Die Crux mit dem Bürokratieabbau
Die Crux mit dem Bürokratieabbau
Banken und Unternehmen fluchen über immer mehr Berichtspflichten. Die EU-Kommission verspricht Abhilfe, kündigt für Februar eine Initiative an. Noch ist unklar, was kommen wird. Aber alle streiten bereits darüber. Und die Bundesregierung heizt die Debatte mit steilen Forderungen kräftig an.
Von Detlef Fechtner, Brüssel
Berichtspflichten“ heißt das Reizwort, das Banker und Firmenchefs zur Weißglut treiben kann. Erst kürzlich hat das Ifo-Institut eine Studie veröffentlicht, der zufolge Angestellte in Deutschland 22% ihrer Arbeitszeit mit bürokratischen Tätigkeiten beschäftigt sind. „Der Zeitaufwand ist laut unserer Umfrage am höchsten für Berichts- und Informationspflichten sowie Dokumentations- und Meldepflichten“, heißt es in der Auswertung. Kein Wunder also, dass die Temperatur im Raum steigt, sobald über neue Reporting-Anforderungen gesprochen wird.
Sportliche Ansage
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat auf die immer lauter werdenden Klagen über „überbordende“ Meldeauflagen vor wenigen Wochen mit einer sportlichen Ansage reagiert. Allen EU-Kommissarinnen und EU-Kommissaren, die Anfang Dezember ihre Arbeit aufgenommen haben, schrieb sie den gleichen Satz ins Stammbuch, das im Brüsseler Kauderwelsch „mission letter“ heißt: „Sie müssen dazu beitragen, die Meldepflichten um mindestens 25% zu reduzieren – und für kleine und mittlere Unternehmen um mindestens 35%.“
Nun will von der Leyen beweisen, dass sie es mit dem Versprechen ernst meint. Deshalb hat sie nachgelegt und für den 26. Februar – also gerade noch innerhalb der ersten 100 Tage seit Amtsantritt – angekündigt, ein „Omnibus“-Paket zu schnüren. Es soll darauf zielen, die Berichtspflichten vor allem bei der nichtfinanziellen Berichterstattung, also dem Nachhaltigkeitsreporting, zu verringern. Aktuell schieben deshalb viele Lobbyisten Extraschichten, um die spezifischen Wünsche ihrer Arbeitgeber für reduzierte Berichtspflichten in das „Omnibus“-Paket einzuspeisen.
Gesetz oder Mitteilung?
Über den Inhalt der Initiative herrscht noch Ungewissheit. Noch wird sogar in der EU-Kommission selbst über viele Aspekte diskutiert. Es scheint bislang noch nicht einmal abschließend entschieden zu sein, ob Ende Februar Gesetzesvorschläge oder nur eine Kommunikation („Mitteilung“) präsentiert wird. Das dürfte auch daran liegen, dass mehrere Generaldirektionen an der Vorbereitung beteiligt sind – neben Finanzmarktregulierung (FISMA) auch Justiz und Verbraucher (JUST) und Binnenmarkt und Industrie (GROW).
Eines der zentralen Ziele der Initiative, so verlautet aus den EU-Institutionen, sei die Vereinheitlichung (Streamlining) der Frequenzen und des Umfangs der Berichte, die von Unternehmen im Zuge ihrer Nachhaltigkeitsberichterstattung verlangt werden. Zu diesem Zweck sollen Anpassungen an drei EU-Regelwerken in Betracht gezogen werden: der Taxonomie-Verordnung, der Nachhaltigkeitsreporting-Richtlinie (CSRD) und dem EU-Lieferkettengesetz (CSDDD).
Dynamisches Impact Assessment
Zudem gilt die Einführung eines verpflichtenden, dynamischen Impact Assessment als möglich. Eine solche dynamische Evaluierung würde nicht nur einmalig anlässlich der Vorlage des EU-Kommissionsentwurfs für einen legislativen Akt erstellt, sondern im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens aktualisiert werden. Hintergrund dieser Überlegung ist die Tatsache, dass sich der Aufwand des Reportings häufig durch Änderungsanträge in Rat oder Parlament im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens deutlich erhöht.
Schließlich gehen in Brüssel Mutmaßungen darüber um, die EU-Kommission werde Ende Februar längere Übergangszeiten bis zum tatsächlichen Wirksamwerden einzelner, spezifischer Meldepflichten vorschlagen. Kurzum: Es wird über die Verschiebung des Anwendungsstarts einzelner Pflichten spekuliert.
Sorge um Planungssicherheit
Auch wenn grundsätzlich breites Einvernehmen darüber herrscht, dass eine Verringerung der Berichtslast notwendig ist, gehen die Meinungen über das geplante „Omnibus“-Paket auseinander. Juristen sorgen sich um die Planungssicherheit, wenn an den drei genannten Rechtstexten Änderungen vorgenommen werden, aber nicht synchron an der EU-Offenlegungsverordnung (SFDR) oder der EU-Entwaldungs-Verordnung. In diese Richtung geht auch ein Schreiben des CDU-Europaabgeordneten Axel Voss an EU-Kommissionsvize Stéphane Séjourné. Voss moniert, dass die Lieferkettenrichtlinie CSDDD gar keine zusätzlichen Berichtspflichten auslöse, deshalb zu Unrecht im Fokus der „Omnibus“-Initiative stehe – hingegen aber Entwaldungs-Verordnung, Batterie-Verordnung oder Zwangsarbeiterverbot unberücksichtigt blieben. Er warnt, es dürfe nicht nur um „window dressing“ gehen, also nicht nur um eine Initiative, die nur für die Galerie gemacht werde.
Sozialdemokraten äußern Vorbehalte
Ebenfalls kritisch, wenngleich mit ganz anderen Vorbehalten, äußern sich die EU-Sozialdemokraten. In einem Brief an mehrere EU-Kommissare bringen die EU-Europaabgeordneten ihre „tiefe Besorgnis“ über das angekündigte „Omnibus“-Paket zum Ausdruck. Die Vereinfachung der EU-Vorschriften sei ein lobenswertes Ziel, aber sie dürfe nicht „unser weltweit führendes Nachhaltigkeitskonzept untergraben“. Ganz konkret fordern die Sozialdemokraten, die EU-Lieferketten-Richtlinie CSDDD „auf jeden Fall von der Vereinfachung auszunehmen“. Denn eine Überarbeitung dieses Rechtstexts „wäre im Hinblick auf die Vereinfachung der Berichterstattung nicht von Nutzen.“
Nun hat sich auch die Bundesregierung in die Debatte eingeschaltet – und zwar mit sehr weitreichenden, fast schon radikalen Forderungen. Die vier Minister Volker Wissing (Justiz), Jörg Kukies (Finanzen), Robert Habeck (Wirtschaft) und Hubertus Heil (Arbeit) haben einen Brief an EU-Finanzmarkt-Kommissarin Maria Albuquerque und den extra für Bürokratieabbau zuständigen EU-Kommissionsvize Valdis Dombrovskis gesandt. Darin konstatiert die Bundesregierung, dass „eine deutliche Reduzierung des Inhalts der CSRD-Nachhaltigkeitsberichterstattung notwendig“ sei, um unnötige Belastungen für Unternehmen zu vermeiden.
Ruf nach Verschiebung
Deshalb fordert Berlin, die Anwendung der CSRD für Unternehmen, die ab 2025 oder später berichtspflichtig wären, um zwei Jahre zu verschieben. Auch sollten die Schwellenwerte für die Berichtspflicht in Bezug auf Nettoumsatz, Bilanzsumme und Beschäftigtenzahl angehoben werden, damit weniger Unternehmen in den Anwendungsbereich fallen. Damit nicht genug: Die Bundesregierung ermuntert die EU-Kommission, eine „ehrgeizige Agenda zur Vereinfachung und Straffung“ der Vorgaben zu erstellen. „Insbesondere die Berichtspflichten der Taxonomie, vor allem die Green Asset Ratio, sind in ihrer jetzigen Form nicht nützlich für die strategische Entscheidungsfindung der Unternehmen und sollten entfallen“, heißt es in dem Schreiben.
Umweltaktivisten warnen
Den vielen Industrievertretern, der sich seit Jahren über die Reporting-Auflagen beklagen, dürfte der Brief aus Berlin wie eine vorweihnachtliche Wunschliste erscheinen. Ganz anders kommen die deutschen Forderungen bei Umweltaktivisten an. Laura Niederdrenk, Sustainable-Finance-Expertin beim WWF Deutschland, kritisiert den Vorstoß als „einen gefährlichen Rückwärtskurs in der Nachhaltigkeitsberichterstattung“. Der Brief an die EU-Kommission offenbare ein grundlegendes Missverständnis „sowohl des Zwecks als auch der Funktionsweise dieser essenziellen Regelungen CSRD, CSDDD und Taxonomie“. Die vorgeschlagene Verschiebung der Berichtspflichten um zwei Jahre bestrafe Unternehmen, die bereits in Systeme zum Erfassen und Berichterstatten von Nachhaltigkeitsdaten investiert haben, schimpft Niederdrenk.
Der Weihnachtsurlaub entfällt
Vor dem Hintergrund dieser Kontroverse und insbesondere unter dem Druck der offensiven Forderungen aus Deutschland dürfte der Weihnachtsurlaub für einige höherrangige EU-Beamte der Generaldirektionen Finanzmärkte, Recht und Industrie deshalb dieses Jahr entfallen. Sie müssen unter Hochdruck nun binnen zwei Monaten ein „Omnibus“-Paket schnüren, das spürbare Entlastung bei den Berichtspflichten schafft, ohne eine der Grundideen des Green Deals zu unterminieren, nämlich Klimarisiken von Investments transparenter zu machen, damit weniger Geld in „stranded assets“ fließt. Auf Letzteres werden nämlich nicht nur Umweltaktivisten pochen, sondern auch Investoren. So viel lässt sich schon erahnen: Der Abbau von Verwaltungslasten und Berichtspflichten ist kein Kinderspiel, sondern eine Herkulesaufgabe.