Auf der Suche nach Milliardeneinsparungen
Frankreichs Haushaltspolitik
Frankreichs Suche nach Milliardeneinsparungen
Das hohe Defizit setzt die Regierung von Präsident Macron unter Druck
wü Paris
Von Gesche Wüpper, Paris
Sinkende Umfragewerte, eine Untersuchungskommission und dazu vielleicht noch ein Misstrauensantrag: Frankreichs Regierung steht wegen ihrer schlechten Haushaltspolitik wenige Wochen vor den Europawahlen geschwächter da als je zuvor. Dabei hat sie bei den Parlamentswahlen 2022 ohnehin die absolute Mehrheit verloren. Doch seit das Statistikamt Insee bekannt gegeben hat, dass das Haushaltsdefizit letztes Jahr 5,5% und nicht 4,9% wie geplant betragen hat, steht sie verstärkt unter Druck.
Das Vertrauen in Präsident Emmanuel Macron ist seitdem laut einer für die Wirtschaftszeitung „Les Echos“ durchgeführten Umfrage um 2 Punkte auf 25% gesunken, das in Wirtschaftsminister Bruno Le Maire sogar um 5 Punkte auf 26%. Und die konservativen Republikaner liebäugeln inzwischen immer mehr mit der Idee, wegen der verfehlten Haushaltspolitik einen Misstrauensantrag gegen die Regierung zu stellen, um Macron so zur Auflösung der Nationalversammlung zu zwingen. Immerhin gehe es bei den öffentlichen Finanzen um die lebenswichtigen Interessen Frankreichs, argumentieren sie.
Die Gefahr ist reell, denn letztes Jahr während der Debatte über die Rentenreform fehlten nur neun Stimmen für einen Misstrauensantrag. „Unser Spielraum, frei über unser Schicksal zu entscheiden, wird bald zunichte gehen“, warnte der Vorsitzende der Republikaner, Éric Ciotti, Premierminister Gabriel Attal in einem Brief. Innerhalb der Partei herrsche noch Uneinigkeit, ob sie den Misstrauensantrag vor oder nach den Europawahlen einreichen solle, heißt es in Paris. Er könnte aus Anlass des Nachtragshaushaltes vor der Sommerpause gestellt werden. Oder im Herbst, wenn die Regierung den Haushaltsentwurf 2025 vorstellt.
Untersuchungskommission zu Verschuldung
Bereits vorher könnten die Republikaner laut Informationen von AFP Ende April eine Untersuchungskommission zu den Gründen des starken Anstiegs der Verschuldung unter der Präsidentschaft Macrons lancieren. 2016, im Jahr vor seiner ersten Wahl, betrug die Staatsverschuldung mit 2.147 Mrd. Euro noch 96% des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Nach einem Hoch von knapp 115% 2020 während der Covid-Pandemie ist sie zuletzt wieder etwas gesunken, auf fast 111% des BIP. Allein der Schuldendienst hat Frankreich letztes Jahr 50 Mrd. Euro gekostet.
Fitch geht in einer gerade veröffentlichten Note davon aus, dass die Verschuldung Frankreichs bis Ende 2025 schrittweise auf knapp 113% steigen dürfte. Die Ratingagentur hat die zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone bereits 2023 abgestuft. Jede weitere negative Bewertung der Kreditwürdigkeitsnote hänge von einem weiteren kräftigen Anstieg der Staatsverschuldung ab, was jedoch unwahrscheinlich erscheine, erklärt sie.
Die Urteile der Ratingagentur und ihrer beiden Wettbewerber Moody’s und S&P werden Ende April bis Ende Mai erwartet. Im Gegensatz zu Fitch hat S&P im Dezember davon abgesehen, Frankreich abzustufen. S&P hat jedoch den Ausblick wegen der Unsicherheiten bezüglich der öffentlichen Finanzen auf negativ belassen. Eine Herabstufung der Note könnte es für Frankreich teurer machen, an den Märkten neue Kredite aufzunehmen.
Optimistisches Wachstumsszenario
Bisher waren die Finanzmärkte sehr geduldig mit dem Land, sodass die Rendite französischer Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit seit Januar um die 2,9% beträgt, nur rund einen halben Prozentpunkt mehr als die Rendite von Bundesanleihen. Sollte Frankreichs Regierung Defizit und Verschuldung jedoch nicht bald in den Griff bekommen, dürften Investoren langsam die Geduld verlieren.
Das Frühjahr ist noch nicht einmal vorbei – und doch steht bereits jetzt fest, dass Deutschlands wichtigster Partner sein Ziel, das Defizit in diesem Jahr auf 4,4% zu senken, nicht wird einhalten können. Das hatte sich bereits angedeutet, als Wirtschaftsminister Le Maire Ende Februar die Wachstumsprognose für 2024 von 1,4% auf 1% gesenkt hat.
Er will am 17. April im Ministerrat das Stabilitätsprogramm für die öffentlichen Finanzen bis 2027 vorstellen, das Frankreich wie jedes Jahr nach Brüssel schickt. Eigentlich haben Le Maire und Macron versprochen, das Defizit 2027 auf 3% zu senken. Dafür sind sie in ihren Prognosen bisher davon ausgegangen, dass die französische Wirtschaft 2025 und 2026 um 1,7% wachsen wird, 2027 dann um 1,8%.
Dieses makroökonomische Szenario sei optimistisch, urteilte der Rechnungshof in seinem im März veröffentlichten Jahresbericht. Die Wachstumshypothesen seien höher als die anderer internationaler Institutionen. So erwartet beispielsweise die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) für 2025 nur ein Wachstum von 1,2% für Frankreich, für dieses Jahr sogar nur 0,6%.
Gesundheitsausgaben im Visier
Die im Februar angekündigten zusätzlichen Einsparungen über 10 Mrd. Euro seien nicht ausreichend, urteilt Oddo-BHF-Chefökonom Bruno Cavalier. Die Regierung hat bereits angekündigt, dass sie nächstes Jahr weitere 20 Mrd. Euro einsparen will. Wo und wie, dazu hat sie sich jedoch bisher nicht geäußert. Le Maire beteuert lediglich immer wieder, dass er die Steuern nicht erhöhen will, wie es selbst ein Teil der Regierungspartei Renaissance fordert. In einem Land, in dem nur 10% der Steuerzahler für drei Viertel der Einkommensteuer aufkämen, sei das nicht gerecht, erklärte er in einem Gastbeitrag für „Les Echos“. Premierminister Attal hat jedoch gerade eine Arbeitsgruppe beauftragt, bis Juni Vorschläge für eine Supergewinn-Steuer zu machen.
Steuererhöhungen wären ein Zeichen, dass die von Macron gewünschte Angebotspolitik gescheitert sei, meint Cavalier. Sie kämen zudem einer Verleugnung gleich, da die chronischen Defizite das Ergebnis von exzessiven öffentlichen Ausgaben und nicht von einer zu geringen Steuerlast seien. Sollte die Regierung Ausgaben kürzen, würde das seiner Ansicht nach implizieren, große Sozialtransfer-Posten wie Renten oder Gesundheitsausgaben anzupacken.
Letzteres schließt inzwischen auch die Regierung nicht mehr aus. Wirtschaftsminister Le Maire denkt öffentlich darüber nach, das Krankengeld zu überarbeiten. Er stellt auch die Dauer des Arbeitslosengeldes für Senioren infrage, die bei den bisherigen Reformen der Arbeitslosenversicherung unverändert geblieben ist. Die Kostenübernahme für Langzeiterkrankungen will er dagegen nicht antasten. Noch nicht entschieden ist, ob die Renten und Sozialleistungen inflationsbedingt steigen.