Reaktionen auf Milliardenplan von Union und SPD

Ökonomen warnen vor De-facto-Abschaffung der Schuldenbremse

Die Einigung von Union und SPD auf Milliardenpakete für Verteidigung und Infrastruktur wird von Ökonomen höchst unterschiedlich beurteilt. Viele sehen eine De-facto-Abschaffung der Schuldenbremse.

Ökonomen warnen vor De-facto-Abschaffung der Schuldenbremse

Milliardenpakete spalten Ökonomen

Warnungen vor De-facto-Abschaffung der Schuldenbremse – Lob für mehr Handlungsfähigkeit – „Game-Changer“

ahe Berlin

Die Einigung von Union und SPD auf Milliardenpakete für Verteidigung und Infrastruktur hat bei Ökonomen zu sehr unterschiedlichen Reaktionen geführt. „Heute ist der Tag, ab dem die Schuldenbremse Geschichte ist“, schrieb der frühere Wirtschaftsweise Lars Feld auf X und warnte: „Deutschland verliert seine Funktion als sicherer Hafen für Anleihegläubiger.“ Zinsen und Inflation würden davon nicht unberührt bleiben.

Schuldenquote von über 100% des BIP befürchtet

Friedrich Heinemann vom Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) sieht in der geplanten Reform ebenfalls eine De-facto-Abschaffung der Schuldenbremse. Seinen Berechnungen zufolge könnte die deutsche Schuldenquote von heute 64% schon 2033 auf über 100% des BIP steigen. „Deutschland würde sich zu den EU-Hochschuldenstaaten gesellen, die EU würde ihren fiskalischen Stabilitätsanker verlieren, mit unabsehbaren Folgen“, warnte Heinemann. Es fehle zudem gänzlich an Ideen für ein Design, im Budget umzuschichten.

Auch Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer veröffentlichte erste Berechnungen zur Schuldenentwicklung. Ihm zufolge könnte die gesamtstaatliche Schuldenquote in zehn Jahren auf 90% gestiegen sein. Dies sei aber auch von der Inflation abhängig und insofern nicht einfach zu prognostizieren.

„Ein echter Game-Changer“

Jens Südekum, Professor für International Economics an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, sprach dennoch von einer „guten Nachricht für die Sicherheit und für das Wachstum des Wirtschaftsstandorts Deutschland“. Die Einigung von Union und SPD sei „ein echter Game-Changer“. Südekum hatte den Sondierern der Parteien zuvor gemeinsam mit Ifo-Chef Clemens Fuest, IW-Direktor Michael Hüther und IfW-Präsident Moritz Schularick einen Vorschlag für zwei Sondervermögen unterbreitet. Diesen sieht er nun zu „gut 90%“ umgesetzt. Unter anderem gehe es jetzt auch darum, ein glaubwürdiges Signal in die Privatwirtschaft zu senden, dass der Staat jetzt Ernst macht mit der Investitionsoffensive.

Auch Fuest betonte, es sei sehr zu begrüßen, dass für Verteidigungsausgaben mehr Kreditfinanzierung zugelassen werden solle – ebenso wie die Verbindung mit der „Whatever it takes“-Aussage. Allerdings erfordere das ein erneuertes Verteidigungskonzept, so der Ifo-Chef. Die Mittel sollten effektiv eingesetzt werden, neue Technologien und moderne Waffen wie Drohnen, Raketenabwehrsysteme und Marschflugkörper müssten eine zentrale Rolle spielen.

„Reformdruck wird sinken“

Mittelfristig sollten Rüstungsausgaben nach Einschätzung von Fuest nicht mit Schulden finanziert werden. „Deshalb ist es notwendig, sofort mit einer Kürzung anderer öffentlicher Ausgaben zu beginnen.“ Beim Infrastruktur-Sondervermögen bestehe zudem die Gefahr, dass die Investitionen in den vorhandenen öffentlichen Haushalten reduziert würden. Schulden würden damit für andere Zwecke als Investitionen eingesetzt.

Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), hofft auf einen Konjunkturschub und damit schnelle Überwindung der Stagnation der deutschen Wirtschaft. Deutschland sei dann wieder wirtschaftlich und militärisch handlungsfähig. Einen „extrem wichtigen Schritt für die Sicherheit in Deutschland und Europa“ sieht der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Schularick. Es sei sinnvoll, die Verteidigungsinvestitionen teilweise von der Schuldenbremse auszunehmen. „Es macht den Staat auch in künftigen Krisen handlungsfähig.“

Skeptisch beurteilte hingegen Wirtschaftsweise Veronika Grimm die Finanzpakete: „Der Reformdruck wird massiv sinken“, warnte sie gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Es sei eine „extrem riskante Wette“, den Reformbedarf durch Verschuldung immer weiter hinauszuschieben. Nach Einschätzung von Grimm sind die Vorhaben zudem inkompatibel mit den EU-Fiskalregeln.

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