Falsche Zeit für Defizitverfahren
Rüstungsausgaben
Falsche Zeit
für Defizitverfahren
Von Detlef Fechtner
Ein hochrangiger Diplomat hat neulich hinter vorgehaltener Hand gesagt: Die sicherste Methode, um in der EU ein Vorhaben gegen die Wand zu fahren, ist die Forderung, es durch gemeinschaftliche Schulden zu finanzieren. Noch immer sind Euro-Bonds ein Reizwort, das erhebliche Vorbehalte Deutschlands provoziert – vor allem, wenn der finanzielle Umfang der Initiativen unabsehbar ist.
Insofern ist nachvollziehbar, warum EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen auf die berüchtigte Ansprache von US-Vizepräsident JD Vance in München nicht mit dem Vorschlag gemeinsamer EU-Rüstungsanleihen reagiert hat. Zumindest erstmal nicht. Sondern mit der Ankündigung, die Ausweichklausel des Stabilitätspakts zu aktivieren. Damit will die EU-Behörde nationalen Regierungen erlauben, Ausgaben für Rüstung deutlich anzuheben, ohne fürchten zu müssen, dass Brüssel deshalb ein Defizitverfahren gegen sie eröffnet.
Natürlich kommt, wenn sie denn kommt, die Ausweichklausel einigen Regierungen gerade recht, um Teile ihrer Ausgaben als Investitionen in Verteidigung zu deklarieren und sich das Defizit schöner zu rechnen. Aber: Dieses Risiko muss die EU eingehen. Denn das Wichtigste ist jetzt, dass es der EU gelingt, eine einvernehmliche Antwort auf die Ansagen von JD Vance zu geben – und zwar eine Antwort, die es auch Ländern mit hohen Schuldenquoten erlaubt, ihre Verteidigungskapazitäten auszuweiten. Gegen sie deswegen ein Defizitverfahren zu starten, wäre angesichts der Drängeleien der USA jetzt die falsche Zeit. Was selbstverständlich nicht bedeutet, dass Haushaltsdisziplin keine Rolle mehr spielt. Aber dafür sorgen ohnehin nicht Defizitverfahren, sondern Risikoprämien am Markt.
Ob die Lockerung der Stabilitätsvorgaben – sowie die EU-Friedensfazilität und das Engagement der EU-Investitionsbank – ausreicht, um die aufgrund der steigenden Verantwortung Europas für sich und die Ukraine nötigen Kapazitäten sicherzustellen, ist noch ungewiss. Gut möglich, dass schon bald über mehr gesprochen werden wird, vielleicht sogar über gemeinsame Bonds. Denn angesichts des beängstigenden Tempos, mit dem die US-Regierung die transatlantischen Beziehungen völlig neu definiert, schwindet jede Verlässlichkeit: Was heute noch unter Diplomaten als Tabu gilt, könnte morgen schon auf der Tagesordnung von Ratssitzungen landen.
Die EU muss eine Antwort auf US-Vize JD Vance geben. Auch Ländern mit hohen Schulden sollte es erlaubt sein, ihre Verteidigungskapazitäten auszuweiten.