Kryptomarkt im Dilemma
Der Kryptomarkt befindet sich in einem seltsamen Dilemma. Denn einerseits stehen Digitalwährungen im laufenden Jahr anhaltend unter Druck, Marktprimus Bitcoin hat seit Anfang Januar 20% seines Werts eingebüßt und verharrt deutlich unterhalb der Marke von 40000 Dollar. In Zeiten der Zinswende und zunehmender geopolitischer Spannungen durch den Ukraine-Konflikt höhlt die Underperformance gegenüber Gold Argumente für Bitcoin als Mittel zur Portfoliodiversifikation und Risikoabsicherung aus.
Doch andererseits wächst das Investoreninteresse am Segment stark – und Institutionelle finden eine rapide wachsende Zahl an Produkten vor, mit denen sie in Cyberdevisen investieren können. Allein auf Xetra, dem elektronischen Handelssystem der Deutschen Börse, finden sich inzwischen fast 50 Exchange Traded Products (ETPs) auf zehn verschiedene Einzel-Kryptowährungen sowie mehrere Basket-Vehikel. Dabei richten sich etablierte Anbieter wie Invesco und Van Eck mit ihren ETPs ausdrücklich an institutionelle Investoren. Und auch der globale Markt für derivative Kryptovehikel wächst beständig. Große Terminbörsen wie die Chicago Mercantile Exchange (CME) haben inzwischen mehrere Kontrakte auf Bitcoin und die Nummer zwei unter den Cyberdevisen, Ether, im Programm. Und da die Volumina am Spotmarkt im Zuge der Kursrückgänge seit Jahresbeginn deutlich gesunken sind, ist der Anteil von Derivaten am Volumen des gesamten Kryptomarkts laut dem Datendienstleister Crypto Compare stark gestiegen: Im Januar war er demnach mit über 60% so hoch wie nie zuvor.
Wenngleich die Grenzen zwischen Angeboten für professionelle und Retail-Anleger im Kryptobereich gerade an unregulierten Offshore-Finanzplätzen verschwimmen können, wird die hohe Derivate-Quote als Signal für ein verstärktes institutionelles Engagement gesehen. Schließlich kann diese Anlegergruppe nicht einfach ein Wallet eröffnen und sofort loshandeln. Für den Gesamtmarkt birgt ein zunehmender Einstieg professioneller Anleger aber gerade in Krisenlagen wie der aktuellen Probleme. Denn diese handeln nach anderen Kriterien als die zuvor dominanten Krypto-Enthusiasten. Bei Markteinbrüchen stoßen sie ihre Bitcoin- und Ether-Positionen schneller ab, um Margin Calls zu bedienen oder Verluste in anderen Assetklassen auszugleichen. Dies führt zu einer höheren Korrelation der Cyberdevisen mit dem Gesamtmarkt und zur besagten Underperformance gegenüber dem sicheren Hafen Gold.
Zudem dürfte die steigende Zahl der Teilnehmer am Kryptomarkt die Debatte um den hohen Stromverbrauch von Bitcoin wieder befeuern. Zwar wecken Mining-Projekte wie in Paraguay, die sich rund um Wasserkraftwerke ansiedeln und den dort produzierten Stromüberschuss nutzen, bei den Investoren Hoffnung. Doch der mit 35,4% größte Anteil der globalen Mining-Kapazitäten entfällt laut dem Cambridge Centre for Alternative Finance auf die USA – und dort werden mehrere eigentlich der Abschaltung harrende Kohlekraftwerke wieder hochgefahren, um Strom für das Schürfen neuer Bitcoin-Einheiten zu liefern. Der resultierende CO2-Ausstoß ist gewaltig. Mining-Firmen wie Marathon Digital Holdings – das an der Nasdaq notierte Unternehmen bezieht günstigen Kohlestrom aus einem Kraftwerk im US-Bundesstaat Montana – verteidigen sich indes seit jeher mit den gleichen Argumenten. Besonders beliebt ist die Aussage, dass Bitcoin-Mining zwar stromintensiv sei, andere Industrien aber einen deutlich höheren Verbrauch aufweisen. Dies bedeutet allerdings keine sachliche Auseinandersetzung mit dem Problem, sondern stellt nur ein leicht durchschaubares rhetorisches Ablenkungsmanöver dar. Ebenso taugt der Verweis darauf, dass bereits weitreichende Mining-Kapazitäten auf erneuerbare Energiequellen umgestellt würden, weiterhin nur bedingt als Beleg für Nachhaltigkeit, da Wind- und Solarkraft eben noch nicht grundlastfähig sind.
Auch Assetmanager und ihre institutionellen Kunden sollten sich beim Einstieg in den Markt für Kryptowährungen nicht mit Scheinargumenten über die Folgen für die eigene ESG-Bilanz hinwegtäuschen. Dass ein Investor derivative Produkte handelt, bedeutet mitnichten, dass er mit dem Basiswert nichts zu tun hat. Denn er trägt, wenn auch indirekt, zur Wertschöpfung der zugrunde liegenden Blockchains bei. Stattdessen gilt es, sich intensiver mit den technologischen Möglichkeiten verschiedener Blockchains auseinanderzusetzen und womöglich energieeffizientere Varianten als Bitcoin zu wählen.