Arbeitsmarkt

Mehr Ausbildung für weniger Fachkräftemangel

Die Coronakrise hat den Fachkräftemangel vorübergehend gemildert. Mit der wirtschaftlichen Erholung steigt aber auch die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften. Und die sind nicht immer leicht zu finden.

Mehr Ausbildung für weniger Fachkräftemangel

Von Anna Steiner, Frankfurt

Die Coronavirus-Pandemie mit den damit verbundenen Einschränkungen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens hat zu einer sinkenden Arbeitskräftenachfrage ge­führt. Allerdings nur vorübergehend (siehe Grafik). Inzwischen gewinnt der Fachkräftemangel wieder an Virulenz. Besonders kleinen und mittelständischen Betrieben in Deutschland fällt es schwer, geeignetes Personal für ausgeschriebene Stellen zu finden.

 Die Coronakrise hat den Fachkräftemangel vorübergehend gelindert, wie Alexander Kubis vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg (IAB) erklärt: „Klagten die Betriebe 2019 noch bei über 43% ihrer sozialversicherungspflichtigen Neueinstellungen über Besetzungsschwierigkeiten, galt das 2020 nur noch für rund ein Drittel der letztlich erfolgreichen Einstellungsprozesse.“

Mit den Schließungen im Frühjahr des vergangenen Jahres erhielten zeitweise mehr als 6 Millionen Menschen in Deutschland Kurzarbeitergeld. Durch diese arbeitsmarktpolitische Maßnahme konnten einer Studie des Instituts für Makroökonomie (IMK) zufolge zwar 2,2 Millionen Arbeitsplätze gerettet werden und – wie der Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Detlef Scheele, nicht müde wird zu betonen – Massenentlassungen verhindert werden. Nichtsdestotrotz stieg die Zahl der Arbeitslosen an, während die Zahl offener Stellen sank.

Inzwischen hat sich die Situation am Arbeitsmarkt entspannt: Die fortschreitende Impfkampagne und die Coronaregeln ließen die Inzidenzen bundesweit deutlich sinken, Betriebe, Gastronomie und Co. fuhren ihren Betrieb wieder hoch. Mit dem Aufatmen am Arbeitsmarkt kehren auch die alten Probleme in die Unternehmen zurück – und werden durch die Coronakrise womöglich sogar noch weiter verschärft.

Bereits im ersten Quartal dieses Jahres meldeten die Unternehmen wieder deutlich mehr offene Stellen im Spezialistenbereich. Einer aktuellen Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln zufolge fehlen bereits seit Mai des laufenden Jahres mehr hoch qualifizierte Arbeitskräfte als vor der Krise.

Akademisierung als Problem

Die Gründe dafür sind vielfältig. Die demografische Entwicklung ist einer davon. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) am Montag mitteilte, ist die Bevölkerung in Deutschland erstmals seit 2011 nicht mehr weiter gewachsen, sondern leicht geschrumpft. Gleichzeitig nimmt die Überalterung der Gesellschaft zu. Die Zahl der Hochbetagten ab 80 Jahren nahm binnen Jahresfrist um 4,5% auf 5,9 Millionen zu. Weniger junge Menschen bedeutet jedoch auch weniger Auszubildende für die Betriebe.

Ohnehin haben sich nach Angaben des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) und der Statistik der BA zufolge in den vergangenen Jahren immer weniger junge Menschen für eine Ausbildung entschieden. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit lag die Zahl der geschlossenen Ausbildungsverträge 11% niedriger als im Vorjahr. Immer mehr hingegen gehen an die Universitäten. „Der Fachkräftesockel, auf dem unsere Gesamtwirtschaft basiert, droht wegzubrechen“, warnt der ZDH auf Anfrage. Nicht nur für die Handwerksbetriebe sei das schwierig, auch die jungen Leute, die eine akademische Ausbildung einschlugen, würden oft enttäuscht. „Klar ist angesichts dieser Entwicklung auch: Das Aufstiegsversprechen, das viele mit einem Studium verbinden, wird sich nicht für jeden realisieren lassen, weil dafür gar nicht genügend adäquate Arbeitsplätze bereitstehen“, so der ZDH weiter. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) warnte am Dienstag vor einem „Corona-Jahrgang in der Ausbildung“. Die Bewährungsprobe komme diesen Sommer. „Wir kämpfen derzeit gegen die Uhr, da am 1. September das Ausbildungsjahr beginnt“, so Heil.

Die deutsche Wirtschaft appelliert an die Politik, die Ausbildung stärker in den Fokus zu nehmen. Den ersten Schritt machte die BA, indem sie 2021 zum Jahr der Ausbildung erklärte. Das Handwerk kritisiert die Parteiprogramme für die Bundestagswahl. Die Förderung der Ausbildung würde zu wenig mit bedacht, so der ZDH. Und weiter: „Mehr Klimaschutz, mehr Energieeffizienz, mehr E-Mobilität, Smarthome, E-Health: Das alles wird es nur mit mehr Handwerkerinnen und mehr Handwerkern geben.“

Löhne steigen

Ein Mittelweg könnte die duale Ausbildung sein, die Studium und praktische Arbeit kombiniert. Auch Kubis sieht die Politik in der Pflicht: „Die Politik muss im gesamten Bildungsbereich, also vom Vorschulbereich über die allgemeinbildenden Schulen und die beruflichen Schulen bis hin zu den Hochschulen die Rahmenbedingungen schaffen, dass möglichst viele junge Menschen Abschlüsse erwerben.“ Doch auch die Betriebe müssten noch mehr in Aus- und Weiterbildung investieren.

Ein positiver Nebeneffekt für diejenigen, die sich am Ende für eine Ausbildung entscheiden, könnten die Löhne sein, die in vielen Bereichen steigen werden. „Bei der Krankenpflege beispielsweise sind in den letzten zehn Jahren die Löhne schon deutlich gestiegen“, so IAB-Experte Kubis.