Serie zur Bundestagswahl (6):Europapolitik

Unterschiedliche Reformansätze der Parteien für die EU

CDU-Chef Friedrich Merz hat für den Fall eines Wahlsieges wieder mehr europapolitisches Engagement versprochen. In ihrem Wahlprogramm wird die Union allerdings nur wenig konkret.

Unterschiedliche Reformansätze der Parteien für die EU

Serie zur Bundestagswahl (6): Europapolitik

Unterschiedliche Reformansätze für Brüssel

CDU verspricht mehr EU-Engagement, ohne konkret zu werden − Bürokratie, Binnenmarkt und Erweiterung im Parteien-Fokus

Von Andreas Heitker, Berlin

Die Ansage von CDU-Chef Friedrich Merz auf dem jüngsten Bundesparteitag war ganz klar: „Wir werden wieder Präsenz zeigen in Brüssel“, versprach der Kanzlerkandidat für den Fall eines Wahlsieges. Eine unionsgeführte Bundesregierung werde wieder öfter an den EU-Ratssitzungen teilnehmen, einen engeren Schulterschluss mit den Nachbarstaaten suchen und die Praxis des „German Vote“ beenden, betonte Merz. „Wir werden wieder engagierte Europäer sein.“

Dass eine solche Ansage auch aus Sicht von Vertretern der Wirtschaft überfällig war, war zu Beginn der Legislaturperiode kaum zu erwarten gewesen. Denn die Ampel-Parteien hatten 2021 ein äußerst ambitioniertes Europakapitel in ihren Koalitionsvertrag geschrieben. Zahlreiche Reformschritte der EU wurden hier unterstützt. Die Rede war sogar von einer „Weiterentwicklung der EU zu einem föderalen europäischen Bundesstaat“.

Das „German Vote“ bringt auch die Wirtschaft auf die Palme

Die Realität der vergangenen drei Jahre war dann aber mehr als ernüchternd: Die ständige Uneinigkeit der drei Ampel-Parteien führte auch in Brüssel immer wieder zu Enthaltungen bei wichtigen Abstimmungen. Dieses sogenannte German Vote gab es zwar auch schon zu Merkel-Zeiten – aber nicht in dieser Häufigkeit und Kurzfristigkeit. Denn wiederholt stellte die Ampel sehr zum Ärger der anderen Mitgliedsstaaten auch Gesetzesvorhaben wieder infrage, die auf europäischer Ebene eigentlich längst geeint schienen. Stichwort: Verbrenner-Aus.

Der neue BDI-Präsident Peter Leibinger bezeichnete diese Europapolitik der Ampel kürzlich als „katastrophal“. Die German Votes seien in jedem Fall „eine Abstimmung gegen deutsche Interessen“ gewesen, klagte Leibinger und forderte von der künftigen Bundesregierung, sie müsse wieder eine Führungsrolle in der Europäischen Union übernehmen.

Unterschiedliche Visionen einer künftigen EU

Konkrete Pläne für die EU sind im Wahlprogramm von CDU/CSU allerdings nur wenige aufgelistet. Zu finden sind die üblichen Stichworte: Vertiefung des Binnenmarktes, Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, Bürokratieabbau. Die Union schlägt hier unter anderem einen „sofortigen Belastungsstopp“ für neue und laufende EU-Initiativen vor sowie das Messen von Bürokratiekosten durch einen unabhängigen europäischen Normenkontrollrat. Ansonsten bieten CDU/CSU wenig Greifbares, auch nicht zu den geforderten „Reformen der Institutionen und Arbeitsweisen“ in Brüssel.

Immerhin bringt die Union ihre Skepsis gegenüber weiteren Integrationsschritten immer wieder zum Ausdruck. Mehr Europa solle es nur dort geben, wo Europa einen Mehrwert für alle schaffe, heißt es im Wahlprogramm. „Unser Ziel ist ein Europa, das regional verwurzelt, nationalstaatlich getragen und europäisch legitimiert ist“, wird als Vision vorgegeben.

Tieferen Binnenmarkt wollen alle

Die nach aktuellen Stand möglichen Koalitionspartner der Union – sprich: die drei Ampel-Parteien – werden in den Europakapiteln ihrer Wahlprogramme etwas deutlicher, wenn auch mit sehr unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen. Alle drei Parteien wollen ebenfalls den Binnenmarkt vertiefen. Während die Grünen diesen aber insbesondere um eine Digitalunion ergänzen wollen, verlangt die SPD eine „echte europäische Sozialunion“, unter anderem mit EU-Mindeststandards bei den nationalen Grundsicherungssystemen. Schnittstellen mit der FDP haben die Sozialdemokraten bei der erhofften Stärkung und Verzahnung der europäischen Verteidigungspolitik. Auf ein Initiativrecht für das EU-Parlament können sich SPD, Liberale und Grüne ebenso einigen wie für ein Aufbrechen der Vetorechte in EU-Abstimmungen. Hier haben alle drei allerdings so ihre eigenen Vorstellungen: Die FDP spricht von qualifizierten Mehrheitsentscheidungen in der EU-Außen- und Sicherheitspolitik, die SPD möchte über eine Vertragsreform allgemein das Einstimmigkeitsprinzip im Europäischen Rat und den Ministerräten ablösen. Die Grünen wiederum stellen am deutlichsten fest: Die Einstimmigkeit müsse in der EU „in allen Politikbereichen“ gestrichen werden.

Die Grünen, die nationale Alleingänge in Europa in ihrem Wahlprogramm ausdrücklich ablehnen, propagieren die vielleicht radikalste Vision einer zukünftigen EU: eine „Föderale Europäische Republik mit eigener Verfassung“ und zusätzlichen Eigenmitteln. Die FDP setzt den Fokus in ihrer Europaagenda dagegen weniger auf Visionen, sondern mehr auf einen konkreten Plan zum Bürokratieabbau: Die Liberalen verlangen, die Berichtspflichten aus dem Green Deal vollständig wieder abzuschaffen. Genannt werden in diesem Zusammenhang die Taxonomie, die CSRD, das EU-Lieferkettengesetz oder auch den Aktionsplan Kreislaufwirtschaft. Außerdem steht bei der FDP eine Verkleinerung der EU-Kommission auf der Agenda.

Unterstützung der Parteien für den EU-Erweiterungsprozess

Alle Parteien der politischen Mitte machen sich in Deutschland konkrete Gedanken über den Erweiterungsprozess der EU. Dabei wird eine Aufnahme der Länder des westlichen Balkans, der Ukraine und von Moldau durchweg von allen grundsätzlich unterstützt. Die CDU/CSU schlägt „Zwischenstufen“ für die Kandidatenländer bis zu einer Vollmitgliedschaft vor. Die Union wirbt zugleich ausdrücklich für stärkere Kooperationen mit Ländern wie Norwegen, der Schweiz oder auch Großbritannien, insbesondere hier in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. An diesem Thema dürfte eine Koalition der Union mit SPD, FDP oder Grünen kaum scheitern – auch wenn die EU-Ambitionen der Parteien insgesamt sehr unterschiedlich sind.

Zuletzt erschienen: Das sozialpolitische Wolkenkuckucksheim der Wahlkämpfer (5.2.) Deutsche Fiskalregel entzweit die Parteien (1.2.)


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