Bondrenditen

Die Kraft negativer Zinsen

Zehn Jahre sind die Anleiherenditen nun schon negativ. Das hat enorme Verschiebungen mit sich gebracht. Denn negative Zinsen haben an den Märkten eine enorme Kraft entfaltet.

Die Kraft negativer Zinsen

Als die Renditen der Bundesanleihen Ende November 2011 erstmals am Sekundärmarkt negativ wurden, sendete der Anleihemarkt für so manchen Akteur zwei glasklare Signale. Erstens: Nun verhält sich der Bondmarkt vollkommen irrational. Zweitens, daran anschließend: Nun ist definitiv der Zeitpunkt für die Zinswende gekommen. Nur wenige bezweifelten seinerzeit, dass es tatsächlich so sein müsste. Ihre Gegenargumente: Der Markt kann sich länger „vermeintlich“ irrational verhalten, als so mancher Investor solvent ist. Das haben in den vergangenen Jahren viele Anleger sehr schmerzhaft zur Kenntnis nehmen müssen, nämlich diejenigen, die von der baldigen Trendumkehr an den Anleihemärkten ausgegangen waren und auf die so sicher geglaubte Zinswende gesetzt hatten. Zudem erfuhren sie: Sichere Signale sucht man an den Märkten wie die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen.

Der Trend breitete sich aus. Notenbanken gingen zu negativen Leitzinsen über. Die kompletten Zinsstrukturkurven bis hin zu Laufzeiten von drei Jahrzehnten lagen im Minus. Schuldenmachen wurde für Finanzminister zum einträglichen Geschäft. Selbst Griechenland und andere Rettungsländer der Staatsschuldenkrise sahen sich mit negativen Anleiherenditen konfrontiert. Für viele bis dahin eine schier unvorstellbare Entwicklung.

Aber es waren nicht nur die Staatsanleihen, die negative Renditen abwarfen. Auch der gesamte SSA-Bereich, also supranationale Emittenten, Gebietskörperschaften (Sub-Sovereigns) und halbstaatliche Emittenten (Agencies) kamen in den Genuss, dass Anleger ihnen Parkgebühren für die Kapitalüberlassung zahlten. So groß war der Wunsch nach sicherer Geldüberlassung, d.h. der sicheren Kapitalrückzahlung. Und schließlich „berechneten“ auch Banken und Unternehmen diese Parkgebühren.

Das Ganze führte zu weitreichenden Verzerrungen an Finanzmärkten, im Bankgeschäft und in der Realwirtschaft. Kreditaufnahme nicht mehr nur zum Nulltarif, sondern mit Verdienst führte dazu, dass sich viele Adressen, darunter Unternehmen, erhebliche Liquiditätspolster zulegten. Es kostete ja nichts und kostet immer noch nichts. Banken gingen – wenn auch spät – dazu über, auf Einlagen von Kunden die negativen Zinsen der Notenbank EZB weiterzugeben. Das billige Zentralbankgeld befeuert nun schon über Jahre die Aktienmärkte.

Die Assetpreisinflation allen voran an den Aktienmärkten ist eine der deutlichsten Verzerrungen. Und Anleihen, insbesondere im langlaufenden Bereich, brachten ihren Haltern recht kräftige Kurssteigerungen ein. Das billige Geld der Märkte und der Notenbanken zeigte sich aber auch bei Immobilienpreisen. Die Hypothekenzinsen sanken immer weiter, verbunden damit die Ausweitung der Kreditlaufzeiten für Immobilienerwerber. Für immer mehr Kreise wurden Immobilien erschwinglich und sind es immer noch. Die Preise der Immobilien schossen in die Höhe. Und immer wieder wird in Deutschland die Immobilienpreisblase ausgerufen, zumindest für Ballungszentren wie Hamburg, Frankfurt oder München sowie Küstenregionen in Norddeutschland, wo so mancher mit billigem Geld ein Ferienhaus bzw. einen Altersruhesitz erworben hat. Doch mit der Blase der Immobilienpreise in Deutschland könnte es sich genauso verhalten wie mit der immer wieder ausgerufenen Bondblase. So mancher sollte sich mal den Immobilienmarkt in Luxemburg oder London ansehen, dann wüsste er auch, wo die Reise noch hingehen kann.

Aber die Niedrig-, Null- und Negativrenditen der Anleihen haben durchaus auch eine positive Seite, und die zeigt sich bei Green und Sustainable Finance, also der Finanzierung von Klima- und Umweltschutzprojekten sowie der Investition in nachhaltige Vorhaben wie etwa Bildung. Niemals zuvor war es so günstig, derartige Projekte über Kredite und Bondfinanzierungen zu stemmen. Und das kommt ja nun mal guten Zwecken und damit der Gesellschaft zugute. Gerade die Covid-19-Krise hat dies noch einmal unter Beweis gestellt. Viele neue Emittenten sind in den Markt gekommen, Investoren greifen bei grünen und nachhaltigen Bonds zu mit dem Ergebnis, dass nicht nur Markt und Investorenschar immer größer wurden, sondern auch die Renditen der grünen Bonds immer weiter fielen und nun zum Teil schon unter den Renditen der herkömmlichen Bonds liegen. Durchaus eine wünschenswerte Entwicklung, die sich hoffentlich noch weiter fortsetzt, auch wenn dies womöglich weitere Verzerrungen in anderen Bereichen mit sich bringen wird. Denn eine schnelle Zinswende ist nicht absehbar.

(Börsen-Zeitung, 30.11.2021)

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