.
Reformbedarf bleibt bestehen
Ein zusätzlicher Ausgabenspielraum von 0,7% des Bruttoinlandsproduktes entspricht etwa 30 Mrd. Euro an Mehrausgaben pro Jahr oder rund 300 Mrd. Euro auf Sicht von zehn Jahren. Dies ist durchaus signifikant, aber bedeutet auch, dass der oben erwähnte zusätzliche Investitionsbedarf in Deutschland realistischerweise nur sehr langsam zu bewältigen sein wird.