Wachstumsschwäche in Deutschland

Nagel redet Bundesregierung ins Gewissen

Bundesbankpräsident Joachim Nagel fordert die Bundesregierung auf, ihre Wachstumsanstrengungen zu verstärken. Deutschland müsse aus der Wachstumsdelle herauskommen. Die Preisentspannung helfe indessen. Finanzminister Christian Lindner (FDP) ruft die Koalitionspartner zu zügigen Reformen im Herbst auf.

Nagel redet Bundesregierung ins Gewissen

Nagel redet Bundesregierung ins Gewissen

Vertrauen der Unternehmen und Verbraucher muss gestärkt werden – Lindner kritisiert Habecks Investitionsfonds

Bundesbankpräsident Joachim Nagel fordert die Bundesregierung auf, ihre Wachstumsanstrengungen zu verstärken. Deutschland müsse aus der Wachstumsdelle herauskommen. Die Preisentspannung helfe indessen. Finanzminister Christian Lindner (FDP) ruft die Koalitionspartner zu zügigen Reformen im Herbst auf.

wf/mpi Washington

Bundesbankpräsident Joachim Nagel hat die Bundesregierung zu Fortschritten beim Wachstumspaket aufgefordert. Die Verunsicherung bei Unternehmen und Verbrauchern sei derzeit hoch, mahnte Nagel am Freitag auf der Jahrestagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank in Washington. Konsum und Investitionen würden abgebremst. Dies schwäche das deutsche Wirtschaftswachstum. „Wir benötigen an der Stelle gute Nachrichten, dass das Vertrauen zurückkommt“, sagte Nagel. Die Bundesregierung habe aus Sicht der Bundesbank mit dem Wachstumspaket aussichtsreiche Pläne dafür. „Aber es muss umgesetzt werden.“

Einsicht in Reformen

Für Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) steht die Bundesregierung vor großen strategischen Fragen. Angesichts der Zerrissenheit der Ampel über den künftigen wirtschaftspolitischen Kurs konstatiert der FDP-Politiker zumindest die gemeinsame Einsicht, dass es Reformen geben müsse. Dies sei vor einem Jahr noch anders gewesen. Der IWF erwartet in diesem Jahr für Deutschland Stagnation und im nächsten Jahr ein Plus von nur 0,8% des Bruttoinlandsprodukts (BIP).

Der FDP-Parteivorsitzende hat am Dienstagvormittag zusammen mit Fraktionschef Christian Dürr die Chefs der Spitzenverbände der Wirtschaft zu einem Austausch über den weiteren Kurs eingeladen. Er kommt damit dem Kanzler Olaf Scholz (SPD) zuvor, der ebenfalls am Dienstag zu einem Industriegipfel eingeladen hat. In der Ampel war das Vorhaben ebenso wenig abgesprochen wie das wirtschaftspolitische Impulspapier von Vizekanzler Robert Habeck (Grüne). Habeck regt dort einen „Deutschlandfonds“ an. Daraus sollen für fünf Jahre Investitionen mit 10% staatlich subventioniert werden.

Lindner wertete den Deutschlandfonds als „ökonomisch fragwürdig“ und „europapolitisch nicht umsetzbar“. Das Vorhaben würde nach ersten überschlägigen Berechnungen des Bundesfinanzministeriums 48 Mrd. Euro im Jahr kosten. Dies sind rund 10% des Bundeshaushalts. Zudem würde dadurch die Staatsschuld Deutschlands um einen Prozentpunkt pro Jahr steigen, hielt der Minister fest. Nach den EU-Fiskalregeln muss sie aber schrittweise sinken, solange die Marke von 60% des BIP noch nicht wieder erreicht ist.

Ein weiterer wichtiger Grund für die Verunsicherung sind laut Nagel die geopolitischen Spannungen und der Protektionismus. „Zunehmende Handelsbeschränkungen rücken in den Vordergrund“, sagte Nagel. Der Ausgang der US-Wahlen könnte dies noch verstärken. Der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump plant im Falle eines Wahlsieges hohe Strafzölle, vor allem gegenüber China. Nach neuen Berechnungen des IWF könnte ein dann entstehender Handelskrieg das globale Wirtschaftswachstum 2026 um einen Prozentpunkt senken. „Das deckt sich mit den Berechnungen der Bundesbank“, sagte Nagel.

„Die Inflationswelle ebbt ab“

Nagel wies aber auch auf positive Nachrichten für die Geldpolitik hin. „Die Inflationswelle ebbt ab“, sagte Nagel in Washington. „Früher, als wir dachten, dürften wir das Inflationsziel in 2025 erreichen.“ Dennoch mahnte der Bundesbankpräsident vor zu hastigen weiteren Zinssenkungen. Man sei in der Vergangenheit gut damit gefahren, von Sitzung zu Sitzung anhand der Datenlage zu entscheiden. Die Projektionen der EZB im Dezember zu Inflation und Wirtschaftswachstum würden neue Informationen liefern – gerade für 2027, das erstmals in den Prognosen enthalten sein wird.

Stimmen aus dem EZB-Rat hatte zuletzt mit einer Zinssenkung um 50 Basispunkte geliebäugelt − etwa der portugiesische Notenbankpräsident Mário Centeno. Sein italienischer Amtskollege Fabio Panetta sprach in Washington davon, dass die EZB die Geldpolitik womöglich auf ein Niveau bringen müsse, das die Wirtschaft wieder ankurbelt. Bislang drehte sich die Diskussion vor allem darum, wie schnell die EZB zu einem neutralen Zinsniveau zurückkehrt. Angesichts der schwachen Realwirtschaft und der Disinflation ist für Panetta bald womöglich eine expansive Geldpolitik angebracht.

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