Schrauben an der Schuldenbremse
Schrauben an der Schuldenbremse
Die ungeliebte Fiskalregel steht unter Beschuss.
Von Angela Wefers, Berlin
Die Schuldenbremse scheint eine Last geworden. Als Investitionsbremse wird sie von ihren Kritikern geschmäht und als Bedrohung für den Sozialstaat empfunden. Die Fiskalregel hat der Ampel-Regierung schwer zugesetzt. Schon am Haushalt 2024 waren SPD, Grüne und FDP nach dem Spruch des Verfassungsgericht fast gescheitert. Am Etat 2025 zerbrach das Regierungsbündnis schließlich. Die Ausgabenwünsche waren zu groß, der Finanzspielraum dafür zu klein.
Die Fiskalregel ist in den politischen Lagern und unter Ökonomen umstritten. Die Forderungen reichen von einer „klugen“ bzw. „sinnvollen“ Lockerung bei SPD und Grünen bis hin zum Bekenntnis zur Schuldenbremse bei CDU/CSU und FDP. Konkrete Reformvorschläge aus der Wissenschaft liegen auf dem Tisch.
Flexibilität mit und ohne Krise
Bislang hat sich die 2009 eingeführte Schuldenbremse als sehr flexibel erwiesen. Sie erlaubt dem Bund eine strukturelle Neuverschuldung von 0,35% des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Dafür wird das Defizit um eine Konjunkturkomponente bereinigt. Die Schuldbremse wirkt antizyklisch: im Aufschwung erlaubt sie weniger, im Abschwung mehr Defizit. Im alten und im neuen Jahr hat der Bund unter der Schuldenbremse einen regulären Neuverschuldungsspielraum von jeweils rund 50 Mrd. Euro – etwas mehr als einem Zehntel seiner Ausgaben.
Die Länder hatten bei Einführung der Schuldenbremse strukturell ausgeglichene Haushalte zugesagt und dafür milliardenschwere Beträge vom Bund genommen. Dies hält sie nicht davon ab, heute auf einen eigenen Verschuldungsspielraum zu dringen. Die Kommunen durften schon zuvor nur Kassenkredite für die Liquidität aufnehmen. Tatsächlich finanzieren sie darüber seit Jahren ihre Defizite.
Flexibel im Krisenfall
Die Schuldenbremse hat sich auch im Krisenfall als flexibel erwiesen. In den Jahren der Coronapandemie finanzierte der Bund seine Hilfsprogramme mit mehr Krediten als die Fiskalregel es normalerweise erlaubt. Der Bundestag kann in einer Notlage dafür den Weg frei machen. Der Schuldenstand Deutschlands stieg um rund 20% auf fast 2,5 Bill. Euro. Die Schuldenquote zum BIP war 2019 erstmals nach 2002 wieder unter die Maastricht-Grenze von 60% gefallen. Sie legte 2020 und 2021 bis unterhalb der Marke von 70% zu. Mittlerweile ist sie wieder gesunken, lag aber zuletzt mit 63% noch zu hoch.
Die anstehenden Aufgaben sind groß und teuer. Die Sanierung der öffentlichen Infrastruktur erfordert nach einer Studie des wirtschaftsnahe IW Köln mit dem gewerkschaftsnahen IMK in der nächsten Dekade rund 600 Mrd. Euro. Beide Forschungsinstitute fordern im Schulterschluss, Investitionen von Verschuldungsverboten freizustellen oder einen kreditfinanzierten Infrastrukturfonds aufzulegen. SPD und Grüne steuern in diese Richtung. Dafür muss der Investitionsbegriff aber klar definiert sein, um politischen Missbrauch zu verhindern. Die Vorgängerregelung der Schuldenbremse versagte daran.
Auch die Transformation zur Klimaneutralität erfordert Milliardenbeträge. Die Denkfabrik Agora-Energiewende rechnet bis 2045 mit 760 Mrd. Euro für die öffentliche Hand. Enorme Zusatzausgaben sind auch für Sicherheits- und Verteidigungspolitik nötig. Um das Nato-Ziel von 2% des BIP zu erreichen, muss der Verteidigungsetat mit heute rund 53 Mrd. Euro von 2028 an um rund 30 Mrd. Euro steigen. Dann ist das kreditfinanzierte Sondervermögen für die Bundeswehr erschöpft. Die Ausgaben sind dann aus dem regulären Bundeshaushalt zu bestreiten. Nato-Generalsekretär Mark Rutte hält deutlich mehr als 2% für die Abschreckung für geboten. Der künftige US-Präsident Donald Trump steuert 3% an. Dies wären für Deutschland rund 120 Mrd. Euro.
Zahlreiche Reformideen
Für die Schuldenbremse liegen weitere Reformideen auf dem Tisch. So hatten die Wirtschaftsforschungsinstitute, die Bundesbank oder der Sachverständigenrat für Wirtschaft moderate Änderungen angeraten. Diese belassen der Schuldenbremse ihre eigentliche Funktion: die Schulden zu bremsen. So soll die Fiskalregel nach einer Krise nicht abrupt wieder scharf gestellt werden. Eine Drei-Jahres-Frist soll die Rückkehr zu den Vorgaben verzögern. Ein weiterer Vorschlag zielt darauf, die Neuverschuldung mit dem Schuldenstand atmen zu lassen. Nach einem Modell der Bundesbank könnte die Defizitquote des Bundes von 0,35% auf 0,5% steigen, wenn die Schuldenstandquote des Gesamtstaats unter 60% liegt. Zugleich könnte es einen Zuschlag für Nettoinvestitionen von weiteren Zehntel-Prozentpunkten geben.
2014 schloss der Bund erstmals seit Jahrzehnten mit einem ausgeglichenen Haushalt ab und machte bis 2019 sogar Überschüsse. Wolfgang Schäuble (CDU) ließ sie als Bundesfinanzminister in einer Rücklage einstellen, die bis auf knapp 50 Mrd. Euro stieg. Noch heute zehrt die Regierung von diesem Puffer. Die höhere Staatsverschuldung hat aber eine hässliche Kehrseite: höhere Ausgaben für Zins und Tilgung. Im Diskurs über die Reform der Schuldenbremse kommt dies vielfach zu kurz, obwohl es den politischen Gestaltungsspielraum ebenfalls einengt.
Neue Buchungsmethode
Mehr Schulden und Zinssteigerung belasten den Bund enorm. 2021 fielen die Zinsausgaben des Bundes auf einen Tiefstand von 3,9 Mrd. Euro – 2023 schnellten sie auf das Zehnfache empor. Bis 2028 werden sie auf 45,3 Mrd. Euro steigen. Nach dem mittelfristigen Finanzplan des Bundes gibt es von 2025 an zeitweise eine Delle. Die Umstellung auf eine neue Buchungsmethode, Agio bzw. Disagio bei Bundesanleihen über die Laufzeit zu strecken, ist die Ursache dafür. Die Wissenschaft fordert dies seit geraumer Zeit. Der Bund hatte sich aber erst dazu bequemt, nachdem es nach dem Ende negativer Rendite für deutsche Staatskredite zu mehr Spielraum bei den Ausgaben führte.
Last der Tilgung
Auch Tilgung wird den Ausgabespielraum des Bundes einengen. Denn Schulden aus Notlagenkrediten müssen – anders als die stets revolvierten sonstigen Kredite – laut Schuldenbremse zurückgeführt werden. Von 2028 an sind dies mehr als 9 Mrd. Euro im Jahr. 2031 komme weitere 5 Mrd. hinzu. Nicht überraschend ist, dass es Bestrebungen gibt, diese Last abzuwerfen. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatte sie im Finanzplan einfach vernachlässigt und eine neue Regel ersonnen: Sinkt Deutschland unter den Schuldenstand von 60%, könne darauf verzichtet werden.
Konflikt mit Europaregel
Ach, Europa. Dort hat Deutschland auch noch eine große Baustelle. Selbst wenn es die Schuldenbremse nicht gäbe, würde die europäischen Fiskalregeln die Staatsverschuldung begrenzen. Sie gelten unmittelbar. Der reformierte EU-Stabilitätspakt folgt einem neuen Konzept. Es beruht auf Ausgabepfaden auf der Basis eines nationalen Schuldentragfähigkeitskonzepts. Defizite werden weniger betrachtet. Die neuen Regeln stecken noch in den Kinderschuhen. Sie sind unerwarteter Weise aber wohl so streng, dass in Berlin erwogen wird, die eigentlich für Schuldensünder gedachte Notlösung zu nutzen. Wer Strukturreformen angeht, bekommt mehr Zeit und mildere Auflagen beim Ausgabenpfad.
Schuldenbremse und EU-Stabilitätspakt folgen unterschiedlichen Konzepten. Die Schuldenbremse stellt nicht automatisch sicher, dass der europäische Stabilitätspakt eingehalten wird. Das Problem reicht noch weiter: Bund und Länder haben versäumt, sich auf eine nationale Methode zu verständigen, wie sie gemeinsam die europäischen Vorgaben einhalten werden. Es gibt noch viel zu schrauben an der Schuldenbrems. Die Fiskalregel muss europatauglich sein und Schulden bei Bund und Ländern wirksam begrenzen.
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