KI: Freund und Feind der Notenbanken
KI: Freund und Feind der Notenbanken
Künstliche Intelligenz kann Zentralbanken bei Prognosen helfen. Doch die Technologie birgt auch Gefahren für die Finanzstabilität und die Geldpolitik.
Von Martin Pirkl, Frankfurt
Künstliche Intelligenz hat das Potenzial, die Weltwirtschaft in den kommenden Jahren und Jahrzehnten so stark zu beeinflussen wie kaum eine andere Technologie zuvor. Für Zentralbanken ist KI eine große Chance im Arbeitsalltag – aber auch eine enorme Herausforderung für ihre Analysen. Denn wie sich die neue Technik auf Inflation, Geldpolitik, Arbeitsmärkte und Wirtschaftswachstum konkret auswirken wirkt, steht noch in den Sternen.
Dennoch ist für Notenbanken bereits jetzt Handeln angesagt. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) widmete der KI in ihrem Ende Juni veröffentlichten Jahreswirtschaftsbericht 2024 ein Sonderkapitel. Das auch als Zentralbank der Zentralbanken bekannte Institut forderte die Notenbanken darin auf, rasche Fortschritte beim Umgang mit der Technologie zu erzielen. „Zentralbanken müssen zusammenkommen und eine Gemeinschaft bilden, um Wissen, Daten, Best Practices und KI-Tools auszutauschen“, heißt es dort. Die Technologie könne den Notenbanken beispielsweise dabei helfen, ihre Prognosen für Inflation und Wirtschaftswachstum zu verbessern.
Risiken für die Finanzstabilität durch KI
Gleichzeitig warnt die BIZ jedoch auch vor Risiken der KI für die Finanzstabilität, etwa durch neue Formen von Cyberangriffen. Sollten zudem viele Finanzmarktteilnehmer Entscheidungen auf der Basis einer Handvoll Algorithmen treffen, würde das die Gefahr von Bank Runs und allgemein einer Herdenbildung erhöhen. Für die Notenbanken sei es daher zentral, die Einflüsse der KI auf die Wirtschaft und die Finanzmärkte zügig zu verstehen. „Der Einsatz von KI verbreitet sich schneller, als es beispielsweise bei der Blockchain der Fall war“, sagt Alexander Schroff, Financial Services Lead DACH beim Unternehmen Publicis Sapient, das Notenbanken beim Thema KI berät. Denselben Schluss zieht auch die BIZ. Die KI habe sich in den USA deutlich schneller verbreitet, als es etwa in den Anfangsjahren von Strom, Social Media, Internet oder Smartphones der Fall war.
Den Handlungsbedarf haben die Notenbanken laut Schroff erkannt. „Zentralbanken sind sehr aktiv im Bereich KI.“ Die Bedeutung der Technologie für die Geldpolitik hob EZB-Direktor Piero Cipollone jüngst in einer Rede hervor. Neue Gewinner und Verlierer auf dem Kapital- und Arbeitsmarkt würden Effekte auf die Einkommens- und Vermögensverteilung haben. „Dies ist für die Geldpolitik von Bedeutung, da es die Konsumneigung der Menschen und ihren Zugang zu Krediten beeinflussen kann, was wiederum Auswirkungen darauf hat, wie die Nachfrage auf Änderungen der Geldpolitik reagiert.“ Zudem könnte KI zu einer Zunahme von nicht bankbasierten Finanzierungsvermittlungen führen. Auch das hätte Folgen für die geldpolitische Transmission.
Höhere oder niedrigere Inflation?
Doch wie wirkt sich KI nun auf die Inflation aus? Eine eindeutige Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Dies macht es für die Notenbanken umso wichtiger, das Thema gut im Blick zu behalten. Die BIZ kann sich vorstellen, dass die Inflation zunächst durch die Technologie niedriger ausfallen wird, bevor sich der Effekt umkehrt. Kurzfristig könne das Angebot die Nachfrage übersteigen, was den Inflationsdruck verringern könnte. „Aber diese Effekte könnten sich im Laufe der Zeit umkehren, wenn die Nachfrage durch höhere Einkommen steigt“, heißt es bei der BIZ. Die Zentralbanken müssten diese Dynamik berücksichtigen.
Natascha Hinterlang, Ökonomin bei der Bundesbank, verweist ebenfalls darauf, dass die KI unterschiedliche Auswirkungen auf die Preisentwicklung haben kann. „Vielfältig und teils gegenläufig dürften die Einflüsse auf die Inflation sein. So sinkt der Preisdruck bei steigender Produktivität. Höherer Lohndruck durch steigende Nachfrage nach Fachkräften und ein starker zusätzlicher Energiebedarf können in die andere Richtung wirken.“ EZB-Direktor Cipollone sieht noch eine weitere Inflationsgefahr. „Die Nutzung von KI wird sich auch auf den weltweiten Energiebedarf auswirken, da sich die zur Aufrechterhaltung des KI-Aufstiegs erforderliche Rechenleistung alle 100 Tage verdoppelt“, sagte er. „Dies könnte die Energiekosten in die Höhe treiben.“
Mehr BIP nicht garantiert
Klar ist, dass KI die Effizienz der Unternehmen steigern wird – auch wenn offen ist, wie stark. Nicht zwingend muss es dadurch jedoch auch zu einem höheren Wirtschaftswachstum kommen. Sollte die Technologie tatsächlich zu einem steigenden Stundenlohnniveau führen, könnten Arbeitnehmer sich auch dazu entscheiden, insgesamt weniger zu arbeiten. Auch abseits der Diskussion um die Vier-Tage-Woche gibt es in vielen Industrieländern einen Trend zu einer geringeren Arbeitszeit.
Die Effekte auf den Arbeitsmarkt insgesamt sind ebenfalls ein großes Diskussionsthema unter Ökonomen. Welche Stellen fallen weg? Welche verändern sich? Wo schafft die Technologie gar neue Arbeitsplätze? „KI hat das Potenzial, in einigen Bereichen die Produktivität stark zu erhöhen und den Arbeitsmarkt zu verändern“, sagt Hinterlang. „Die genauen gesamtwirtschaftlichen, aber auch gesellschaftlichen Einflüsse sind vielfältig und lassen sich derzeit noch nicht verlässlich abschätzen.“
Bessere Inflationsprognosen
Trotz aller Unsicherheiten, die KI für die Entwicklung der Wirtschaft mitbringt, könnte sie dazu führen, dass künftig die Prognosen der Notenbanken besser ausfallen. Etwa, indem die Notenbanken einen besseren Einblick bekommen, wie sich die Preise und die Konjunktur im laufenden Monat entwickeln.
Basierend auf einem Datensatz des Marktforschungsinstituts GfK hat die Bundesbank mit Techniken des maschinellen Lernens für eine Studie eine Inflationsprognose für den jeweils laufenden Monat erstellt. Notenbanker sprechen hierbei von Nowcasting. Nowcasting ist von besonderer Bedeutung in dynamischen Phasen.
Der Datensatz der GfK umfasst tägliche Einkaufe von Haushalten für den Zeitraum 2003 bis 2022. Dazu scannten die Teilnehmer zu Hause die Barcodes der gekauften Güter ein. Die Bundesbank kommt in ihrer Studie zu dem Schluss, dass die Auswertung dieser Daten mit maschinellem Lernen ein recht genaues Bild der Inflation in dem jeweiligen laufenden Monat liefert.
Vier Cluster für die Bundesbank
„Wir haben vier Cluster identifiziert, wo uns der Einsatz von KI helfen kann: für Prognosen wie Nowcasting, für die Analyse von riesigen textbasierten Daten, für den Einsatz von komplexen, nichtlinearen volkswirtschaftlichen Modellen sowie für die Prozessoptimierung“, sagt Felix Geiger, stellvertretender Leiter der Abteilung Kapitalmärkte des Zentralbereichs Volkswirtschaft der Bundesbank zum Einsatz von KI bei der Bundesbank.
So könnte die Notenbank beispielsweise Reden von EZB-Ratsmitgliedern oder die Texte zu geldpolitischen Beschlüssen mit KI auswerten lassen, um festzustellen, ob diese eher tauben- oder falkenhaft auf die Zuhörer wirken. „Damit können wir besser verstehen, wie und warum etwa die Finanzmärkte auf bestimmte Äußerungen reagieren“, führt Geiger aus.
Datenschutz beachten
Im Juni hat die Bundesbank die Plattform „Textbasierte Intelligente Assistenten“ (TIAs) ausgerollt. Mit ihr können Mitarbeiter der Notenbank Texte zusammenfassen oder auch in ihrem eigenen Schreibstil anfertigen lassen. Dies soll die Effizienz der Mitarbeiter deutlich erhöhen.
Die Anwendung basiert dabei auf denselben Sprachmodellen wie das berühmte ChatGPT. Allerdings werden die Modelle nicht auf amerikanischen Servern bereitgestellt, sondern auf französischen. Die Daten der Bundesbank könnten dadurch nicht für weitere Trainings von ChatGPT verwendet werden. Die Datenhoheit bleibe bei der Bundesbank. „Zentralbanken müssen beim Einsatz von KI mit Daten sehr vorsichtig umgehen, damit die Informationen nicht in die Hände Unbefugter gelangen“, betont Schroff.
Ist dies berücksichtigt, kann künstliche Intelligenz auch den Zentralbanken das Leben deutlich erleichtern. „KI kann dabei helfen, bei großen Dokumentendatenbanken innerhalb kürzester Zeit die relevantesten Stellen zu identifizieren“, zählt Mauricio Fernández, Leiter für Technologie des Zentralbereichs Strategie & Innovation der Bundesbank, ein weiteres Beispiel für den sinnvollen Einsatz von KI auf.
„Das Potenzial der KI ist fast grenzenlos“, meint Schroff. „Ein Vorteil der KI ist, dass sie grundsätzlich nicht voreingenommen ist.“ Die Ergebnisse der KI können es dennoch sein. Nämlich dann, wenn die eingespeisten Datensätze nicht neutral ausgewählt wurden. Daher sei es von großer Bedeutung, dass die Qualität der Daten stimmt, mit denen die KI arbeitet. „Gerade bei quantitativen Daten kann ich mir vorstellen, dass die KI gute Ratschläge liefern kann. Die Entscheidung liegt aber letztendlich beim Menschen.“
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