Nach Regionalwahl

Macron setzt alles auf die Reformkarte

Nach dem Debakel bei den Regionalwahlen drängen Reformbefürworter Präsident Macron, das Rentenalter auf 64 Jahre anzuheben, um so für den bald beginnenden Präsidentschaftswahlkampf ein starkes Signal zu setzen.

Macron setzt alles auf die Reformkarte

wü Paris

Die verbleibende Zeit für Reformen nutzen, bevor der Präsidentschaftswahlkampf in die heiße Phase geht: Dafür plädieren die Verfechter eines Reformkurses in Frankreich nach dem Misserfolg der Regierungspartei La République en marche (LREM) bei den Regionalwahlen. Denn wenn es Präsident Emmanuel Macron gelänge, bis zu den Präsidentschaftswahlen im April 2022 weitere Reformen durchzusetzen, könnte er damit den konservativen Republikanern im Wahlkampf Wind aus den Segeln nehmen.

Niedrige Wahlbeteiligung

Die Republikaner waren mit 38% der Stimmen bei den Regionalwahlen, die von einer Wahlbeteiligung von gerade einmal 34% geprägt waren, landesweit die stärkste Partei vor den Linken (Sozialisten, Grüne, La France Insoumise) mit 35% der Stimmen. Mit ihren Erfolgen auf regionaler Ebene haben sich jetzt gleich mehrere Republikaner für die Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr in Stellung gebracht, darunter Xavier Bertrand, Valérie Pécresse und Laurent Wauquiez. Alle drei gehörten als Minister der Regierung des konservativen Ex-Präsidenten Nicolas Sarkozy an.

Das Debakel bei den Regionalwahlen stärkt die Befürworter von Reformen innerhalb des Kabinetts von Macron, zu denen allen voran Wirtschaftsminister Bruno Le Maire gehört. „Wir haben eine reformorientierte Wählerschaft, die von uns erwartet, die notwendigen Umbauten durchzuführen“, sagte auch Regierungssprecher Gabriel Attal. „Alle Länder werden mit der Wiederbelebung und dem Wiederaufbau beginnen.“ Deshalb sei es nicht im Interesse Frankreichs, jetzt wegen der Präsidentschaftswahlen alle Reformvorhaben zehn Monate lang auf Eis zu legen.

Reformbefürworter drängen Macron nun, so schnell wie möglich die Anhebung des gesetzlichen Rentenalters auf 64 Jahre zu beschließen, um damit vor den Präsidentschaftswahlen ein starkes Signal zu senden. Bislang liegt das frühestmögliche Renteneintrittsalter bei 62 Jahren. Diese Maßnahme könnte in den Haushaltsentwurf für die Sozialversicherung Sécurité sociale aufgenommen werden, über den die Nationalversammlung ab Oktober abstimmen soll. In Kraft treten könnte die schrittweise Anhebung des Rentenalters bis 2028/2029 dann kurz nach den Präsidentschaftswahlen im Frühjahr für den Jahrgang 1961.

Risikofaktor Rentenreform

Allerdings ginge Macron mit einer solchen Reform ein enormes politisches Risiko ein. Denn in den letzten Jahrzehnten hat jeder noch so kleine Versuch, das Rentensystem zu reformieren, zu heftigen Protesten geführt. So brachten Streiks im öffentlichen Dienst und der Privatwirtschaft Ende 1995 das gesamte Leben in Frankreich mehrere Wochen lang zum Erliegen, weil der damalige Premierminister Alain Juppé neben der Sozialversicherung auch das Rentensystem reformieren wollte. Er ließ daraufhin die Rentenreform fallen.

Als Sarkozy 2010 die schrittweise Anhebung des 1985 von dem damaligen Präsidenten François Mitterrand von 65 auf 60 Jahre gesenkten Rentenalters um zwei Jahre plante, kam es erneut zu heftigen Protesten. Bahnen standen still und Benzin wurde knapp, da Gewerkschaften Raffinerien besetzten. Macron hat ebenfalls eine Rentenreform auf den Weg gebracht, die im Winter 2019 zu wochenlangen Streiks im öffentlichen Nahverkehr in Paris und bei der Bahn führten. Wegen der Coronakrise wurde die Reform auf Eis gelegt.

Jetzt wieder eine vom Rechnungshof empfohlene Rentenreform anzuschieben, birgt nicht nur wegen drohender Proteste ein großes Risiko. Macron könnte damit auch Protestwähler in die Fänge von Marine Le Pen vom rechtsextremen Rassemblement National (RN) treiben. Zwar hat dieser genau wie die Regierungspartei LREM jetzt bei den Wahlen in keiner einzigen Region gewonnen und in der zweiten Runde Sonntag landesweit nur rund 19% der Stimmen erzielt. Doch Le Pen zeigt sich kampfbereit.