Umdenken bei Inflation zu erwarten
ba Frankfurt
Konjunkturell gesehen läuft es im dritten Quartal rund – sowohl im Euroraum als auch in dessen größter Volkswirtschaft. In zweierlei Hinsicht allerdings kommt Spannung auf: bei der Inflation und auf dem Arbeitsmarkt. Dies zeigt sich im aktuellen Konjunkturtableau des Mannheimer Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und der Börsen-Zeitung zwar erst teilweise, doch dürfte sich dies bald ändern, wie ZEW-Experte Michael Schröder avisiert.
„Spannend dürfte der weitere Verlauf der Inflationsrate im Eurogebiet werden“, betonte Schröder. Noch bewertet die Europäische Zentralbank (EZB) die aktuellen Preissteigerungen als temporäres Phänomen, allerdings mehren sich zunehmend die Sorgen, ob diese Sichtweise zutrifft oder nicht doch ein baldiger Kurswechsel weg von der ultralockeren Geldpolitik angezeigt ist. Im Juli lag die Inflationsrate im Euroraum bei 2,2% – das ist ein Anstieg um 0,3 Prozentpunkte zum Juni und die höchste Jahresrate seit Oktober 2018. Damit liegt sie aber weit unterhalb der im Juli in Deutschland gemessenen Teuerungsrate von 3,8% in nationaler Rechnung (VPI), bzw. von 3,1% nach der Berechnung für europäische Zwecke (HVPI). Laut Eurostat kam der Preisanstieg im Juli vor allem von den Bereichen Energie und Dienstleistungen, während die Preise bei Lebensmitteln und industriellen Gütern im Monatsvergleich sogar zurückgingen.
Noch gehen die Prognostiker davon aus, dass der Preisschub kurzfristiger Natur sein wird. Allerdings, so betonte Schröder, wurden die Maximalprognosen im Vergleich zum Juli-Tableau erheblich angehoben. Für 2022 liegt der höchste prognostizierte Wert jetzt bei 2,6 (zuvor: 2,0)% und für 2022 bei 2,2 (1,7)% (siehe Tabelle). Da der Median, den das ZEW für das Konjunkturtableau monatlich ermittelt, in beiden Jahren aber oberhalb des frisch nachgeschärften Preisziels der EZB liegt, „könnte (und müsste) dies zu einer weniger lockeren Geldpolitik der EZB führen oder sogar einer ersten Zinserhöhung“, sagte Schröder. Angesichts der hohen Prognoseunsicherheit für die Inflationsentwicklung, die üblicherweise bei mittelfristigen Prognosen vorliegt, könne es „im Laufe der nächsten 12 bis 18 Monate sowohl bei Inflation als auch Geldpolitik durchaus zu größeren Überraschungen kommen“, erwartet Schröder. Die Medianprognose (Rückgang der Inflation unter 2% und unverändert lockere Geldpolitik) sei zwar derzeit noch die Mehrheitsmeinung, diese werde aber „mit jedem weiteren Anstieg der Inflationsrate auf die Probe gestellt“. Dass der Preisdruck auf den vorgelagerten Stufen nicht abreißt, zeigt sich an den Erzeugerpreisen, die im Juni im Rekordtempo um 10,2% zum Vorjahr stiegen (siehe Bericht Seite 4).
Eine baldige Aufwärtsrevision der Voraussagen erwartet Schröder mit Blick auf den Arbeitsmarkt, der „sich recht erfreulich entwickelt hat“. Im Juni lag die Arbeitslosenquote bei 7,7%, das sind 0,2 Prozentpunkte weniger als im Mai. Die derzeit prognostizierten Werte blieben mit 8,3% (für 2021) und 7,9% (für 2022) zwar praktisch unverändert zu den vorherigen Prognosen, doch sei „zu vermuten, dass die Prognosen für das nächste Jahr – und wahrscheinlich auch schon für das laufende Jahr – nach unten angepasst werden, da die bisherige Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt wesentlich günstiger verlief als gedacht“. Selbst die Untergrenze von 7,5% für 2022 hält Schröder für „kaum noch vereinbar“ mit den jetzt schon erreichten Entwicklungen. Dafür spricht auch, dass das European Labour Market Barometer im Juli trotz kleinen Dämpfers auf hohem Niveau verharrte (siehe unten stehender Bericht).
Optimistisch zeigen sich die Experten auch für das Wirtschaftswachstum im Euroraum: So liegen die aktuellen Jahresprognosen etwas höher als noch vor einem Monat. Die Medianprognose für das laufende Jahr stieg von 4,3% auf jetzt 4,6%. Für 2022 ermittelte das ZEW 4,3% nach 4,2% Anfang Juli. Demzufolge würde das reale BIP Ende 2021 noch etwa 2,3% unterhalb des Vorkrisenniveaus von Ende 2019 liegen und Ende 2022 um ca. 1,9% darüber. Die deutsche Wirtschaft würde trotz des unterdurchschnittlichen Wachstums im zweiten Quartal „die Covid-19-Krise deutlich besser überstehen als der Durchschnitt des Eurogebiets“, erwartet Schröder: Ende 2021 liege das Wachstum um 1,5% unter dem Vorkrisenniveau und Ende 2022 um etwa 2,8% darüber.
Konjunkturtableau Eurozone | ||||||||||
1. Quartal | 2. Quartal | Prognose 2021 | Prognose 2022 | |||||||
2019 | 2020 | 2021 | 2021 | Tief | Median | Hoch | Tief | Median | Hoch | |
Volkswirtschaftliche Daten | ||||||||||
Bruttoinlandsprodukt 1 | 1,3 | − 6,6 | − 0,3 | 2,0 5 | 3,7 | 4,6 | 6,2 | 3,1 | 4,3 | 5,2 |
Privatkonsum 1 | 1,3 | − 8,0 | − 2,3 | 2,5 | 3,2 | 4,2 | 5,0 | 6,1 | 6,7 | |
Staatskonsum 1 | 1,8 | 1,2 | 0,0 | 2,9 | 3,2 | 3,6 | 0,3 | 0,7 | 1,2 | |
Anlageinvestitionen 1 | 5,7 | − 8,3 | 0,2 | 5,7 | 6,8 | 8,3 | 5,0 | 5,6 | 6,5 | |
Exporte 1 | 2,5 | − 9,4 | 1,0 | 0,0 | 9,9 | 9,9 | 0,0 | 6,0 | 6,0 | |
Importe 1 | 3,9 | − 9,2 | 0,9 | 0,0 | 9,2 | 9,9 | 0,0 | 7,7 | 7,7 | |
letzter Wert | ||||||||||
Verbraucherpreise 2 | 1,2 | 0,3 | 2,2 (Juli) 5 | 1,2 | 1,9 | 2,6 | 0,7 | 1,5 | 2,2 | |
Arbeitslosenquote 3 | 7,5 | 7,8 | 7,7 (Juni) | 8,0 | 8,3 | 8,8 | 7,5 | 7,9 | 9,0 | |
Zinsen und Zinsdifferenzen | in 3 Monaten | in 12 Monaten | ||||||||
3-Monats-Geld 3 | − 0,36 | − 0,43 | − 0,54 | − 0,6 | − 0,5 | − 0,5 | − 0,6 | − 0,5 | − 0,4 | |
10-jährige Anleihen 3 | − 0,14 | − 0,57 | − 0,46 | − 0,5 | − 0,1 | 0,2 | − 0,5 | 0,0 | 0,4 | |
USA/Eurozone, langfristig 3, 4 | 205 | 151 | 170 | 140 | 178 | 200 | 158 | 184 | 200 | |
USA/Eurozone, kurzfristig 3, 4 | 269 | 107 | 66 | 63 | 72 | 80 | 63 | 72 | 82 | |
Eurozone lang/kurz 3, 4 | 22 | 14 | 8 | 5 | 46 | 70 | 5 | 56 | 184 | |
Redaktionsschluss: 2. August, Tagesdaten vom 30. Juli1) real gegen Vorjahr bzw. Vorquartal in %; 2) gegen Vorjahr in %; 3) Werte für 2019 und 2020 sind Jahresdurchschnitte, letzter Wert der Zinsen und Zinsdifferenzen sind Stände vom Vortag; 4) in Basispunkten; 5) erste vorläufige Schätzung |