Rüstungspolitik und Russland-Konflikt

Studie: Deutschland erst in Jahrzehnten „kriegstüchtig“

Die Ampelregierung muss mehr Geld für Verteidigung ausgeben, der Rüstungsindustrie langfristige Investitionsperspektiven zusichern und das Beschaffungswesen verschlanken, fordern Ökonomen des IfW Kiel. Denn im Moment wird größtenteils nur ersetzt, was in die Ukraine abfließt.

Studie: Deutschland erst in Jahrzehnten „kriegstüchtig“

Studie: Kriegstüchtig erst in Jahrzehnten

lz Frankfurt

„Die Zeitenwende ist bisher nur eine Worthülse“, sagt Moritz Schularick, Präsident des IfW Kiel, zur deutschen Rüstungspolitik. Nach wie vor seien die Ausgaben der Ampelregierung für die Bundeswehr angesichts der Bedrohungslage durch Russland und nach Jahrzehnten der Abrüstung „völlig unzureichend“. Um die Militärbestände von vor 20 Jahren wieder zu erreichen, bräuchte Deutschland beim aktuellen Beschaffungstempo bis zu knapp 100 Jahre, wie eine Studie der Kieler Ökonomen dargelegt.

Schuld am langsamen Aufrüsten der Bundeswehr seien zum einen ein „desolates Beschaffungswesen“ sowie zu wenig Anreize für die Militärindustrie durch zu zaghafte Budgetplanung. Zum anderen fehle die Perspektive für die Industrie, ihre Produktionskapazitäten auszuweiten, weil unklar sei, wie viel Geld Deutschland nach Auslaufen des Sondervermögens für Verteidigung ausgeben möchte. Die Folge seien „sehr lange Lieferzeiten und hohe Kosten“.

Verzögerte Aufrüstung

Obendrein sei die Beschaffung „unnötig teuer“ wegen der zu geringen Stückzahlen. Die Ökonomen kritisieren, dass die Bundesregierung erst gut ein Jahr nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine begonnen hatte, in nennenswertem Umfang ihre Verteidigungsausgaben zu erhöhen. Gleichwohl seien bisher erst Bestellungen im Wert von rund 90 Mrd. Euro platziert. Obendrein schaffe es die Bundesregierung aktuell „nur knapp, die an die Ukraine abfließenden Waffen zu ersetzen“.

„Was Europa jetzt braucht, ist neben dem Sondervermögen eine dauerhafte, deutliche und sofortige Erhöhung der regulären deutschen Verteidigungsausgaben auf mindestens 2% des BIP“, fordert Guntram Wolff, Fellow am IfW Kiel.

Wolff, der auch Hauptautor des Reports „Kriegstüchtig in Jahrzehnten“ ist, führt aus: „Man muss es so deutlich sagen: Ein Weiter-so-wie-bisher wäre mit Blick auf Russlands Aggression fahrlässig und verantwortungslos“.

Denn den Europäern stünden massiv anwachsende Rüstungskapazitäten Russland – auch bei modernen Waffensystemen – gegenüber, warnen die Autoren. In Russland würde die gesamte Menge der deutschen Waffenbestände in nur gut einem halben Jahr produziert.

Frieden, mahnt IfW-Präsident Schularick, gebe es erst dann, „wenn das Regime in Moskau versteht, dass es einen Angriffskrieg in Europa militärisch nicht gewinnen kann“. In Bezug auf Deutschland bedeutet das der Studie zufolge ein „angemessenes Verteidigungsbudget von mindestens 100 Mrd. Euro pro Jahr“.