Arbeitsmarktreform

Streit über Mindestlohn in Spanien

Der Tourismus hat dem spanischen Arbeitsmarkt einen ordentlichen Aufschwung ermöglicht. Die Regierung von Pedro Sánchez muss aber eine Arbeitsmarktreform vorlegen, um EU-Hilfen zu erhalten.

Streit über Mindestlohn in Spanien

ths Madrid

An Spaniens Stränden wird es mit dem Ende der Hauptreisesaison gerade wieder etwas ruhiger. Die Tourismusbranche zieht mit einer gewissen Erleichterung Bilanz des Sommers. Die Zahl der ausländischen Besucher lag zwar weit unterhalb des Vorkrisenniveaus, was teilweise durch den gestiegenen nationalen Tourismus ausgeglichen wurde. Doch die Befürchtungen, dass die Delta-Variante und die Reisebeschränkungen in wichtigen Märkten wie Großbritannien und Deutschland den Sommer erneut total verhageln könnten, bestätigten sich nicht.

Der Tourismus war in den letzten Monaten maßgeblich für den Rückgang der Arbeitslosigkeit verantwortlich. Dennoch bleibt man in Madrid vorsichtig. Die coronabedingten Sonderbedingungen für Kurzarbeit (ERTE) sollen über den September hinaus verlängert werden. Von einst 3,6 Millionen Menschen in Kurzarbeit, beziehen heute nur noch 272000 diese Unterstützung, mehr als die Hälfte davon ist im Gastgewerbe tätig.

Doch bei aller Vorsicht prescht die spanische Regierung nun mit der umstrittenen Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns vor. Ministerpräsident Pedro Sánchez verteidigte die Maßnahme diese Woche auf einer Konferenz vor führenden Wirtschaftsvertretern. Die wirtschaftliche Erholung müsse „auch im Geldbeutel der Menschen ankommen, in Form von mehr Arbeit, besseren Löhnen und Renten“, sagte der Regierungschef.

Nach einem ersten Treffen am Mittwoch kommen Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften am Montag erneut mit der Regierung zusammen, um über eine Erhöhung des Mindestlohns zu verhandeln. Derzeit liegt der bei 950 Euro im Monat, bei den in Spanien üblichen 14 Raten. Im Lauf der Legislaturperiode soll der Mindestlohn auf über 1000 Euro steigen, was 60% des Durchschnittsverdiensts im Lande entspricht. So steht es im Koalitionsvertrag zwischen den Sozialisten (PSOE) von Sánchez und dem Linksbündnis Unidas Podemos (UP). Während die Linken seit Monaten auf eine weitere Anhebung des Mindestlohns drängen, hatten sich die Sozialisten um Wirtschaftsministerin Nadia Calviño bis zuletzt verweigert. Sánchez gab dem Druck nun nach.

Der Arbeitgeberdachverband CEOE ist gegen die Aufstockung. „Das ist nicht der geeignete Moment, denn wir haben eineinhalb schreckliche Jahre hinter uns“, sagte CEOE-Präsident Antonio Garamendi. Doch die Unternehmer verharren am Verhandlungstisch mit den Gewerkschaften und Arbeitsministerin Yolanda Díaz, die nach dem Abschied von Podemos-Chef Pablo Iglesias die Führung der Linken in der Koalition übernommen hat. Schließlich müssen sich die drei Seiten bis Ende des Jahres auch auf eine Arbeitsmarktreform einigen, eine Bedingung für den Erhalt der Mittel aus dem EU-Aufbaufonds Next Generation. Eine Übereinkunft scheint in weiter Ferne.

Zuletzt konnte man sich auf eine erste Phase der ebenfalls von Brüssel geforderten Rentenreform einigen. Die betrifft jedoch nur die Anpassung der Bezüge an die Inflationsrate, was aufgrund der massiv gestiegenen Preise den Staatshaushalt teuer zu stehen kommen wird. Wie das System nachhaltig stabilisiert werden soll, ist noch unklar.

Die Hilfen der EU – Spanien ist mit Zusagen über 140 Mrd. Euro an Zuwendungen und Krediten der zweitgrößte Bezieher – sind nach Ansicht der Experten ein wesentlicher Faktor für den weiteren Aufschwung. Die meisten Volkswirte haben die Prognose für das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr zuletzt auf über 6% angehoben.

Mit massiven Investitionen in die Digitalisierung und die Energiewende soll die Wirtschaft nachhaltig modernisiert werden. „Für Spaniens langfristige Perspektive ist es entscheidend, wie effektiv das Geld ausgegeben wird“, schrieben UBS-Analysten. Die Zweifel an der Ausführung der Investitionen sind berechtigt. Denn Sánchez führt eine Minderheitsregierung. Zunächst muss man sich mit den Linken über Reformen und Ausgabenpläne einigen und dann weitere Stimmen bei kleineren Parteien im Parlament suchen.