London

Im Land des Zuruzuru

Ramen sind ein fester Bestandteil des Londoner Fast-Food-Angebots geworden. Dazu trugen auch japanische Ketten bei, die wie schicke US-Burgerbratereien in die britische Metropole expandierten.

Im Land des Zuruzuru

Die großen US-Burgerketten haben es vorgemacht. Vor allem an von Touristen frequentierten Orten in der britischen Hauptstadt eröffneten Shake Shack und Co Niederlassungen, die ihren Kunden aus der fernen Heimat vor allem eines signalisieren sollten: internationales Gewicht. Japanische Nudelsuppen-Restaurantketten zogen nach. Mittlerweile finden sich in London Niederlassungen von Hakata Ippudo und Kanada-ya, in denen man Ramen wie in Nippon bekommen kann. Beide stammen aus Kyushu, der südlichsten unter den Hauptinseln des Reichs der aufgehenden Sonne. Letztere hat zwar nichts mit dem nordamerikanischen Land mit dem Ahornblatt auf der Flagge zu tun, aber viel mehr mit Kanada Kazuhiro, einem ehemaligen Bahnradprofi. Nach einem schweren Autounfall musste er sich ein neues Tätigkeitsfeld suchen. Die Ramen-Läden in seiner Heimatstadt Yukuhashi wollten ihn wegen mangelnder Erfahrung in der Gastronomie nicht ausbilden, also brachte er sich das Kochen im Selbststudium bei. Wer die Komödie „Tanpopo“ vom japanischen Regisseur Juzo Itami gesehen hat, weiß, dass es sich bei Ramen um ein sehr ernstes Thema handelt. In dem Streifen versuchen sich zwei Trucker daran, mit der Eigentümerin einer kleinen Garküche die Kunst der Nudelsuppe zu perfektionieren – eine gelungene Parodie auf die zahllosen Samurai-Filme. Glaubt man Kanada, hat er es in ähnlicher Weise probiert, die perfekte Brühe hinzubekommen.

Ramen sind das perfekte Fast Food. Die Nudeln – wer auf sich hält, produziert sie selbst – müssen nur kurz ins heiße Wasser und die restlichen Zutaten sind schnell in der Schüssel. Wichtig ist den Kunden der Härtegrad der Nudeln. Härter ist aus Sicht der meisten Ramen-Experten die bessere Wahl. Anders als in Tokio gibt es in London noch nicht die Möglichkeit, vor der letzten U-Bahn zurück in die Vorstadt noch eine Schüssel Nudelsuppe im Stehen in sich hineinzustürzen. Wer das einmal gemacht hat, kann sich auch vorstellen, wie die japanische Lautmalerei „zuruzuru“ zustande kam. Doch finden sich auch in der britischen Metropole immer mehr Suppenküchen.

Japaner wissen natürlich, dass das Gericht seine Wurzeln in China hat, „Ramen“ ist ein Lehnwort, das auf das chinesische „Lamian“ zurückgeht. Doch wurde die Nudelsuppe von der japanischen Küche nicht lediglich übernommen. Sie wurde dem lokalen Geschmack so sehr angepasst und weiterentwickelt, dass es sogar von den verbohrtesten Propagandisten einer rein japanischen kulturellen Identität wertgeschätzt wird – allerdings nicht ohne darauf zu verweisen, dass die vergleichsweise plumpen Udon ja die wahren japanischen Nudeln seien.

In London spielen puristische Erwägungen dieser Art zum Glück keine Rolle. Die Briten lieben offenbar die auf Kyushu so beliebten Tonkotsu-Ramen. Davon zeugt etwa die heimische Kette Bone Daddies, deren erste Filiale schon 2012 in Soho an den Start ging. Tonkotsu gehört zu den vier Ramen-Grundtypen, die sich durch die verwendete Brühe unterscheiden. Die cremige, weißliche Tonkotsu-Brühe wird durch das stundenlange Auskochen von Schweineknochen hergestellt. Anders als in Japan, wo man meist versucht, exotische Gerichte aus aller Welt dem eigenen Geschmack anzupassen, versuchen britische Copycats – allen universitären Scheindebatten über kulturelle Aneignung zum Trotz – das Original möglichst authentisch nachzukochen oder noch zu toppen. Das zeitigt bessere Ergebnisse als das, was japanischen Binnentouristen in Yokohamas Chinatown als chinesische Küche vorgesetzt wird, von der japanischen Version eines Currys einmal ganz abgesehen.

Wenn es im Winter aus den großen Kesseln, in denen die Nudeln gekocht werden, dampft und zischt, fühlt man sich mancherorts in einen anderen Film als „Tampopo“ versetzt: „Blade Runner“. Und wer es gerne japanisch puristisch mag, kommt an Marugame Seimen nicht vorbei. Filialen der Udon-Suppenrestaurantkette aus Kobe wurden bereits in der Liverpool Street und in Canary Wharf eröffnet. Interessanterweise kommt man dort wesentlich günstiger zu einer Schüssel Nudeln. Das mag daran liegen, dass man im Westen zwar mittlerweile Ramen kennt und liebt, Udon aber noch nicht.