Im BlickfeldRote Investmentbanker versus gelbe Firmenkundenmanager

Im Übernahmepoker hat Unicredit gute Karten

Im Übernahmekampf um die Commerzbank hat die Unicredit die besseren Karten. CEO Andrea Orcel überzeugt am Markt mit einem schlüssigen Konzept und guten Finanzkennziffern. Die Anleger ignorieren das Klumpenrisiko eines vergrößerten Unicredit-Konzerns für die europäische Bankenunion.

Im Übernahmepoker hat Unicredit gute Karten

Im Blickfeld

Im Übernahmepoker hat die Unicredit gute Karten

Der Kauf der Commerzbank könnte Systemrisiken für die Bankenunion mit sich bringen – die italienische Großbank überzeugt aber mit ihrem Konzept.

Von Gerhard Bläske, Mailand, und Stefan Kroneck, München

In seinem Expansionsdrang hat Andrea Orcel erneut zugeschlagen. Seitdem herrscht im deutschen Bankensektor Aufregung. Frei nach Wilhelm Busch folgt in dem Übernahmepoker um die Commerzbank der nächste Streich des CEO von Unicredit wohl zugleich. Es wäre nicht überraschend, wenn die „rote“ italienische Großbank in naher Zukunft ihre Position beim „gelben“ Frankfurter Kreditinstitut, der zweitgrößten deutschen Geschäftsbank nach der Deutschen Bank, über den Kapitalmarkt von nun 21% auf eine Sperrminorität von 25% ausbaut und danach die Beteiligungsschwelle von 30% erreicht. Dann wäre eine Pflichtübernahmeofferte erforderlich.

Schlüssige Strategie

In seinem Heimatland wird der Investmentbanker Orcel für seinen jüngsten Coup in Germania respektvoll als „il Blitz“ („Corriere della Sera“) bezeichnet. Solche Anspielungen auf den Blitzkrieg der Wehrmacht zu Beginn des Zweiten Weltkriegs mögen in Deutschland als geschmacklos gelten. In Italien sind sie aber Ausdruck eines erstarkten Selbstwertgefühls gegenüber einem Land – ähnlich wie im Fall von Frankreich –, bei dem Bel paese ein permanentes Gefühl der Unterlegenheit umschleicht. Sollte Orcel sein Ziel erreichen, wäre er der Topmanager des italienischen Finanzsektors, der den Deutschen zeigt, wie die EU-Bankenunion nach den Spielregeln eines Südlandes in der Praxis geformt wird.

Seit der Übernahme der HypoVereinsbank (HVB) vor 19 Jahren ist Deutschland das wichtigste ausländische Standbein für Unicredit. Mit der Commerzbank in der Hand würden die Mailänder ihre Position in der größten Volkswirtschaft der Union deutlich ausbauen. Nach der Bilanzsumme stände die erweiterte Unicredit-Gruppe mit 1,4 Bill. Euro auf Augenhöhe mit der Deutschen Bank. Im Firmen- und Privatkundengeschäft würden sich HVB und Commerzbank ergänzen. Die HVB ist überwiegend in Süddeutschland aktiv, die Commerzbank ist bundesweit aufgestellt. Orcels Strategie erscheint schlüssig.

Ziel seit langer Zeit

Er würde mit dem Schritt ein Ziel erreichen, das die Unicredit schon seit langem verfolgt. Die Lombarden haben das Institut aus der Mainmetropole schon seit Jahren im Visier. Die Finanzmarktkrise, die eigene (längst überwundene) Existenzkrise sowie die Zinstiefphase hinderten sie jedoch daran, früher loszuschlagen. Es war nicht die Zeit der Branchenkonsolidierung via Mergers & Acquisitions. Zudem sind die national dominierten Bankenmärkte in Italien und in Frankreich weitgehend abgeschottet.

Unicredit und HVB nutzten diese schwierige Zeit, um mit Sparrunden kosteneffizienter zu werden. Die Bankengruppe machte mit Personal- und Filialabbau jahrelang Schlagzeilen. Unicredit und ihre Münchner Tochter packten die Probleme viel früher an als so mancher Wettbewerber in Deutschland. Die Früchte dieser Restrukturierung zeigen sich seit der Zinswende. Am Markt gewann Unicredit das Vertrauen zurück.

Klumpenrisiko mit großer Tragweite

Unicredit ist der Commerzbank in allen Belangen überlegen. Das zeigen Finanzeckdaten beider Adressen. Orcel verfügt dadurch über Trümpfe, um die institutionelle Investoren vom geplanten Zukauf zu überzeugen. Mögliche systemische Risiken in Bezug auf die Bankenunion sind für diese Stakeholder zweitrangig. Denn im Fall einer Schieflage des neuen Bankgebildes unter EZB-Aufsicht müsste im Extremfall der Steuerzahler wieder einspringen, dann sowohl der italienische als auch der deutsche. Keine Frage, ein gewachsenes Unicredit-Konglomerat wäre systemrelevant, z.B. zur Versorgung des Mittelstands in Kerneuropa mit Darlehen. Unicredit wäre mehr denn je „too big to fail“.

Dieses systemische Klumpenrisiko ist von großer Tragweite. Eine größere Unicredit-Gruppe als bedeutender Gläubiger des italienischen Zentralstaats würde via Bankenunion eine vor allem in Deutschland, Österreich und Benelux gefürchtete Transfer- und Haftungsgemeinschaft de facto zementieren. Italiens Banken halten in großem Umfang Staatsanleihen ihres hoch verschuldeten Landes. In der Vergangenheit sind sie immer wieder auch eingesprungen, wenn es darum ging, Staatstitel aufzukaufen.

Und wie zur Bestätigung möglichen politischen Drucks auf die Banken kündigte Italiens Bankenverband Abi an, „mögliche Maßnahmen zu prüfen, die dem Staatshaushalt mehr Liquidität verschaffen könnten“, die aber die Wettbewerbsfähigkeit der in Italien tätigen Banken „nicht beeinträchtigen“ dürften. Rom will einen „freiwilligen Beitrag“ von Banken und Versicherungen, „die es sich leisten können“, zur Finanzierung von Steuersenkungen verlangen.

Schwache Bonität Italiens

Die Finanzinstitute des Landes haben ihre Exposure in italienischen Bonds von 27,8% im April 2020 auf unter 22% reduziert. Das gilt auch für Unicredit. Sie hält „nur“ noch 39 Mrd. Euro oder 30% des gesamten Bestands an Staatstiteln in italienischen Bonds. Italienische Staatstitel sind attraktiv verzinst. Deshalb halten etwa auch die Commerzbank mit 7,7 Mrd. Euro oder 16% ihres Bestands und die Deutsche Bank mit 10,3 Mrd. Euro (18,5%) italienische Staatsanleihen – mit deutlich längeren Laufzeiten als Unicredit.

Die schlechte Bewertung Italiens durch die Ratingagenturen färbt aber auf das Unicredit-Rating ab. Die Einstufung bei Standard & Poor`s (S&P) und Fitch liegt nur bei „BBB“, bei Moody`s bei „Baa1“, jeweils mit stabilem Ausblick. Zum Vergleich: S&P bewertet die Commerzbank mit „A“ (stabil) und Moody`s mit „ A2“ deutlich positiver. Bei einer Übernahme würde sich also das Commerzbank-Rating verschlechtern.

Für Stefano Caselli, Dekan der Mailänder SDA Bocconi School of Management, gibt es für Deutschland aber keinen Grund zur Sorge. „Wenn die Commerzbank übernommen wird, können klare Regeln festgelegt werden. Es gibt viele Modelle mit einem guten Gleichgewicht der Länder“, argumentiert er.

Warnung vor „Überschwappeffekten“

Eckhard Wurzel, langjähriger OECD-Ökonom, der an der Universität Konstanz Ökonomie lehrt, hält eine Konsolidierung im Bankensystem grundsätzlich für richtig. Doch er sieht auch Risiken: Geriete Unicredit in eine Krise, seien „Überschwappeffekte" nicht auszuschließen. Die Eigentümerbank könnte Ressourcen umlenken, zulasten der Tochterunternehmen, um ihre eigene Position zu verbessern. Auch könnte das Vertrauen der Marktteilnehmer in die Tochterunternehmen leiden, was deren Finanzierung erschweren würde. Seiner Ansicht nach gibt es „viele Faktoren, die von der Bankenaufsicht bei Fusionen zu berücksichtigen sind. Hier kommt auch der Staatsanleihen-Bestand der Bank ins Spiel. Nach geltendem Recht müssen Staatsanleihen aus dem Eurogebiet nicht mit risikoabsorbierendem Eigenkapital unterlegt werden, anders als alle anderen Finanzaktiva einer Bank.“

Wurzel warnt: „Falls Banken in eine Schieflage kämen, können negative Rückkopplungen zwischen den Staatsanleihen auf der Aktivseite der Bankbilanz und den finanziellen Verpflichtungen der Bank entstehen. Das kann ein enormer Krisenverstärker sein, wie die Finanzkrise 2009 gezeigt hat.“ Wurzel betrachtet es als „groteskes Versagen der Regierungen im Eurogebiet, diesen Systemfehler der Privilegierung von Staatsanleihen in den Bankbilanzen wider besseres Wissen nicht ausgeräumt zu haben.“

„Ein Kernproblem“

Regierungen zögen es vor, dass Banken deren Anleihen kaufen. „Das ist ein Kernproblem. Da für diese Bonds keine Unterfütterung mit Eigenkapital notwendig ist, fällt Banken der Kauf von Staatsanleihen relativ leicht.“ Die vielen Aspekte verdeutlichen, dass Orcel, falls dieser sich durchsetzt, die Struktur der Bankenunion in eine neue Dimension bringen würde.

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