„Wer alle Ausgaben mit der Kreditkarte bezahlen kann, der ordnet seine Finanzen nicht neu“
Im Interview: Otto Fricke
„Der dringende Reformbedarf wird so wieder einmal aufgeschoben“
Der FDP-Politiker warnt, dass die Finanzpakete die deutsche Kreditwürdigkeit senken und damit die Zinslast in ganz Europa künftige Generationen erdrückt
Der haushaltspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Otto Fricke, befürwortet höhere Verteidigungsausgaben, würde dies aber eher über eine Erhöhung des bestehenden Sondervermögens ermöglichen. Die Finanzpakete von Union und SPD führen seiner Ansicht nach dazu, dass nötige Reformen verschoben werden.
Herr Fricke, nach der Einigung von Union und SPD auf ein Sondervermögen und eine Reform der Schuldenbremse befürchten viele, dass auch Deutschland sich zu einem Hochdefizitland in Europa mit Schulden von mehr als 100% des BIP entwickelt. Verliert die Eurozone ihren wichtigsten Stabilitätsanker?
Spätestens seit Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU muss Deutschland die starke Stimme für solide Haushaltspolitik sein, wenn wir eine Schuldenspirale vermeiden wollen. Ein neues Schuldenpaket in dreistelliger Milliardenhöhe trägt mit Sicherheit nicht dazu bei, dass Deutschland in dieser Rolle noch ernst genommen wird. Bereits jetzt gerät die Stabilität ins Rutschen. Noch ist Deutschland die letzte große Volkswirtschaft mit AAA-Rating. Fällt das Rating, zahlen alle Länder der Europäischen Union spürbar höhere Zinsen.
Es gilt als unstrittig, dass Deutschland und Europa auf die verschärfte Bedrohung reagieren und stärker in Verteidigung investieren müssen. Warum keine dauerhafte Ausnahme von der Schuldenbremse?
Es ist absolut richtig, dass wir mehr für Verteidigung ausgeben müssen. Der Vorschlag von SPD und CDU/CSU sorgt aber dafür, dass, leicht versteckt, Mittel in Höhe von 9 Mrd. Euro des Einzelplan 14 im Bundeshaushalt frei und Konsolidierung sowie eine strukturelle Reform unserer Beschaffung vermieden werden. Die bessere Alternative wäre eine Erhöhung des bestehenden Sondervermögens gewesen. Damit wäre zudem sichergestellt, dass über diese Kredite keine Pensionen finanziert werden, aber langfristig die NATO-Vereinbarungen aus dem Kernhaushalt erfüllt werden.
Und das gewaltige Sondervermögen zugunsten der Infrastruktur? Der IWF rechnet mit einem Wachstumsschub durch zusätzliche Investitionen. Oder sinkt dadurch der Druck für Strukturreformen und Priorisierungen im Haushalt?
Es ist wie im Privaten: Wer alle Ausgaben mit der Kreditkarte bezahlen kann, der ordnet seine Finanzen nicht neu. Die Schuldenbremse war stets Anlass, Ausgabenwünsche abzuwägen und zu priorisieren. Der dringende Reformbedarf sowohl im Bundeshaushalt als auch bei unserer Bürokratie wird so wieder einmal aufgeschoben. Damit riskiert die kleine GroKo, die quasi dort weitermacht, wo sie 2021 aufhörte, dass unsere Kreditwürdigkeit sinkt und damit die Zinslast in ganz Europa künftige Generationen erdrückt.
Die Bundesländer sollen ebenfalls einen überraschend großen Verschuldungsspielraum erhalten. Hilft das Deutschland?
Es würde helfen, wenn Bund und Länder wieder die Dinge, für die sie zuständig sind, auskömmlich selbstständig finanzieren können. Dann gibt es wieder klare Verantwortung für Themen wie Bildung, Krankenhäuser und Nahverkehr. Durch klare Zuständigkeiten und Finanzierungspflichten könnten im Föderalismus auch wieder schneller Entscheidungen getroffen werden. Jetzt diese Einzelmaßnahme umzusetzen, ohne über das gesamte föderale Gefüge zu sprechen, halte ich für zu kurz gegriffen, zumal die Länder mehr Steuern einnehmen als der Bund.
Wäre die finanzpolitische Zeitenwende von Union und SPD schon vor der Bundestagswahl bekannt gewesen, hätte dies womöglich das Ergebnis beeinflusst. Hat die Union die Wähler getäuscht – und die FDP verraten?
Ich bin vorsichtig bei der Wortwahl, denn der Wähler, der uns nicht das Vertrauen ausgesprochen hat, wusste ja, dass die CDU sich diesen Ausweg offenließ. Wahrscheinlich hätte ein ehrliches Bekenntnis jedoch bei einigen zu einer anderen Wahlentscheidung geführt. Das zeigen zumindest die vielen Reaktionen, die mich erreichen. Aber hätte es dann für die 5% gereicht? Dieses Grübeln bringt kein anderes Wahlergebnis und hilft nicht bei den Entscheidungen, die noch anstehen.
Was planen Sie persönlich nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag?
Ich werde im November 60 Jahre alt, habe also, wenn ich es kann, noch mindestens zehn Jahre Berufsleben vor mir. Ich bin seit dreißig Jahren aktiver Rechtsanwalt. Wenn ich das mit meiner Parlamentserfahrung aus fünf Legislaturen verbinden könnte, wäre das ideal. Und da Träumen erlaubt ist, würde ich gerne meine Leidenschaft für die Niederlande nicht vernachlässigen. In der Partei würde ich gerne weiter den Bundesvorstand unterstützen. Aber da entscheidet bis zum Bundesparteitag die Basis, ob sie den alten – hoffentlich etwas weisen und nicht nur weißen – Mann noch will.
Die Fragen stellte Andreas Heitker.