Im InterviewHarald Christ

„Wir haben auch eine Verantwortung, zukünftigen Generationen ein intaktes Land zu übergeben“

Als Unternehmer nutzt Harald Christ seinen Gestaltungsspielraum. Von der nächsten Koalition in Berlin wünscht er sich ebenfalls neues Denken. Das gilt auch mit Blick auf die Schuldenbremse: Die künftige Generation könne nicht nur eine marode Infrastruktur, marode Wirtschaft und marode Schulen erben.

„Wir haben auch eine Verantwortung, zukünftigen Generationen ein intaktes Land zu übergeben“

Im Interview: Harald Christ

„Deutschland muss in eine Vorreiterrolle kommen“

Der Berater und Investor plädiert für einen 500 Mrd. Euro schweren Investitionsfonds in Deutschland, für mehr Europa und weniger Regulierung

Als Unternehmer nutzt Harald Christ seinen Gestaltungsspielraum. Von der nächsten Koalition in Berlin wünscht er sich ebenfalls neues Denken. Das gilt auch mit Blick auf die Schuldenbremse: Die künftige Generation könne nicht nur eine marode Infrastruktur, marode Wirtschaft und marode Schulen erben.

Herr Christ, Sie sind Unternehmer aber auch lange in der Politik gewesen. Wie schätzen Sie die Koalitionsoptionen in der Mitte aktuell ein?

Ich bin der festen Überzeugung, dass die Parteien der demokratischen Mitte nach der Wahl verantwortungsvoll genug sind und alle dafür sorgen wollen, dass Deutschland gut und stabil regiert wird. Deswegen sollten wir alles, was bis zur Wahl passiert, auch im Kontext eines intensiven Wahlkampfs betrachten. Aber es gehört zur Wahrheit dazu, dass einige Gräben tiefer geworden sind. In den letzten Wochen fand eine enorme Polarisierung statt , die sich hier vor allem um das Thema der inneren Sicherheit, der Flüchtlingsfrage, der illegalen Einwanderung, dreht. Das macht, diplomatisch ausgedrückt, eine Regierungsbildung nicht einfacher.

Halten Sie es für möglich, dass am Ende keiner der drei Kanzlerkandidaten Kanzler wird?

Seit Mittwoch der vergangenen Woche schließe ich selbst das nicht mehr aus.

Die Union wollte einen Wirtschaftswahlkampf führen. Wird das nach der Wahl wieder in den Vordergrund rücken?

Natürlich haben wir große Herausforderungen im Bereich der Zuwanderung. Das kann man nicht wegdiskutieren. Das treibt die Menschen um. Ich gebe Ihnen aber vollkommen recht, dass das Thema in den letzten Wochen überproportional Öffentlichkeit gefunden hat. Wie es mit Deutschland mittel- bis langfristig als Industriestandort weitergeht in einer zunehmend komplexeren geopolitischen Umgebung, sollte stärker im Vordergrund stehen. Das kommt zurzeit etwas zu kurz.

Welche akuten Herausforderungen sehen Sie?

Wir haben nach wie vor einen Angriffskrieg der Russen hier in Europa gegen die Ukraine. Wir haben nach wie vor eine Situation, dass wir fast täglich neue Entscheidungen des amerikanischen Präsidenten per Dekret erfahren, die weitreichende Folgen haben können für Deutschland aber auch für Europa. Wir befinden uns in einer Rezession, haben im internationalen Vergleich zu hohe Energiekosten und zu wenig Investitionstätigkeit. Ich würde mir wünschen, dass diese Themen im Endspurt des Wahlkampfs wieder stärker in den Vordergrund rücken. Noch wichtiger ist aber, dass die staatstragenden Parteien nach dem 23. Februar schnell die vielfältigen Herausforderungen angehen und nicht das Flüchtlingsthema erneut alles überlagert.

US-Präsident Trump wechselt in der Zollpolitik fast stündlich die Meinung. Wie ist Ihre Einschätzung? Wie sollte sich Europa verhalten?

Donald Trump war schon einmal Präsident. Deswegen ist das nichts Neues. Wir dürfen nicht bei jeder Forderung, die aus den USA kommt, sofort in Panik verfallen. Europa muss jetzt vor allem auf eine stärkere eigene Souveränität setzen. Wir sind ein starker Wirtschaftsraum mit 450 Millionen Menschen und unglaublich starken Unternehmen und Industrien. Wir müssen uns nicht verstecken – weder vor den USA noch vor China. Es bringt uns nicht weiter, von morgens bis abends über den Teich zu gucken und zu überlegen, was sich Trump als nächstes einfallen lässt. Am Ende müssen wir uns darauf konzentrieren, eigene Antworten definieren.

Es bringt uns nicht weiter, von morgens bis abends über den Teich zu gucken und zu überlegen, was sich Trump als nächstes einfallen lässt.

Zuletzt gab es viel Kritik für die EU. Was ist aus Ihrer Sicht derzeit noch die europäische Stärke?

Wenn Sie sich die Zeitungen und die Beiträge um die Jahrtausendwende anschauen, da hieß es: Deutschland ist der kranke Mann Europas. Deutschland ist abgehängt. Wenn das nach 2000 alles so gekommen wäre, dann wären die letzten 20 Jahre ziemlich schlecht gelaufen. Seit der Agenda 2010 hatten wir aber den längsten Wirtschaftsaufschwung in der Geschichte der Bundesrepublik. Und in Europa lief es auch recht gut. Deutschland hatte damals die Kraft für Reformen, um Innovationen und Investitionen voranzutreiben und die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Warum soll es heute nicht gelingen? Was wir brauchen, ist eine neue Agenda für Deutschland und natürlich auch eine Agenda für Europa, gemeinschaftlich.

Was gehört auf diese Agenda?

Unter anderem das Thema bezahlbare Energie, Entbürokratisierung und Deregulierung, Verteidigungsfähigkeit und eine europäische Handels- und Wirtschaftspolitik, die wichtige Industriezweige stärkt. Wir brauchen eigene, europäische Investitionsprogramme, analog zu dem, was jetzt in den USA gemacht wird. Dort wo es notwendig ist, etwa im Bereich der Datensouveränität und bei Zukunftstechnologien, wie KI, müssen wir die enormen Abhängigkeiten von den USA in einer gemeinsamen Kraftanstrengung abbauen.

Wie sind die Voraussetzungen für eine solche Kraftanstrengung?

Es wird immer so getan, als ob es unserem Land überwiegend schlecht geht. Unserem Land geht es überwiegend gut. Nahezu allen Unternehmen, die wir beraten, geht es gut. Es gibt einzelne Bereiche mit großen Herausforderungen. Da zählt mit Sicherheit die Automobilindustrie dazu. Wobei ich nicht den Eindruck habe, dass unsere großen Automobilkonzerne ihre Hausaufgaben nicht machen. Außerdem haben wir in Deutschland eine mittelständische Basis von Unternehmen, die aus Deutschland heraus international führend sind. Wir haben eine Staatsschuldenquote von um die 60%. Wir sind das niedrigstverschuldete Land der G7-Staaten. Das heißt, wir haben eine unglaubliche Substanz – und mehr fiskalpolitischen Spielraum als die meisten anderen Industriestaaten.

Bis 2020 wurden nach der deutschen Wiedervereinigung 1,6 Billionen Euro in den „Aufbau Ost“ investiert. Heute wären wir sofort in der Lage, einen Betrag von mindestens 500 Mrd. Euro für Investitionen zu mobilisieren.

Was machen wir damit?

Wir brauchen eine neue Agenda für Deutschland. Ich will mal einen kleinen Vergleich ziehen. Bis 2020 wurden nach der deutschen Wiedervereinigung 1,6 Billionen Euro in den „Aufbau Ost“ investiert. Heute wären wir sofort in der Lage, einen Betrag von mindestens 500 Mrd. Euro für Investitionen zu mobilisieren. In Deutschland allein. Mit Blick auf Europa sind noch ganz andere Beträge denkbar. Ich denke dabei an den Ausbau von Straßen, Brücken, Bahninfrastruktur, den Ausbau von Netzen und Energieinfrastruktur, Investitionen ins Bildungswesen, in Forschung und, wie gesagt, Zukunftstechnologien. Wir haben aufgrund unserer fiskalpolitischen Stärke alle Möglichkeiten, wettbewerbspolitisch groß zu denken.

Dennoch hatten wir zuletzt zwei Jahre in Folge Rezession …

Es irritiert mich ehrlich gesagt, dass das überhaupt jemanden verwundert. Nach dem Angriffskrieg Russlands sind die Energiekosten auch aufgrund der Abhängigkeit zu russischem Gas hochgegangen. Die Lieferketten sind durcheinandergeraten. Dadurch ist die Inflation sprunghaft gestiegen. Die EZB hat innerhalb kürzester Zeit mit massiven Zinssteigerungen gegengesteuert, um die Inflation zu bekämpfen. Wenn die Zinsen steigen, geht das immer zu Lasten von Investitionen. Und das wiederum zu Lasten der Konjunktur. Diese Sonderfaktoren balancieren sich gerade aus. Daher bin ich nach vorne gerichtet gar nicht so pessimistisch. Wichtig ist aber, dass wir jetzt Entscheidungen treffen und beherzt investieren, um unser Land wieder fit zu machen.

Da müssen Sie aber ans Thema Schuldenbremse ran, oder?

Ein Unternehmen, das nicht investiert, verliert irgendwann die Wettbewerbsfähigkeit. Ein Staat, der nicht investiert, verliert ebenfalls irgendwann die Wettbewerbsfähigkeit. Natürlich ist eine verfassungsrechtliche Schuldenbremse wichtig, weil sie künftige Generationen davor schützt, dass nicht zulasten der Zukunft Schulden ohne Sinn und Verstand gemacht werden. Aber ich bin für eine Reform. Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, lassen sich mit der harten Auslegung der jetzigen Schuldenbremse nicht bewältigen. Wir brauchen dreistellige Milliardenbeträge alleine für Investitionen in die Verteidigungsfähigkeit. Wir brauchen einen dreistelligen Milliardenbetrag für den Reformstau, Investitionsstau und unsere Infrastruktur. Und wir brauchen einen dreistelligen Milliardenbetrag, um in Bildungswesen, Forschung und Entwicklung und die Zukunftsfähigkeit des Landes zu investieren. Außerdem enorme Kraftanstrengungen, um mehr Wohnraum zu schaffen. Da kommen Sie relativ schnell auf die von mir genannten 500 Mrd. Euro. Kein Wachstum ist auf Dauer Gift für unser Land. Natürlich braucht es auch eine konsequente Konsolidierung des Haushaltes und Priorisierungen in der Mittelverwendung. Aber sich tot zu sparen, bringt uns nicht weiter.

Wir müssen Möglichkeiten schaffen, dass privates Kapital gemeinsam mit den Investitionen, die aus dem Bundeshaushalt kommen und die schuldenfinanziert sein können, zu kombinieren.

Das klingt nach ziemlich viel Staat für einen Unternehmer …

Weil eine wichtige Komponente natürlich fehlt. Wir müssen es schaffen, und das kommt mir in der Diskussion immer zu kurz, mehr privates Kapital zu mobilisieren. Das geht einerseits, indem wir attraktiver für Investoren aus dem Ausland werden. Und natürlich auch, indem wir inländisches Kapital stärker mobilisieren. Dazu könnte man etwa die Anlagerichtlinien von Assetmanagern oder von Versicherungen anpassen und zusätzliche Anreize schaffen. Es ist genügend Geld da in Deutschland – doch leider wird es allzu häufig nicht dort investiert, wo es benötigt wird. Es braucht einen Dreiklang: Wir müssen Möglichkeiten schaffen, dass privates Kapital gemeinsam mit den Investitionen, die aus dem Bundeshaushalt kommen und die schuldenfinanziert sein können, zu kombinieren. Deswegen finde ich die Idee eines Deutschlandfonds durchaus charmant. Ich bin mir relativ sicher, dass man durch eine Novellierung der Anlagerichtlinien dreistellige Milliardenbeträge mobilisieren könnte, die dann in VC, in Infrastruktur und in zukunftsgerichtete Investitionen gehen.

Gibt es einen generationengerechten Haushalt ohne große Investitionen?

Nein, das ist auch das Thema, bei dem ich mit der FDP wirklich über Kreuz liege. Der Spruch, wir dürfen künftigen Generationen nicht mehr Schulden überlassen, ist eine zu starke Vereinfachung. Soll unsere zukünftige Generation denn eine marode Infrastruktur, eine marode Wirtschaft und marode Schulen erben? Wir wissen doch alle: Was ich heute nicht instand halte, muss ich morgen dreifach bezahlen. Wir haben auch eine Verantwortung, zukünftigen Generationen ein intaktes Land zu übergeben.

Wie sehr drängt die Zeit?

Wenn Sie ein Unternehmen haben und über Jahre nicht mehr in Ihren Maschinenpark, in Innovation, in Forschung und Entwicklung investieren, weil Sie immer nur möglichst viel rausnehmen wollen, dann werden Sie irgendwann das Unternehmen gegen die Wand fahren. Und mit dem Staat ist es nicht anders. Ich erwarte von der Politik, dass den Menschen auch offen und ehrlich gesagt wird, auf was es in Zukunft ankommt. Wir brauchen ein Investitionsprogramm. Und wir müssen vor allem die Voraussetzung schaffen, dass das die nächsten zwei Jahre auf den Weg kommt. Uns läuft die Zeit davon.

Als ein Investitionshemmnis wird auch das Thema Regulatorik angesehen. Wie sehen Sie das?

Wir müssen natürlich aufpassen, dass in Brüssel keine Politik gemacht wird, die als wettbewerbs- und wachstumshemmend wahrgenommen wird. Und das ist in vielen Fällen leider der Fall. Die CSRD und das Lieferkettengesetz sind da häufige Diskussionsthemen. Ich habe da eine klare Meinung: Beides sollte zunächst ausgesetzt werden. Wir können doch in einer Phase, wo wesentliche Wirtschaftsunternehmen in einer großen Transformation stehen, diese nicht noch zusätzlich durch Strafzahlungen belasten.

Das heißt nicht, dass man die wichtigen Ziele aus den Augen verliert. Aber wir können auch nicht sehenden Auges unsere Wirtschaft immer weiter belasten, während in China und den USA im Grunde genommen alle Schleusen geöffnet werden, um die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.

Wie realistisch ist eine Rolle rückwärts bei der Regulierung?

Alles lässt sich machen. Jede Entscheidung, die heute getroffen wurde, kann man neu diskutieren, wenn sich makroökonomischen Anforderungen verändern. Man muss auch den Mut haben, genau das zu tun. Den Mut erwarte ich von der Politik in Deutschland ebenso wie von der EU. Wenn unsere Wirtschaft nachhaltig immer weiter geschwächt wird, hilft es weder der Umwelt noch dem Klima und bei sozialen Standards auch nicht. Es schadet auf Dauer unserem Wohlstand.

Wenn man Donald Trump etwas Gutes abgewinnen kann, dann ist es das Bewusstsein dafür, dass Europa viel enger zusammenarbeiten muss – auch in wirtschafts- und industriepolitischen Fragen.

Aber müssen wir bei vielen Investitionsprogrammen nicht deutlich europäischer denken? Etwa im Bereich KI, wo die USA und China massiv investieren?

Wenn man Donald Trump etwas Gutes abgewinnen kann – und ich hoffe, dass die europäischen Regierungen ihre Lektion lernen – dann ist es das Bewusstsein dafür, dass Europa viel enger zusammenarbeiten muss – auch in wirtschafts- und industriepolitischen Fragen. Wir als Deutsche haben ein vitales Interesse an einem starken Wirtschaftsraum Europa, weil kein anderes Land mehr davon profitiert. Alles, was wir aus Deutschland für Europa tun, zahlt auf unsere Interessen ein. Deutschland muss in eine Vorreiterrolle kommen.

Wie enttäuscht sind Sie über das Aus der Ampel?

Ich hätte mir gewünscht, dass diese Regierung mit einem beschlossenen Haushalt zu Ende regiert und dann erst gewählt wird. Jetzt haben wir eine Situation, in der wichtige Entscheidungen nicht mehr getroffen werden konnten und wir vermutlich bis in den Herbst hinein keinen Haushalt haben. Und wer hat am Ende profitiert? Die FDP kämpft um 4%. Die SPD ist wie in den aktuellen Umfragen wie einbetoniert um die 16%. Die Grünen bei 14%. Keiner der drei Ampelpartner hat profitiert. Ebenso wenig die Union. Ich wünsche mir eine stabile Mehrheit für eine Zweierregierung und eine Koalition, die dann voraussichtlich aus Union und SPD oder aus Union und Grünen besteht. Alles andere wäre für den Wirtschaftsstandort nicht gut und birgt die Gefahr, dass die Rechtspopulisten bis zur Bundestagswahl 2029 weiter zulegen.

Wie sollte ein Koalitionsvertrag aussehen?

Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt uns: Sie können heute einen Koalitionsvertrag nicht mehr für die gesamte Legislaturperiode verhandeln. Sie müssen sich auf gewisse Eckpunkte konzentrieren. Und dann muss man aber auch den Mut haben, den Vertrag alle zwölf Monate immer wieder einer Revision zu unterziehen. Was hat gut funktioniert? Was hat schlecht funktioniert? Was müssen wir korrigieren? Wie hat sich die Welt verändert? Eine Regierung muss agil sein und sich auf neue Situationen sehr schnell ausrichten. Das können sie nicht machen, indem sie einen Koalitionsvertrag im Detail für vier Jahre verhandeln.

Können Sie fünf Punkte nennen, die Sie sich wünschen würden im neuen Koalitionsvertrag?

Investitionen in Infrastruktur, Wettbewerbsfähigkeit, Forschung und Entwicklung. Entbürokratisierung. Eine echte Wohnungsbauoffensive. Eine kluge Klärung der Zuwanderungs- und Flüchtlingsfrage. Und wir sollten umdenken bei den Ressortzuschnitten der Ministerien.

Zum Beispiel?

Wir brauchen ein eigenständiges Digitalministerium, weil Digitalisierung, KI, und die Investitionen, die hier zu tätigen sind, auch einen wesentlichen Beitrag für Bürokratieabbau leisten. Wenn Sie mich fragen, sollte der Klima- Bereich wieder dem Umweltministerium zugeschrieben werden. Forschung würde ich aus dem Bildungsministerium herausnehmen und dem Wirtschaftsministerium zuschreiben. Die Bedeutung von Außenhandel und Export müssen in den Zuständigkeiten des Wirtschafts- und Außenministeriums deutlich gestärkt werden. Hier bedarf es einer engen Koordination. Auch die Entwicklungshilfekompetenzen sollten dem Wirtschaftsressort zugeschrieben werden. Das Bauministerium könnte man im Verkehrsministerium konzentrieren. Wir müssen aus den Silos raus und den Mut haben, Zuständigkeiten völlig neu zu denken.

Eine sehr zugespitzte Regulierung in der EU führt unweigerlich dazu, dass die Wettbewerbsfähigkeit in anderen Ländern und Wirtschaftsräumen besser ist.

Sie selbst sind mit ihrer Unternehmensgruppe in KI investiert. Geht die EU mit dem AI Act zu weit und schränkt zu sehr ein?

Durchaus. Eine sehr zugespitzte Regulierung in der EU führt unweigerlich dazu, dass die Wettbewerbsfähigkeit in anderen Ländern und Wirtschaftsräumen besser ist. Und dann gehen Investoren eben in Länder, in denen vieles einfacher ist. Ich bin kein Gegner von Regulierung. Aber wir müssen mit Verstand und mit Vernunft regulieren und nicht übertreiben. Wir können den Rest der Welt nicht einfach ausblenden.

Letztes Jahr haben Sie relativ aufsehenerregend die Joschka Fischer & Company übernommen, die ja auch in Nordamerika stark vertreten ist. Ist Trump für Christ auch ein Glücksfall?

Da ich ein vorausschauender Unternehmer bin, versuche ich natürlich, mein Unternehmen für die Zukunft auszurichten. Und da man davon ausgehen konnte, dass es zu Veränderungen in der US-Politik kommt, nämlich mit der Wahl von Donald Trump, war klar, dass ich das Unternehmen genau auf diese Anforderungen stärker ausrichte. Dann gab es zwei Optionen: Entweder ich baue eigene Kapazitäten auf oder ich übernehme ein Unternehmen, das ein starkes Nordamerika-Netzwerk mitbringt. Aus heutiger Sicht war es die richtige Entscheidung. Ein weiterer Aspekt ist, dass wir sehr große Unternehmen, Konzerne und starke Familienunternehmen beraten, die alle international operieren. Auch ohne die Aussicht auf einen Politikwechsel in den USA hätte ich die Entscheidung also so getroffen.

Denken Sie in dem Bereich über weitere Zukäufe nach?

Mit der neuen Struktur als Christ Capital und einem starken, eigenständigen Beratungsbereich haben wir die finanziellen Ressourcen, um Beratungsunternehmen, die möglicherweise zum Verkauf stehen könnten, auch zu übernehmen. Wir führen auch weiter Gespräche.

Welche Geschäftsfelder besetzen sie noch?

Wir werden zunehmend auch in Unternehmensnachfolgen investieren. Immer dort, wo sich Möglichkeiten ergeben. Und zwar nicht wie ein Equity-Investor, um zu kaufen und später zu verkaufen, sondern um die Unternehmen wirklich langfristig fortzuführen. Wir schauen uns auch den einen oder anderen Restrukturierungsfall an. Das sind die weiteren zwei Bereiche, in denen wir meine Unternehmensgruppe künftig weiter diversifizieren. Tech-Investments machen wir auch weiterhin. Wir haben mit G2K vor zwei Jahren den bisher größten deutschen KI-Deal erfolgreich abgeschlossen. Wir sind investiert in Aleph Alpha. Ich würde mir allerdings wünschen, dass es in diesem Bereich mehr große Deals mit deutscher und europäischer Beteiligung gibt.

Wie viele Unternehmen schauen Sie derzeit an?

Konkret sehe ich mir aktuell vier Unternehmen an, wöchentlich kommen interessante Opportunitäten auf den Tisch. Wir haben es aber nicht eilig. Uns geht es ja sehr gut – und ich habe glücklicherweise keinen Anlagedruck wie ein Private-Equity-Fonds. Unsere stabile und starke Bilanz, unsere Eigenkapitalquote von 90% und unsere finanzielle Ressourcen versetzen uns aber in die Lage, jederzeit zügig zu einem Abschluss zu kommen.

Welche Branchen schauen Sie sich an?

Im Bereich der Unternehmensnachfolge sind es zum Beispiel Unternehmen aus dem Retail-, Konsumgüter- und Dienstleistungssektor. Aber auch Real-Estate-Unternehmen oder Firmen aus dem Anlagebau.

Also werden Sie nicht in die Autoindustrie einsteigen?

Ich glaube, da gibt es andere, die das besser können. Von Themen, von denen ich keine Ahnung habe, lasse ich die Finger weg.

Noch mal zur Bundestagswahl: Wissen Sie schon, was Sie wählen wollen?

Ich wusste es wochenlang nicht. Aber ich weiß es seit einigen Tagen.

Verraten Sie, wen?

Nein. Aber es wird eine Partei der demokratischen Mitte sein, das kann ich sagen.


Berater, Unternehmer, Politiker und Stifter – Harald Christ (53) hat viele Hüte auf. Zwar ist er derzeit mit der Expansion seiner Firmenholding Christ & Company gut beschäftigt. Der ehemals bei SPD und FDP engagierte Berliner ist politisch bestens vernetzt. Mit seinem Unternehmen übernahm er vergangenes Jahr die Beratungsfirma von Ex-Außenminister Joschka Fischer, die in den USA stark vernetzt ist. Er ist zudem im deutschen KI-Start-up Aleph Alpha investiert, schaut sich Restrukturierungsfälle sowie Unternehmen mit Nachfolgethemen an und sitzt zudem im Aufsichtsrat der Commerzbank. Christ hatte zahlreiche Jobs in der Finanzbranche inne, darunter bei Ergo, Postbank und Deutscher Bank.

Das Interview führte Sebastian Schmid.