Unterm Strich

Der Aufsichtsratschef ist nicht der bessere CEO

Wer die Corporate Governance in Deutschland verbessern will, sollte vor allem die Kontrollmöglichkeiten des Aufsichtsrats stärken.

Der Aufsichtsratschef ist nicht der bessere CEO

Die Schweiz gilt vielen als Vorbild. Die direkte Demokratie mit Volksabstimmungen zu wichtigen Entscheidungen und der ausgeprägte Föderalismus verleihen dem Land Stabilität – neudeutsch Resilienz. Und hinsichtlich Infrastruktur und internationaler Wettbewerbsfähigkeit hat die Schweiz in der Rangliste des IMD (Institute for Management Development) in diesem Jahr Singapur von Platz 1 verdrängt und sich vor Schweden, Dänemark und den Niederlanden platziert. Deutschland übrigens schafft es nicht einmal unter die Top Ten. Auch in der jährlich von PwC ermittelten Hitliste der wertvollsten Unternehmen der Welt rangiert die Schweiz klar vor Deutschland. Die drei Schweizer Unternehmen in dem ansonsten von US-amerikanischen und chinesischen Konzernen dominierten Ranking sind Nestlé (Platz 26), Roche (29) und Novartis (46). Deutlich abgeschlagen, wenngleich höher positioniert als in früheren Jahren, rangieren Volkswagen (66), SAP (79) und Siemens (90).

Vorbild Schweiz?

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die Schweiz auch in Fragen der Unternehmensführung und Corporate Governance hierzulande gerne als Vorbild dient. Das dortige Two-Tier-System aus einem Verwaltungsrat, der wesentlich stärker operativ ausgerichtet ist als der deutsche Aufsichtsrat, und der Geschäftsleitung beziehungsweise dem Vorstand wird häufig als Form angesehen, die die Stärken des angelsächsischen Boardsystems mit den Vorzügen des in Deutschland üblichen Prinzips der strikten Trennung von Management und Kontrolle durch die Eigentümer (und Arbeitnehmervertreter bei mitbestimmten Unternehmen) verbindet. Umso bemerkenswerter ist die vor einer Woche in der „Neuen Zürcher Zeitung“ veröffentlichte Analyse des langjährigen Wirtschaftsredakteurs und intimen Kenners vor allem der schweizerischen Bankenwelt, Ermes Gallarotti, mit der er sich von seinen Lesern in den Ruhestand verabschiedete. In diesem Abschlussessay lässt Gallarotti kein gutes Haar an der Institution Verwaltungsrat und insbesondere an dessen zentraler Figur, dem Präsidenten.

Nun hat Gallarotti natürlich mit den Fällen Credit Suisse und Raiffeisen Schweiz zwei aktuelle und besonders spektakuläre Beispiele für das Versagen von Verwaltungsratspräsidenten. Doch seine kritische Analyse mit dem Titel „Verwaltungsräte sind Schönwettergremien“ sollte allen zu denken geben, die in den vergangenen Jahren daran gearbeitet haben, den deutschen Aufsichtsrat in Richtung des schweizerischen Modells zu entwickeln. Dies gilt insbesondere für die Rolle des Aufsichtsratsvorsitzenden, die in Deutschland im Vergleich zu früher durch Gesetzgebung und Corporate Governance Kodex nicht nur formal deutlich aufgewertet wurde, sondern sich auch faktisch Richtung Vollzeitjob verändert hat, vor allem in Krisenzeiten. Man denke hierzulande an Paul Achleitner bei der Deutschen Bank oder Hans Dieter Pötsch bei Volkswagen, deren Verantwortung und Arbeits- und Sitzungspensum gewiss nicht hinter dem eines Verwaltungsratspräsidenten eines Schweizer Großkonzerns zurücksteht. Nur in der Vergütung ist diese Augenhöhe noch nicht erreicht, wenn man die gut 800000 Euro für Achleitner und 900000 Euro für Pötsch (jeweils für das Jahr 2020) beispielsweise mit jenen 3 Mill. sfr „Basishonorar“ vergleicht, die Urs Rohner als Credit-Suisse-Präsident für das letzte Jahr vor seinem Ausscheiden erhielt, obwohl er auf das Vorsitz-Honorar von zusätzlichen 1,5 Mill. sfr verzichtet hatte, oder jenen 5,2 Mill. sfr für UBS-Verwaltungsratspräsident Axel Weber.

Die hochkarätige Besetzung und Vergütung der Verwaltungsräte in der Schweiz soll dafür sorgen, dass deren Mitglieder und insbesondere Präsidenten wie auch Vorsitzende der verschiedenen Ausschüsse ihrer Rolle als Sparringspartner und Kon­trolleur der Geschäftsleitungsmitglieder gerecht werden können. Das Stichwort dazu lautet Augenhöhe. Doch das gelingt ihnen bei Lichte betrachtet nicht besser als den Aufsichtsratskollegen in Deutschland. Die Hauptprobleme nördlich wie südlich der Alpen: mangelnde Expertise, fehlende Unabhängigkeit und Informationsasymmetrien.

Aufsichtsräte oft abhängig

Die fehlende Unabhängigkeit hat auch einen finanziellen Aspekt. Viel zu häufig sind Aufsichtsratsmitglieder von ihrer dafür gezahlten Vergütung abhängig und kleben demzufolge an ihren Sesseln. Nicht anzuecken scheint eine wichtige Voraussetzung für den Vorschlag zur Wiederwahl in den Aufsichtsrat zu sein. Also folgen sie den Mehrheiten im Kontrollgremium beziehungsweise Wünschen des Vorstands. Rücktritte bleiben die große Ausnahme. Wer Anschauungsunterricht benötigt, welche Defizite und Fehler in der Arbeit eines Aufsichtsrates möglich sind, möge die Geschichte von Wirecard studieren.

Je mehr Zuständigkeiten der AR-Vorsitzende formal erhält und faktisch übernimmt, beispielsweise im Zusammenhang mit seiner Beratungsfunktion für den Vorstand, und je enger seine Zusammenarbeit mit dem Vorstandsvorsitzenden, desto größer das Risiko für das Unternehmen. Einerseits, dass der AR-Vorsitzende vom CEO an der Nase herumgeführt und mit unzureichenden oder gar falschen Informationen versorgt wird, falls die beiden nicht miteinander können. Andererseits, dass AR-Vorsitzender und CEO so eng sind, dass sie den gemeinsamen Zielen abträgliche Informationen lieber für sich behalten und es zu einem deutlichen Informationsgefälle zu den übrigen Mitgliedern in Vorstand wie auch Aufsichtsrat kommt. Dieses Risiko gilt vor allem, wenn es sich beim CEO um einen „Zögling“ eines ehemaligen Vorstands und nun amtierenden AR-Vorsitzenden handelt.

Der große Vorzug des dualistischen Systems in Deutschland ist die klare Trennung von operativer Leitung der Gesellschaft und Aufsicht. Reformen der Corporate Governance sollten deshalb nicht zum Ziel haben, aus dem Aufsichtsratsvorsitzenden eine Art „besseren CEO“ zu machen, sondern dessen Kontrollmöglichkeiten zu stärken.

c.doering@boersen-zeitung.de

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