Der schöne Schein der Konsumpriorität
China-Volkskongress
Der schöne Schein der Konsumpriorität
Chinas Wirtschaftslenker geben erstmals einer Konsumanregung offiziellen Vorrang. Das neue Bekenntnis muss noch nicht viel heißen.
Von Norbert Hellmann
In Vorbereitung eines voraussichtlich schmerzhaften und wirtschaftsschädigenden Handelskonflikts mit den USA besinnt sich Chinas Staatsführung auf ein neues konjunkturpolitisches Credo. Auf dem Pekinger Volkskongress ist der Stärkung des Konsums oberste Priorität eingeräumt worden. Mit wuchtigerem fiskalischen Einsatz zur Ankurbelung der Binnennachfrage will man sich der außenwirtschaftlichen Bedrohung entgegenstemmen. Das soll die Erfüllung des für 2025 erneut bei 5% angesetzten Wachstumsziels gewährleisten.
Abkehr vom Patentrezept?
Dass die Parteiführung per offiziellem Bekenntnis dem Konsum Vorrang gibt, ist ein Novum. In konjunkturellen Notphasen wie der globalen Finanzkrise und dem Pandemieausbruch hat man sich stets auf das Patentrezept für eine investitionsgeleitete Wirtschaft verlassen und die Konjunktur mit Infrastrukturausgaben, Immobilienbau und massiven Industrieförderungsmaßnahmen anzuschieben gewusst. Diesmal ist es schwieriger. Mit dem zerzausten Immobilienmarkt versiegt die Quelle für eine quasi automatische Vermögensmehrung der Privaten. Diese hat jahrzehntelang konsumförderndes Wirtschaftsvertrauen generiert. Es gibt einen gewaltigen Überhang an wenig genutzten Infrastruktureinrichtungen und leerstehenden Apartmentkomplexen.
Unverrückbares Wachstumsziel
Konsumförderung allerdings ist ein Thema, mit dem sich Chinas angebotsorientierte Wirtschaftsplaner schwer anzufreunden wissen. Zumal es komplexe reformerische Anstrengungen bei Sozialsystemen bedingt. Instinktiv verlässt man sich lieber auf die bewährten Methoden mit schneller Erfolgswirkung durch klaren Niederschlag beim quantitativen Wachstum. Das eiserne Festhalten an der 5-Prozent-Marke signalisiert Vertrauen in die Stärke der chinesischen Wirtschaft und gilt damit auch finanzmarktpsychologisch als unabdingbar. Angesichts des Abschwungs am Immobilienmarkt, des angeknacksten Wirtschaftsvertrauens, verringerten Einkommenswachstums, eingeschränkter Jobperspektiven und des Gegenwinds im Außenhandel wirkt es ambitiöser denn je. Das Bekenntnis zur Ankurbelung der Binnennachfrage wird mit der Anhebung der Budgetdefizitquote von 3% auf 4% des Bruttoinlandsprodukts unterstrichen. Erstmal weicht man von der als demonstratives Symbol für Finanzstabilität präferierten 3-Prozent-Norm ab. Abseits des offiziellen Budgets kommt es zu einer neuerlichen Ausweitung der Emissionen von ultralanglaufenden Sonderanleihen. Damit verbinden sich allerdings nur bedingt positive Konjunktureffekte, da ein signifikanter Teil des Pakets der Refinanzierung versteckter Kommunalschulden dient.
Flotte Budgetausweitung
Seitens der Zentralregierung wird ein Anleiheprogramm über 300 Mrd. Yuan (knapp 40 Mrd. Euro) expliziten Konsumförderungsmaßnahmen zugedacht. Es geht um die Finanzierung weiterer Umtauschprogramme und Verbrauchersubventionen beim Kauf von Elektroautos, Haushaltsgeräten, Smartphones und anderem. Diese entfalten durchaus Wirkung und lassen die Monatsstatistiken der Einzelhandelsumsätze besser aussehen. Freilich handelt es sich um eine temporäre Lösung, die zu vorauseilenden Haushaltsanschaffungen lockt, aber vermutlich geringere Ausgaben in der Zukunft bedingt. Eine nachhaltige Konsumbelebung sieht anders aus. Es bedarf offensiverer Maßnahmen zur Stärkung der Sozialsysteme und Steigerung der Zuwendungen für Niedrigverdiener. Diesbezüglich hat die Regierung auf dem Volkskongress wenig Substanzielles zu verkünden.
Hightech-Supermacht
An zweiter Stelle im Prioritätenkatalog steht jetzt die Entwicklung aufstrebender Industrien und die Förderung der technologischen Eigenständigkeit. Unter dem Motto „neue produktive Kräfte“ will man den Übergang der Wirtschaft weg von alten Industrien ohne Wachstumseinbußen ermöglichen. Das paart sich mit dem geopolitischen Ehrgeiz, den USA als Hightech-Supermacht Paroli zu bieten: eine für Peking wesentlich attraktivere „Value Proposition“ als mühevolle sozialpolitische Reformansätze. So gesehen hat sich an Chinas wirtschaftsplanerischer Denke wenig verändert. Das schöne Bekenntnis zum stärker konsumgeleiteten Wachstumsmodell hat wenig Aussagekraft.