„Sondervermögen ist ein Game-Changer für die deutsche Wirtschaft“
„Sondervermögen ist ein Game-Changer“
DIW schätzt Wachstumseffekt auf einen Prozentpunkt für 2026 – Kritik an Lohnforderungen von Verdi
Das Berliner DIW dringt auf eine Einigung im Bundestag über ein Sondervermögen für mehr Infrastrukturausgaben und eine Aufweichung der Schuldenbremse für höhere Verteidigungsausgaben. Ansonsten würde die deutsche Wirtschaft sich nur weiter dahinschleppen und ausbluten.
lz Frankfurt
Ohne eine Bundestagsentscheidung über zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur über ein Sondervermögen und zusätzliche Verteidigungsausgaben über eine gelockerte Schuldenbremse wird die deutsche Wirtschaft weiter kaum vom Fleck kommen, erwartet das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Die Berliner Forscher rechnen in diesem Fall für das laufende Jahr mit einer erneuten Stagnation und im nächsten Jahr mit einer leichten Erholung auf nur 1,1% Wachstum.

Politische Unsicherheit durch die vorgezogenen Bundestagswahlen, aber auch die weltweiten handels- und geopolitischen Unwägbarkeiten treffen die deutsche Wirtschaft in einer fragilen Lage, schreiben die Forscher in der Prognose. Ein wesentlicher Grund für die trüben Aussichten ist nach Darstellung des DIW der private Konsum, der sich hierzulande trotz steigender Reallöhne schwächer als erwartet entwickelt. Angesichts der angespannten weltpolitischen Lage und Sorgen um den Arbeitsplatz hielten sich viele Menschen in Deutschland mit größeren Anschaffungen zurück. „Der Verlust der USA als verlässlichen politischen Partner stellt die künftige Bundesregierung zudem vor große Herausforderungen und verschärft insbesondere für die exportorientierten Unternehmen die ohnehin schwierige Lage“, betont DIW-Konjunkturchefin Geraldine Dany-Knedlik.
Hoffnung auf Investitionen
Hoffnung machen indes nach den Worten von DIW-Chef Marcel Fratzscher das geplante Sondervermögen für Infrastrukturinvestitionen und die Ausnahmen von der Schuldenbremse bei den Verteidigungsausgaben. Allein mit dem Sondervermögen ergäbe sich schon im kommenden Jahr „eine um einen Prozentpunkt höhere Wachstumsrate als im Fall ohne Sondervermögen“, sagt Fratzscher. Die Prognose des DIW für 2026 würde sich dann statt auf 1,1% bei 2,1% Wachstum einpendeln. Das laufende Jahr wäre allerdings noch nicht betroffen: Die Investitionsprojekte benötigten eine Anlaufzeit; ein positiver Effekt auf das Wachstum werde daher frühestens 2026 erwartet, so das DIW.
DIW-Konjunkturchefin Dany-Knedlik spricht von einem „Game-Changer für die deutsche Wirtschaft“. Zumal angesichts der gegenwärtigen Lage nur ein Teil der zusätzlichen Ausgaben in die Inflation fließen würden, auch weil die Auslastung niedrig ist. Die DIW-Forscherin rechnet mit einem Inflationsplus in Deutschland von 0,5 Prozentpunkten. Auf der anderen Seite würde aber auch das Wachstum in den europäischen Nachbarländern um 0,2 bis 0,4% stärker zulegen als ohne den deutschen Impuls.
Reform der Schuldenregeln
DIW-Chef Marcel Fratzscher fordert daher: „Die Stärkung öffentlicher Investitionen und eine Reduzierung wirtschaftlicher Unsicherheiten sollten für die neue Bundesregierung oberste Priorität haben.“ Zwar seien Sondervermögen nicht die ideale Lösung, räumt er ein, sie könnten jedoch einen pragmatischen Ansatz bieten, um Deutschlands ausgeprägte Investitionsschwäche zu kompensieren und die deutsche Wirtschaft endlich aus der Krise zu holen.
Für Fratzscher ersetzt die geplante Umgehung der Schuldenregeln durch das Sondervermögen noch nicht die Notwendigkeit einer grundlegenden Reform der Schuldenbremse und anderer wirtschaftlicher Rahmenbedingungen. „Zwei Stellschrauben sind für die Wirtschaft dabei besonders relevant: die Beseitigung des Arbeitskräftemangels und die Belebung des privaten Konsums.“ Für Ersteres werde es darauf ankommen, die drei Millionen Schutzsuchenden besser und schneller in den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft zu integrieren. Gleichzeitig müssten die Hürden für die Zuwanderung von hoch qualifizierten Fachkräften aus Nicht-EU-Staaten gesenkt werden. Um sowohl die Binnennachfrage zu stärken als auch das Arbeitsangebot besser zu nutzen, seien gezielte Entlastungen für Menschen mit mittleren und geringen Einkommen dringend nötig.
Sorgen um die Solidität Deutschlands angesichts neuer Staatsschulden macht sich Fratzscher nicht. Vielmehr würde sich die Schuldenposition des Landes „eher noch verbessern, weil sich die wirtschaftlichen Aussichten aufklären“.
Kritik an Lohnforderung von Verdi
Sorgen macht er sich hingegen in einer für ihn eher untypischen Äußerung mit Blick auf die jüngsten Lohnforderungen der Gewerkschaften. Die von Verdi für den öffentlichen Dienst geforderten 8% mehr Lohn, feste Nominalzahlungen und mehr Freizeit hält er für „überzogen“. Das sei in einer Zeit, in der die Wirtschaft stagniert, nicht angebracht. In vielen Kommunen dürfte das zu Investitionskürzungen führen. Es sei falsch, „den Arbeitskräfte- und Fachkräftemangel in diesen Zeiten für exzessive Lohnforderungen zu nutzen“. Auch die von den Koalitionären geplante Anhebung des Mindestlohns auf 15% hält er angesichts der Lage für überzogen.