Viel Interventionsspielraum für die EZB im Staatsanleihemarkt
Euro-Staatsanleihen
Spielraum für Interventionen
Von Kai Johannsen
Am Euro-Staatsanleihemarkt sind weite Investorenkreise derzeit verunsichert. Dies resultiert aus dem Rechtsruck bei den Europawahlen. Der Blick der Anleger ist dabei ganz speziell auf Frankreich gerichtet, wo der Rassemblement National (RN) um Marine Le Pen ganz erheblichen Auftrieb erhalten hat. Anleger befürchten, dass es in Frankreich bei einem kompletten Abdriften der Politik nach rechts zu einem Stillstand etwa in Sachen Haushaltskonsolidierung oder dringend notwendiger Strukturreformen kommen könnte. Das bedeutet dann auch ein Risiko für die Kreditwürdigkeit des Landes, Investoren werden zögern, sich in Frankreich zu engagieren, ob nun an den Anleihe- oder Aktienmärkten oder direkt in der Realwirtschaft. In der Folge ziehen sie sich seit den Europawahlen aus den Anleihen des Landes zurück, präferieren sichere Staatspapiere wie Bundesanleihen als Rückzugsort. Folglich weitet sich der Spread zwischen zehnjährigen Frankreich-Bonds und Bundesanleihen aus. Mit 85 Basispunkten (BP) ist er auf dem höchsten Stand – nicht nur in diesem Jahr, sondern seit November 2011, also der Zeit der Staatsschuldenkrise der Eurozone, als bei Frankreich-Bonds zeitweise Spreads von mehr als 180 BP erreicht wurden.
Sollte es zu neuerlichen Spread-Ausweitungen in der neuen Handelswoche aufgrund der Verunsicherung am Markt kommen, dann könnte sich die EZB genötigt sehen, in den Markt einzugreifen im Rahmen des 2022 ins Leben gerufenen TPI (Transmission Protection Instrument). Das kann die EZB aktivieren, „um ungerechtfertigten, ungeordneten Marktentwicklungen entgegenzuwirken, sofern diese eine ernsthafte Bedrohung für die einheitliche Transmission der Geldpolitik im Euroraum darstellen“. Marktakteure fassen diese Formulierung derart auf, dass sie für die EZB zumindest einmal sehr viel Interpretations- und damit Handlungsspielraum lässt, wann sie hier tatsächlich zur Tat schreiten kann. Das TPI sieht den Ankauf von Wertpapieren aus einzelnen Ländern vor, „um eine Verschlechterung der Finanzierungsbedingungen, die nicht durch länderspezifische Fundamentaldaten gerechtfertigt ist, zu bekämpfen“. Das sind vorrangig Staatsanleihekäufe, aber auch Titel des Privatsektors können berücksichtigt werden. Ein weites Feld für die EZB.