Deutschland ist Spitze – in der Besteuerung
Deutschland ist ein attraktiver Industriestandort. Könnte meinen, wer die Schlagzeilen der vergangenen Tage in Erinnerung hat. Apple will in München in seinem Entwicklungszentrum für Chipdesign in den nächsten sechs Jahren noch einmal 1 Mrd. Euro investieren. Der taiwanesische Chipproduzent TSMC ist in fortgeschrittenen Planungen zum Bau eines Werkes in Dresden, Wettbewerber Intel will in Magdeburg in großem Stil Chips produzieren, und im Saarland wird der US-Konzern Wolfspeed zusammen mit seinem deutschen Kooperationspartner ZF eine neue Halbleiterfabrik errichten.
Was diese Botschaften verschweigen: Zum einen handelt es sich trotz der Milliardeninvestitionen nur um ein kleines Stück vom weltweit riesigen Halbleiterkuchen. Zum anderen werden diese Investitionen in ganz erheblichem Umfang subventioniert, beispielsweise durch den European Chips Act, und sind insofern weniger ein Beleg für einen wettbewerbsfähigen Industriestandort als vielmehr Ausweis der Subventionsfreudigkeit der EU-Kommission und der Bundesregierung. Und da die Europäer ihren auf 8% zurückgefallenen Marktanteil in dieser Schlüsselindustrie Richtung 20% ausbauen wollen, sind sie bereit, noch wesentlich tiefer in die Tasche zu greifen, als dies die ebenfalls mit Subventionen lockenden Regierungen in den USA oder Japan tun. Die US-Regierung kalkuliert mit staatlichen Investitionszuschüssen von 5 bis 15% und hat insgesamt ein Volumen von 52 Mrd. Dollar für neue Fabriken von Intel, TSMC, Samsung, Mikron & Co. in Aussicht gestellt.
Doch für Intels Megaprojekt in Magdeburg mit einem Investitionsvolumen von 17 Mrd. Euro hat die Bundesregierung bereits 6,7 Mrd. Euro zugesagt, mithin 40%. Das bewegt sich im Rahmen des von der EU-Kommission angedachten Freibriefs für nationalstaatliche Subventionen: 43 Mrd. Euro Staatsgelder sollen Investitionen von mehr als 100 Mrd. Euro anlocken. Intel will aber für Magdeburg nachverhandeln und fordert nun wohl 10 Mrd. Euro, weil sich der Strompreis seither vervielfacht habe.
Damit kommen wir zu einem Aspekt, der für die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland wesentlich aussagekräftiger ist als der Bau mit üppigen Zuschüssen gepamperter Chipfabriken. Die im internationalen Vergleich äußerst hohen Energiekosten knipsen dem Industriestandort über kurz oder lang das Licht aus. Als Erstes werden die großen Energieverbraucher aus der Chemie Produktionen schließen (vgl. BZ vom 3. März), mit BASF an der Spitze, und ihre Kapazitäten ins Ausland verlagern beziehungsweise dort ausbauen. Das Ende Deutschlands als führende Exportnation rückt näher.
Das Argument international tätiger Konzerne, dorthin zu ziehen, wo auch die Kunden sitzen und die Märkte noch wachsen, ist valide. Für mittelständische Unternehmen, die nicht auf ausländische Fabriken ausweichen können, stellt sich nur noch die Frage, wie lange es dauert, bis sie auf der Strecke bleiben.
Befördert wird der Exodus der Industrie von einer Unternehmensbesteuerung, über die zwar viel debattiert, in der aber nichts entschieden wird. Zwar will Bundesfinanzminister Christian Lindner den Unternehmen Erleichterung verschaffen. Die Stichworte hierfür lauten Investitionsprämie – im Koalitionsvertrag noch Superabschreibung genannt – und Forschungsförderung. Doch Grüne und SPD wollen von Entlastung der Unternehmen nichts wissen, solange der Finanzminister sich bei ihren Ausgabenwünschen taub zeigt und auf die angespannte Haushaltslage und die Schuldenbremse verweist. Deshalb leuchtet die Ampel den auf Entlastung hoffenden Unternehmen eher rot als gelb entgegen.
Dabei sprechen die Fakten eine deutliche Sprache. Nach den Zahlen der Wirtschaftsforscher vom ZEW, die seit vielen Jahren den sogenannten Mannheim Tax Index zum Vergleich der effektiven Unternehmenssteuerbelastung für die Länder der EU und acht weitere relevante Industrieländer berechnen, liegt die Unternehmensbesteuerung in Deutschland im Schnitt mit 28,8% um 10 Prozentpunkten über dem EU-Durchschnitt. Laut den jetzt für 2022 vorgelegten Daten weist Deutschland im Vergleich zu Frankreich, Italien, dem Vereinigten Königreich und dem EU-Durchschnitt die höchste Steuerbelastung für traditionelle Geschäftsmodelle auf.
Insbesondere durch die Senkung des französischen Körperschaftsteuersatzes in den vergangenen Jahren werde der „Hochsteuerlandcharakter Deutschlands“ deutlich, so die ZEW-Forscher. Auch die Erhöhung des Körperschaftsteuersatzes in Großbritannien auf 25% im Jahr 2023 werde an der Spitzenposition Deutschlands vorerst nichts ändern. Ohne deutliche Reformen in der Körperschaftsteuer bleibe Deutschland aus einer rein steuerlichen Perspektive ein vergleichsweise unattraktiver Standort für Unternehmen mit internationalen Investitionsalternativen, so das ernüchternde Urteil der Wissenschaftler.
Subventionen streichen
Die Steuerexperten des ZEW machen auch Vorschläge, was zu tun sei, um die steuerliche Standortattraktivität zu verbessern. Nach dem Vorbild Frankreichs könnte Deutschland den im europäischen Vergleich sehr hohen Gewinnsteuersatz senken, der sich aus Körperschaftsteuersatz und Gewerbesteuer plus Solidaritätszuschlag zusammensetzt. Darüber hinaus böten Sonder- und Sofortabschreibungen nach dem Beispiel Großbritanniens eine attraktive Alternative.
Finanzieller Spielraum für Entlastungen wäre ja vorhanden, trotz Schuldenbremse. Die Bundesregierung könnte – wie im Koalitionsvertrag versprochen – klimaschädliche Subventionen abbauen. Und vor allem sollte sie auf neue Subventionen für ausländische Großinvestoren wie Intel verzichten. Diese zusätzlichen Jobs sind äußerst teuer erkauft, und sie verschärfen einen Fachkräftemangel, der allein in der Chipbranche auf 60000 geschätzt wird.
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